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Sri Lanka: Eine Wahl, die Umbruch bringen könnte | ABC-Z

Die Bevölkerung in Sri Lanka wählt heute einen neuen Präsidenten. Kann sich das Land nach der Wirtschaftskrise und gewaltsamen Protesten politisch verändern?

Dies ist ein experimentelles Tool. Die Resultate können unvollständig, veraltet oder sogar falsch sein.

In Sri Lanka wählen die Menschen einen neuen Präsidenten, zwei Jahre nach dem Einbruch der Wirtschaft. Die Bevölkerung leidet unter Armut, Lebensmittelknappheit und hoher Inflation. Die politische Elite des Landes steht in der Kritik, und die Wahlen könnten einen politischen Wandel bringen. Trotz Versuchen, die Wahl zu verschieben, gelten die Wahlen als frei und fair. 38 Kandidaten treten an, darunter der amtierende Präsident Wickremesinghe, Sajith Premadasa und Anura Kumara Dissanayake. Die zentralen Themen sind Stabilität, Wirtschaft und Korruption. Die Wahl hat auch internationale Bedeutung, da Sri Lanka an wichtigen Handelsrouten liegt und sowohl China als auch Indien Interesse an dem Land haben.

In der Hauptstadt Colombo wird sich auf die Präsidentschaftswahl vorbereitet.
© Ishara S. Kodikara/​AFP/​Getty Images

Zwei Jahre nach dem Einbruch der Wirtschaft wählen die Menschen in Sri
Lanka an diesem Samstag einen neuen Präsidenten.
Die Bevölkerung des Inselstaates
leidet noch immer unter Armut, Lebensmittelknappheit und einer hohen Inflation. Umfragen zufolge hoffen viele Wähler darauf,
Vertreter der alteingesessenen politischen Elite des
Landes abzuwählen.

Wie ist die politische Lage in Sri Lanka vor der Wahl?

Demonstrierende,
die im Präsidentenpool schwimmen: Die Fotos von der Stürmung des
Präsidentenpalastes
in der Hauptstadt Colombo gingen im Sommer 2022 um
die Welt. Der damalige
Präsident Gotabaya Rajapaksa floh nach gewaltsamen Protesten aus dem Land und
übergab die Regierungsgeschäfte seinem Kontrahenten und aktuell
regierenden Präsidenten Ranil Wickremesinghe. 

Zwei Jahre danach entscheiden nun rund 17 Millionen
Wahlberechtigte, ob Sri Lanka einen politischen Wandel vollziehen könnte
oder
nicht. Während der Coronapandemie brach die Wirtschaft ein, unter
anderem auch wegen der fehlenden Touristen. Trotz vieler Bemühungen ist Sri Lanka noch immer gezeichnet von einer jahrelangen wirtschaftlichen und finanziellen Misere. Dazu kommt: Seit Jahrzehnten bestimmen etablierte Familien Sri Lankas Politik.
Immer wieder gibt es Korruptionsskandale. Um ihre Machtposition zu
sichern, haben präsidentennahe Parlamentarier, Geschäftsleute und
zuletzt der amtierende Präsident eine Verlängerung der aktuellen
Legislaturperiode gefordert. Den Versuch, Neuwahlen hinauszuzögern,
wies das oberste Gericht ab. 

Sind die Wahlen frei und fair?

Trotz des Versuchs des
Präsidenten Wickremesinghe, die Wahl zu verschieben, gehen
Wahlbeobachter von freien und fairen Wahlen aus. Ein Grund: Die
Wahlkommission des Landes gilt als unabhängig. Sie stellte sich dem
Vorschlag des Präsidenten, die Wahl zu verschieben, entgegen. Zudem hat
die Wahlbehörde internationale Wahlbeobachter eingeladen, etwa aus der Europäischen Union oder vom Asian Network for Free Elections
(Anfrel). Auch die letzte Parlamentswahl im Jahr 2020 galt im Land als
eine der sichersten Wahlen in den vergangenen Jahren. 

Dennoch gibt die
internationale NGO Freedom House an,
dass gekaufte Stimmen, undurchsichtige Wahlkampffinanzierung und
politische Einschüchterung nach wie vor ein Problem in Sri Lanka
darstellen. So wurden Lokalwahlen wie die Wahl der
Provinzräte und Wahlen der Stadt-, Gemeinde- und Bezirksräte verschoben
oder ausgesetzt. Das oberste Gericht des Landes urteilte, die
Grundrechte der Wähler seien dadurch verletzt worden und rügte die
Regierung, schnellstmöglich Wahlen abzuhalten.

Welche Kandidaten treten an?

Noch nie gab es eine so
hohe Zahl an Kandidaten: 38 Politiker stehen dieses Mal zur
Wahl, 22 aus offiziellen politischen Parteien und 16 Unabhängige.
Am einflussreichsten gelten die konservative United National
Party (UNP) und die Sri Lanka Freedom Party (SLFP). Zuletzt splitterten
beide in weitere Flügel auf und bildeten eine neue Lagerverteilung im
Parlament. Neben dem amtierenden Präsidenten haben zwei weitere Kandidaten realistische Chancen auf das Amt. 

Ranil
Wickremesinghe
ist amtierender Präsident Sri Lankas und ehemaliger
Führer der United National Party (UNP). Wickremesinghe tritt inzwischen als unabhängiger
Kandidat an und hofft so auf parteiübergreifende Unterstützung. Der 75-Jährige schlug nach der Wirtschaftskrise einen harten Sparkurs für
das Land ein, arbeitete eng mit dem Internationalen Währungsfonds zusammen und senkte die Inflation von fast 70 Prozent auf 2,4
Prozent – womit der sechsmalige Premier auch
in seinem Wahlprogramm wirbt. Er verspricht wirtschaftliches Wachstum und
eine bessere Zukunft. Viele Bewohner aber sehen weitere Sparmaßnahmen skeptisch. Seine Chancen auf eine Wiederwahl gelten daher als gering.  

Sajith
Premadasa, Sohn des früheren Präsidenten Ranasinghe Premadasa, verspricht eine
linke, wirtschaftlich liberale Politik unter der Allianz der Samagi Jana

Balawegaya (SJB). Die Splitterpartei der UNP bildet im Parlament die größte Opposition und eint unter anderem Stimmen
der Minderheiten im Land. So wirbt Premadasa mit einem Verfassungszusatz, der Tamilen und Muslimen im Norden und Osten der Insel mehr Autonomie zusprechen würde. Sri Lanka ist ein multiethnischer Staat: Knapp drei Viertel der
Bevölkerung sind Singhalesen, elf Prozent sind Tamilen und knapp
neun Prozent Muslime. Premadasa beschreibt sich selbst als sozialdemokratisch; er will die ärmeren Schichten mit sozialen Wohnprojekten und einer geringeren
Besteuerung entlasten.  

Anura Kumara Dissanayake, der
Fraktionsvorsitzende der marxistisch-sozialistischen National People’s
Party (NPP) gilt als Favorit unter jungen Menschen und
ist beliebt bei Demonstranten der Aragalaya-Bewegung aus Zeiten der Wirtschaftskrise. Dissanayake verspricht einen Bruch mit der korrupten Politik Sri Lankas. Ihm rechneten Experten die größten Gewinnchancen zu.  

Wie viel Macht hat der Präsident?

Mit dem präsidialen
Regierungssystem hat der Präsident Sri Lankas besonders viel Macht und
bildet sowohl das Oberhaupt der Regierung als auch des Staates. Als
Oberbefehlshaber des Militärs spricht ihm die Verfassung eine weitere
finale Entscheidungsmacht zu und schützt ihn mit rechtlicher Immunität.
So entging der ehemalige Präsident Gotabaya Rajapaksa ohne Konsequenzen offensichtlichen
Rechtsbrüchen, löste das Parlament auf und rief
vorzeitige Wahlen aus.  

2022 wurde der sogenannte 21.
Verfassungszusatz verabschiedet, um die demokratischen Hebel von
Parlament und Regierung zu stärken und die Macht des Präsidenten zu
verteilen
. Der Zusatz sieht unter anderem vor, dass Minister nun vom
Parlament gewählt werden. Er schränkt das Ausrufen des nationalen
Notstands durch den Präsidenten ein und sieht eine Dezentralisierung
politischer Entscheidungen durch eine stärkere Beteiligung der Provinzen
vor. Zuvor setzte Expräsident Rajapaksa 2020 mit dem 20.
Verfassungszusatz einen kontroversen Machtausbau der Rechte des
Präsidenten und eine Aushebelung der Gewaltenteilung durch und wurde
als Wegbereiter für eine Diktatur geahndet.  

Was sind die zentralen Themen des Wahlkampfes?

Die
Bevölkerung fordert Stabilität und Sicherheit. Dazu gehören angemessene Löhne
und Lebenshaltungskosten. Die Inflationsrate lag 2022 bei knapp 70 Prozent. Viele
Bewohner blicken pessimistisch auf die Zukunft des Landes. Bis 2026 soll fast ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben. Die
wirtschaftliche Korruption im Land erschwert den Alltag. Der Corruption
Perceptions Index 2023 vergibt 34 von 100 Punkten an Sri Lanka (0
kennzeichnet besonders hohe Korruption). Zwar sollten die harten Sparmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds das Land wieder auf Kurs bringen. Doch dadurch fehlen langfristige Investitionen in Bildung und Wirtschaft und
schüren Unmut gegen den Westen. Premadasa und Dissanayake versprechen eine
Lockerung und Neuaushandlung der Sparmaßnahmen.

Wie wird in Sri Lanka gewählt?

Der Präsident wird in Sri
Lanka direkt und für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Die Wahl
findet in nur einem Wahlgang statt. Dafür hat das Land die sogenannte
Präferenz- oder Rangfolgenwahl eingeführt. Dabei stimmen die Wählerinnen
und Wähler auf dem Wahlzettel für ihren Favoriten oder geben zusätzlich
noch eine zweite und dritte Präferenz an. Wenn keiner der Kandidaten
die absolute Mehrheit – also mehr als 50 Prozent der Stimmen – erreicht,
werden die zweite und dritte Präferenz ausgezählt. Dabei reicht eine
einfache Mehrheit.

In den vergangenen Wahlen erreichte ein Kandidat immer schon mit der
ersten Präferenzstimme eine absolute Mehrheit, das Prinzip der zweiten
und dritten Präferenz hat also noch nie eine Rolle gespielt und ist auch
deshalb in der Bevölkerung noch wenig bekannt.

So könnte das
Wahlverfahren zu Verwirrung oder gar ungültigen Stimmen führen. Ein
Wahlzettel ist nämlich nur dann gültig, wenn Wählerinnen und Wähler ihre
Stimme per Kreuz oder Häkchen nur ihrem Favoriten geben – oder wenn
sie drei Präferenzen mit Nummerierung von eins bis drei auf dem
Stimmzettel erkenntlich machen. Vermischen jedoch Wähler die Markierung
und Nummerierung – geben ihrer ersten Wahl also ein Kreuz und den beiden
anderen Präferenzen eine Nummerierung – wird der Stimmzettel ungültig.

Welche internationale Bedeutung hat die Wahl?

Sri Lanka liegt im Indischen Ozean an der Südspitze von Indien und somit entlang wichtiger Handelsrouten, die Europa, den Nahen Osten und Ostasien verbinden. Wegen seiner geografischen Lage ist Sri Lanka sowohl für China als auch Indien bedeutend. China ist der größte Geldgeber und Investor für den hoch verschuldeten Inselstaat und hat Interesse an der Tilgung laufender Kredite sowie der Sicherung maritimer Stützpunkte entlang seiner Handelsrouten. 

Indien gilt nach China als wichtigster Geldgeber für das Land. Ein Präsident, der weitere Investitionen begrüßt, ist somit aus indischer Sicht von Vorteil, um so die eigene Machtstellung in der Region auszubauen. Indiens Einfluss in der Region wurde zuletzt mit dem Regierungsumsturz in Bangladesch geschwächt. Für die Europäische Union und europäische Unternehmen ist eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilisierung des Landes von Interesse.

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