Staatsrechtslehrer wollen Ulrich Vosgerau maßregeln | ABC-Z
Am 9. Oktober tritt im Hörsaal 1 der Universität Luzern die „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer“ zusammen. Ihr gehören Professorinnen und Professoren aus den deutschsprachigen Ländern an, die im Verfassungsrecht ausgewiesen sind. Seit mehr als 100 Jahren tagt der Verein, mit einer Unterbrechung im Nationalsozialismus; ihm gehören Wissenschaftler unterschiedlicher politischer Richtungen an. Früher galt die Vereinigung als konservativ, ein Hort des Progressivismus ist sie bis heute nicht. Die Bedeutung der Vereinigung für die soziale und mentale Reproduktion ihrer juristischen Teildisziplin ist Gegenstand von Forschungsliteratur, deren Autoren zu ihren Mitgliedern gehören: Vor zwei Jahren erschien bei Mohr Siebeck das Buch „Die Wissenschaftskultur der Staatsrechtslehre im Spiegel der Geschichte ihrer Vereinigung“ von Helmuth Schulze-Fielitz. Journalisten sind bei den Jahrestagungen nicht zugelassen.
Nun haben acht Professoren beantragt, dass die nach Luzern einberufene Mitgliederversammlung einen neuen Punkt in die Tagesordnung aufnimmt. Es geht darum, sich von einem Mitglied zu „distanzieren“. Der Vorschlag liegt der F.A.Z. vor. Er bezieht sich auf den 1974 geborenen Ulrich Vosgerau, einen Privatdozenten der Universität zu Köln, der in Köln mit Rücksicht auf seine berufliche Belastung derzeit von der Verpflichtung zur Titellehre entbunden ist. Vosgerau ist als Rechtsanwalt und Gutachter tätig, unter anderem für die AfD. Seine 2016 veröffentlichte Habilitationsschrift hat das Thema „Staatliche Gemeinschaft und Staatengemeinschaft: Grundgesetz und Europäische Union im internationalen öffentlichen Recht der Gegenwart“.
Prozessvertreter der AfD
In einem publizistischen Beitrag prägte Vosgerau in der sogenannten Flüchtlingskrise des Jahres 2015 das Schlagwort „Herrschaft des Unrechts“. Vor dem Bundesverfassungsgericht trat er als Prozessbeauftragter der AfD-Bundestagsfraktion in Organstreitverfahren um die Duldung der Einreise von Asylsuchenden und um die Änderung des Parteiengesetzes auf. Vor dem Landgericht Halle vertrat er in diesem Jahr den thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke in einem Prozess wegen des Verwendens der Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation. Vosgerau ist Mitglied der CDU; erst am Wochenende bestritt er gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, dass die Berliner CDU ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn eingeleitet habe.
Die antragstellenden Staatsrechtslehrer schreiben: „Nach unserer Überzeugung hat sich Ulrich Vosgerau in den letzten Jahren zunehmend als Begleiter rechtsextremer Kräfte in Verfassungsfragen gezeigt. In dieser Rolle hat er an dem Treffen des ‚Düsseldorfer Forums‘ am 25. November 2023 in Potsdam teilgenommen, zu dem auch der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner als Redner eingeladen war. Wir distanzieren uns davon, dass ein Mitglied der Staatsrechtslehrervereinigung seine Expertise jenen Kräften zur Verfügung stellt, die dieses Wissen dazu nutzen, die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung im rechtsextremen Sinne zu unterminieren.“
Unterschrieben haben diesen Antrag die Mitglieder die frühere Verfassungsrichterin Gabriele Britz sowie Pascale Cancik, Klaus Ferdinand Gärditz, Matthias Jestaedt, Florian Meinel, Christoph Möllers, Christoph Schönberger und Jelena von Achenbach. Ursprünglich hatten 100 weitere Mitglieder den Text unterstützt, inzwischen sind es nach F.A.Z.-Informationen schon mehr als 120 Personen. Zahlreiche bekannte Namen finden sich darunter, mit Susanne Baer und Andreas Paulus zwei weitere ehemalige Verfassungsrichter, und politisch sowohl konservative wie liberale als auch linke Staatsrechtslehrer. Doch wieso will man sich „distanzieren“? Wäre es bei dem gravierenden Vorwurf eines Beitrags zur Unterminierung der freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung nicht konsequenter, das Mitglied auszuschließen? Die Satzung des Vereins ermöglicht einen Ausschluss, wenn ein Mitglied „in grober Weise gegen die Vereinsinteressen verstoßen hat“.
Warum kein Vereinsausschluss?
Nach Informationen der F.A.Z. war zunächst ein Ausschlussantrag gestellt worden. Vereinsrechtsexperten gingen aber wohl davon aus, dies sei, angesichts der Satzungslage, aussichtslos. Man müsse schon eine Randale auf der Jahresversammlung anzetteln oder einen Boykottaufruf gegen den eigenen Verein richten, um einen Ausschluss durchsetzen zu können. Der Vorstand wollte vermutlich das rechtliche Risiko einer gerichtlichen Niederlage nicht eingehen, die ein riesiger Propagandaerfolg für Vosgerau gewesen wäre. Schon in früheren gerichtlichen Auseinandersetzungen zur Berichterstattung über seine Anwesenheit in Potsdam war er teilweise erfolgreich. Der Besuch bei einem Treffen wäre allein wohl noch nicht als grober Verstoß gegen die Vereinsinteressen zu bewerten: Der Austausch von Meinungen, auch von kontroversen Positionen, ist für die Wissenschaft notwendig. Für die gleichzeitige Teilnahme eines Rechtsextremisten kann man Vosgerau kaum haftbar machen.
Die Verabschiedung des Antrags in Luzern käme einer Aufforderung zum Austritt gleich. Den Gefallen, dieser Aufforderung nachzukommen, wird Vosgerau seinen Kollegen wohl nicht tun. Der F.A.Z. übermittelte er diese Einschätzung seiner Lage: „Die Antragsteller sind in meinen Augen Idioten, die um jeden Preis den ‚Kampf gegen Rechts‘ nun auch in die bislang unabhängige, überparteiliche und nur der Wissenschaftsfreiheit verpflichteten Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer tragen wollen. Wir gehen daher nun auf gerichtliche Auseinandersetzungen zu, die wir durch Öffentlichkeitsarbeit begleiten werden und bei denen die Staatsrechtslehrervereinigung nur verlieren kann, weil sie am Ende dieser Auseinandersetzungen eben nicht mehr als überparteiliche, nur der Wissenschaft verpflichtete Institution gelten können.“
Somit bleibt der Vereinigung wohl nur, zunächst die Satzung zu ändern und zu einem späteren Zeitpunkt das Mitglied auszuschließen. Dass es bei der Vereinigung keine Schutzmechanismen gegen extremistische Mitglieder gibt, also wissenschaftsinterne Entsprechungen zu den Instrumenten der wehrhaften Demokratie, kann überraschen. Gerade Staatsrechtslehrer haben sich in den vergangenen Jahren oft dazu geäußert, wie die freiheitliche Verfassungsordnung vor Angriffen der AfD zu schützen ist. Im Thüringer Landtag war gerade zu beobachten, dass Verfassungsrichter eine entscheidende Rolle bei der Verteidigung von Abgeordnetenrechten spielen. Ihre eigene Vereinigung betreffend erscheinen die Staatsrechtslehrer dagegen machtlos. Eine Erklärung liegt darin, dass es jahrzehntelang gerade Markenzeichen des Vereins war, alle Verfassungsrechtler zusammenzubringen. Rechtskonservative Positionen gab es schon früher. Man hat sie ausgehalten. Distanzierungen erfolgten durch das bessere wissenschaftliche Argument und nicht durch politische Erklärungen.
Anderseits agiert auch Vosgerau nicht immer ehrlich.
Am 26. August 2024 suggerierte er auf dem Kurznachrichtendienst X, dass das Bundesverfassungsgericht bestimmte Äußerungen getätigt habe, etwa, dass alle Grundrechte unter dem Vorbehalt der Klimaverträglichkeit ständen. Vosgerau signalisierte durch den Gebrauch von Anführungszeichen, dass es sich um wörtliche Zitate handelt. Dieses Unterschieben von Äußerungen und die implizite Behauptung, es handele sich um wörtliche Zitate, war wissenschaftlich höchst unredlich. Solches Verhalten ist geeignet, das Ansehen der Staatsrechtswissenschaft zu schädigen.