Sportwissenschaftler über Fitness-Trends: “Kunst besteht darin, Kundenwunsch und Gesundheit deckungsgleich zu bringen” | ABC-Z

Sportwissenschaftler über Fitness-Trends
–
“Die Kunst besteht darin, Kundenwunsch und Gesundheit deckungsgleich zu bringen”
Zahlreiche Fitness-Anbieter und -Methoden locken mit maximalen Fortschritten bei minimalem zeitlichem Aufwand. Im Interview spricht Sportwissenschaftler Ingo Froböse über Risiken, Trainingspläne und “das beste Medikament”.
rbb|24: Herr Froböse, seit einiger Zeit werden einem gefühlt an jeder Berliner Straßenecke von sogenannten EMS-Studios purzelnde Kilos und wachsende Muskeln mit nur 20 Minuten Training pro Woche versprochen. Ist es so einfach?
Ingo Froböse: Letztendlich sind das nichts als Marketingversprechen, die mit der Wissenschaft vom Sport nichts zu tun haben. EMS steht für Elektro-Muskel-Stimulation, bei der sehr intensive elektrische Reize für die Muskulatur gesetzt werden. Was stimmt, ist, dass man das nicht oft machen kann, weil das sonst gefährlich für die Muskeln wird. Deswegen das geringe Volumen. Das Ganze hat allerdings nichts, wirklich gar nichts mit einer Gewichtsreduktion zu tun.
Das heißt, EMS-Training bringt eigentlich überhaupt nichts?
Zumindest nicht mit Blick auf die Fettverbrennung. Es werden durch das Training durchaus Muskeln aufgebaut – aber auch das keinesfalls kurzfristig. Um diese Effekte zu merken, auch auf der Waage, braucht man schon ungefähr ein Jahr.
Wie muss man sich diese Elektro-Muskel-Stimulation genau vorstellen?
Grundsätzlich muss man sagen, dass das eine Trainingsform ist, die aus der Rehabilitation kommt. Das wurde insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren entwickelt, um den Abbau der Muskulatur zu vermeiden, wenn Menschen über lange Zeit bettlägerig sind. Man setzt den Menschen Elektroden auf die Muskeln, die durch ein Stromsignal zur Aktivierung und Kontraktion angeregt werden. Das ist erstmal sinnvoll. Man hat diese Methode dann in den Fitness-Bereich transportiert, wobei diese Trainingsform erstmal wenig mit Fitness zu tun hat. Das ist eine Form der Muskelkräftigung.
Welche Risiken oder Gefahren gehen damit einher?
Die Gefahr besteht darin, dass man einen sehr hohen Stromimpuls geben muss, um die ganze Muskulatur zu erreichen. Dies führt mittelfristig zu einer Zerstörung von Muskelgewebe. Damit kommt der Körper klar, das ist aber der Grund, warum man das maximal zwei Mal pro Woche machen sollte. Das Gewebe braucht die Zeit zur Reparatur.
Ich würde also jedem empfehlen, langsam anzufangen. Das wollen die Kunden aber oftmals nicht, weil sie ja ein Versprechen bekommen haben, dass innerhalb von 20 Minuten alles besser wird. Von der Trainingsmethodik her müsste man aber erstmal vier Wochen langsam einsteigen, um das Gewebe vorzubereiten. Erst dann könnte man langsam mit den Stromimpulsen höher gehen. Die Kunst besteht darin, den Kundenwunsch und die Gesundheit deckungsgleich zu bringen.
Der Faktor Geduld dürfte auch bei einer anderen Methode entscheidend sein, die dazu führen soll, Fettzellen zu verlieren: Kryolipolyse. Etwas vereinfacht formuliert soll dort Fett durch Kälteeinwirkung verbannt werden. Wie schätzen Sie das ein?
Eis ist ein wichtiger Stimulator unseres Stoffwechsels. Der Körper muss und will sich gegen Kälte wehren und gibt dementsprechend mehr Energie frei, um die Körpertemperatur zu erhalten. Körperzellen mögen keine Kälte. Wenn sie ganz intensiv ist, kann es zur Zerstörung von Zellstrukturen führen. Und das versucht man, sich im Sinne der Fettreduktion zunutze zu machen. Wir wissen, dass Kälte zu einer deutlichen Steigerung des Stoffwechsels führt. Zu einer Zerstörung von Gewebe, mit einem nachhaltigen Umbau des Körpers, führt diese Methode aber sicher nicht.
Welche Risiken lauern in dieser Methodik?
Temperaturregulation ist immer ein Problem für den Organismus. Insbesondere dann, wenn man Kälte zu lange und zu intensiv anwendet. Man muss das in vernünftige Hände geben. Auch hier widerspricht der Kundenwunsch der Gesundheit: Es soll schnell und intensiv gehen, doch auch in dieser Methode geht das nicht. Auch hier ist es eher wirtschaftlich geprägt als gesundheitlich im Sinne des Kunden.
Ist das insgesamt ein Problem bei Fitness-Trends?
Man muss schon sagen, dass das alles sehr marketinggetrieben ist. Das ist ja auch klar, weil nun mal Aufmerksamkeit generiert werden muss – insbesondere in der Konkurrenz zu anderen Produkten. Das verleitet dazu, marktschreierisch Versprechen zu artikulieren, die nur bedingt haltbar sind. Der, der am meisten verspricht, wird wahrscheinlich auch die größten und meisten Kunden haben. Die große Gefahr steckt darin, dass man sich gegenseitig in den Marketingargumenten überbieten möchte – was für den Kunden erstmal attraktiv erscheint, aber immer mit Risiken einhergeht.
Wie kann man trotz allem seine Trainingsfortschritte erzielen, ohne die eigene Gesundheit zu gefährden?
Erstmal sollte man sich darüber klar werden, welches Ziel man hat. Dieses Ziel gilt es dann gegenüber dem Personal, mit dem man zu tun hat, zu formulieren und darum zu bitten, einen Trainingsplan aufzubauen, um das persönliche Ziel erreichen zu können. Man sollte sich auch immer erkundigen, ob es einen wissenschaftlichen Background gibt. Ist die Wirksamkeit der jeweiligen Methode zum Beispiel durch Studien erwiesen?
Und zuletzt gilt es, mit einem Fachmann über die potenziellen Gefahren zu reden. Denn es ist immer so: Alles, was wirkt, hat auch Nebenwirkungen. Je stärker die Wirkung ist, desto stärker ist in der Regel auch die Nebenwirkung. Gesundheit und Fitness kann man nicht kaufen, man muss sie selbst machen. Körperliche Aktivität ist das beste Medikament, weil es keine Nebenwirkungen hat.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jakob Lobach, rbb Sport.