Sport-Doku im Kino: Leichtathletik-Legende Edwin Moses – vom Physiker zum Weltrekordler | ABC-Z
Die Sportwelt kennt Edwin Moses als Dominator über 400 Meter Hürden. Kaum einer kennt ihn als das, was er eigentlich war: Naturwissenschaftler. Nun erzählt ein Kinofilm sein erstaunliches Leben.
Ein paar Mal hat sich Edwin Moses nun schon als Hauptdarsteller auf der Kinoleinwand gesehen, bei Filmpremieren quer durch die USA und durch Europa. Und jedes einzelne Mal hat er “ein bisschen gestaunt” über die Tatsache, dass ihm eine 90-minütige Dokumentation gewidmet ist. Andererseits habe er sich auf diese Weise noch einmal ganz neu erlebt, wie er erzählt. Das gelte auch für viele seiner Freunde, “die mich seit Jahrzehnten kennen und die nun sagen, dass sie mich erst so richtig verstanden haben, nachdem sie diesen Film gesehen haben”. Dieser Film heißt “13 Steps”, und er läuft am 5. Dezember in den Kinos an.
Dreimal neun ist 122
Dreizehn Schritte, diese Zahl wird noch wichtig. Wie es Moses überhaupt mit Zahlen hat. Weltbekannt ist er zwar als Leichtathlet, Olympiasieger 1976 und 1984 über 400 Meter Hürden, Moses hat diese Strecke beherrscht wie niemand sonst. Er war tatsächlich neun Jahre, neun Monate und neun Tage lang ungeschlagen. In insgesamt 122 Rennen. Kein anderer Leichtathlet hat eine solch lange Erfolgsserie geschafft, nicht Sergej Bubka, der immer neue Weltrekorde produzierende Stabhochspringer, nicht Usain Bolt, niemand.
Moses erzählt im Gespräch, dass ihm dieser Superlativ gar nicht so wichtig ist, “wirklich nicht”. Denn das Laufen sei für ihn nur ein Zeitvertreib gewesen, damals im Morehouse College in Atlanta. Denn eigentlich sei er Physiker, kein Leichtathlet. Und als Physiker fasziniert ihn die erstaunliche Aneinanderreihung der dreimaligen neun in Bezug auf die Dauer seiner Siegesserie mehr als die vielen Siege, die er errungen hat. “Wirklich kurios”, findet er dieses 9-9-9.
Ein Physiker läuft zum Weltrekord
Doch wie kam es dazu, dass ein hochbegabter Physiker sich in die Leichtathletik verirrte? Moses sagt dazu: “Ich bin immer schon gelaufen, seit meinem zehnten Lebensjahr. Ich war aber nicht wirklich gut, weil ich kleiner war als meine Altersgenossen. Also wählte ich den akademischen Weg, den eines Physikers, und hatte Erfolg damit.” Als dann der späte, große Wachstumsschub erfolgte, war es ihm plötzlich auch körperlich möglich, besser über die Hürden zu sprinten. Im März 1976, im Alter von 20 Jahren, stand seine Bestzeit bei bescheidenen 50,1 Sekunden – “und ich dachte mir: Versuche einfach mal, es zu den US-Trials für Montreal zu schaffen”. Montreal war der Ort der Olympischen Sommerspiele 1976, die US-Trials die Qualifikationshürde dafür. Nur die ersten Drei würden dabei sein.
Der Film schildert mit vielen Zeitzeugen die Transformation des Physikers Moses zum 400-Meter-Hürden-Star Moses. Dabei half ihm sein naturwissenschaftliches Wissen, auch das macht seine Story so faszinierend. Einen richtigen Coach, der ihm bei seiner läuferischen Entwicklung hätte helfen können, gab es nicht im College. Dort gab es noch nicht einmal eine 400-Meter-Bahn. Trainiert hat Moses vornehmlich auf einem Golfkurs: “Auf einer Bahn konnte ich nur außerhalb des Campus trainieren, und das auch nur sehr selten.”
Die Formel zum Gewinnen
In einer Zeit, in der die Sportwissenschaft noch in den Kinderschuhen steckte und viele Athleten nach Gefühl liefen, entwickelte Moses, der Physiker, “mit ein paar Studienfreunden die Formel, die mich weiterbringen würde. Wir rechneten aus, dass ich mit einer Frequenz von immer 13 Schritten – 13 Steps – zwischen den zehn Hürden laufen sollte. Und wenn mir das gelänge, würde ich schnell sein.” Im Labor errechneten die Kommilitonen außerdem den optimalen Winkel zwischen Wade und Hürde beim Absprung, so dass der Läufer weniger Zeit in der Luft ist und mehr auf dem Boden. Klar war auch: “Ich musste unbedingt mit links abspringen”, um der Stadionrunde gegen den Uhrzeigersinn mit der bestmöglichen Biomechanik zu begegnen.
Es war eine Formel vom Reißbrett, eine Siegerformel. Moses qualifizierte sich nicht nur für Montreal, er lief im Olympia-Finale in 47,64 Sekunden sogar Weltrekord.
Hohe Gagen für Topleistungen
Im Jahr darauf begann seine Serie, die erst 1987 endete. Dazwischen lagen ein weiterer Olympiasieg – 1984 in Los Angeles – und zwei WM-Titel. 1980, vor den Spielen in Moskau, lief Moses erneut Weltrekord, seinen dritten, 47,13 Sekunden. Es war seine Antwort auf den Olympia-Boykott der westlichen Welt wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan. Moses sagt: “Mir wurde eine Gold-Chance genommen.”
Der Film beschreibt die Persönlichkeit Moses aus vielen Blickwinkeln. Morehouse-Absolventen wie Spike Lee oder Samuel L. Jackson kommen zu Wort, Moses Physio von einst, Kommilitonen, sein Bruder, seine Mutter, sein Sohn Julian, ein Volleyball-Profi, mit dessen deutscher Mutter Ed Moses heute nicht mehr zusammen ist. Es fehlt nur sein deutscher Konkurrent Harald Schmid, der sich nicht äußern wollte. Und deutlich wird, dass sich alle Gesprächspartner sehr darüber wundern, dass dieser hochbegabte Physiker ein hochbegabter Läufer war. Einer, der es auch fertigbrachte, entsprechende Gagen für Topleistungen einzuführen. Auf lange Sicht sorgte auch diese Entwicklung dafür, dass ab 1992 Profis bei den Olympischen Spielen starten durften.
Kampf gegen Rassismus
Viel Zeit räumt der Film auch Moses‘ Engagement im Kampf gegen die Ungleichbehandlung von Schwarzen und Weißen in den USA ein. Das Morehouse-College war eine Universität nur für Schwarze und eine Reaktion darauf, dass sie nicht an allen Hochschulen in den USA studieren durften. Im Film sagt Moses: “Je klüger man war, als desto weißer galt man.” Seine Erkenntnis: “Rassismus wird immer ein Problem in den USA sein.”
Moses drückte am 31. August 1983 in Koblenz noch ein viertes und letztes Mal den Weltrekord, es war der Tag seines 28. Geburtstages, 47,02 Sekunden. Diese Zeit wurde erst 1992 unterboten. Nach dem Ende seiner Karriere 1988 engagierte sich Moses im Kampf gegen Doping. Er war der Chairman des Verfahrens, das Lance Armstrong zu Fall brachte. Aktuell ist er Botschafter der Laureus-Stiftung, die soziale Sportprojekte in 40 Ländern unterstützt.
All das erzählt der Film von Regisseur Michael Wech in 90 Minuten. Er stellt dabei einen Physiker vor, einen Sportler, einen Aktivisten gegen Doping und einen Menschen, der sich für Gleichberechtigung einsetzt. Das alles ist eine Person. Das alles ist Edwin Moses.