Österreich gewinnt den Eurovision Song Contest – Medien | ABC-Z

Vielleicht war es am Ende vor allem ein hervorragendes Ablenkungsmanöver. Das Thema, das in der ESC-Woche die meisten Gespräche dominierte, waren nicht die Proteste gegen die Teilnahme Israels, nicht der Ritt der Finnin Erika Vikman auf einem riesigen, funkensprühenden Mikrofonständer zu dem Song „Ich komme“ und auch nicht die sympathische Selbstironie der Schweizer. Es war die Frage, ob sie kommt. Nicht Erika, sondern Céline Dion, die 1988 in Dublin für die Schweiz den Sieg beim ESC geholt hat. Man verhandele noch, hieß es über den Flurfunk nach einem Videogruß der Sängerin am Montag, der auch als Absage verstanden werden konnte. Dann Dions Privatjet, angeblich in Basel gesichtet. Und bei den Proben zum Finale wurde nochmal das Video gezeigt. Warum, wenn nicht als Platzhalter für etwas anderes? Aber: Während des gesamten Abends weit und breit keine Céline Dion.
Vielleicht war es auch besser so, denn es gibt noch viel anderes zu sagen über diesen ESC, der nach der Aufregung im vergangenen Jahr kaum heruntergekühlt wurde und gleichzeitig nur ein Jahr später auf einem von gleich mehreren Zeitenwenden durchgerüttelten Kontinent stattfindet. Europa muss sich gerade nicht nur neu erfinden, sondern überhaupt erst einmal selbst finden. Und auch wenn es ein Blick durch die rosarote Brille ist: Der ESC ist immer ein Spiegelbild Europas. Das wurde auch in diesem Jahr wieder deutlich.
:Die Sängerin, die den 7. Oktober überlebt hat
Yuval Raphael will unpolitisch sein – und trägt doch den Nahost-Konflikt in sich. Jetzt tritt sie für Israel im ESC-Finale in Basel auf, wo ihr auch Anfeindungen und Hass entgegenschlagen.
Vergangenes Jahr in Malmö hatte es massive Proteste gegen die Teilnahme Israels gegeben. Da musste man froh sein, dass der ESC 2025 in der neutralen und liberalen Schweiz stattfand. Im Land des „Swiss Finish“, wo alles, von Gesetzen bis zum Zahnrädchen, ein paar extra Korrekturschleifen durchlaufen muss, bevor irgendetwas damit gemacht werden darf. Die Show und Organisation lief deshalb fast durchgehend im richtigen Takt, wie eine Rolex.
Schon mit dem Song „Made in Switzerland“ vom Halbfinale hatten das Gastgeberland genauso wie die Moderatorinnen Sandra Studer und Hazel Brugger ihren Job schon übererfüllt (Swiss Finish halt). In einer Art Mini-Musical führten sie durch die wichtigsten Schweizer Erfindungen und Errungenschaften vom Taschenmesser und der Knoblauchpresse über Schokolade und Käsefondue bis zur „neutralen“ Waffenindustrie. Alles ganz transparent versteht sich, wie Klarsichtfolie, die angeblich auch aus der Schweiz stammt. (Dazu muss man wissen, dass in der Schweiz das Bankengeheimnis derart krass geschützt ist, dass man sich wahrscheinlich schon strafbar macht, wenn man das Wort nur ausspricht.)
Moderatorin Sandra Studer, die als Sandra Simó selbst 1991 auf der Bühne stand, ist so etwas wie wandelnde ESC-Geschichte und gibt mit ihrer Bodenständigkeit der ganzen Veranstaltung die dringend nötige Ankerwürde. Ihre ebenfalls grundsympathische Bühnenpartnerin Hazel Brugger war dann als doppeltes Sicherheitsnetz für die ironische Distanz zuständig. Das funktionierte leider nicht immer, weil der ESC schon so ironisch ist, wo soll da noch eine Ebene eingezogen werden? Michelle Hunziker kam dann zum Finale als Dritte dazu und brachte die nötige Souveränität mit, um auch mit einem Alphorn die Lücke bis zum Eintrudeln der Stimmen zu überbrücken.
Zwei Personen versuchten, während dem Auftritt von Yuval Raphael auf die Bühne zu gelangen
Im Vorfeld hatten manche gesagt, wenn es um die schon befürchteten Proteste gegen die Teilnahme von Yuval Raphael für Israel ging, was immerhin das am zweitmeisten diskutierte Thema der Woche war: Basel ist nicht Malmö. Das ist mal ganz grundsätzlich richtig. Trotzdem gab es die ganze Woche über auch hier Boykottaufrufe und Demonstrationen gegen die Teilnahme der israelischen Sängerin. Sogar der letztjährige Gewinner Nemo, dem die Schweiz diesen ESC zu verdanken hat, sprach sich für einen Ausschluss Israels aus. Bei einer der öffentlichen Proben wurde der Auftritt Raphaels sogar durch Pfiffe gestört. Die Organisatoren hatten daraufhin noch schärfere Sicherheitsvorkehrungen angekündigt.
Geholfen hatte es wenig. Im Fernsehen war davon nichts zu sehen, aber am Ende des Auftritts versuchten ein Mann und eine Frau auf die Bühne zu gelangen. Sie wurden von den Sicherheitskräften aufgehalten, ein Crewmitglied wurde aber von einem Farbbeutel getroffen. Der Schweizer Rundfunk, der den ESC mit ausrichtet, bestätigte den Vorfall auf Nachfrage.

Mehrere Medien berichteten während des Abends außerdem von Gewalt auf den Straßen von Basel. Hunderte propalästinensische Demonstranten zogen durch die Straßen und sollen zeitweise auch den Verkehr auf einer Brücke blockiert haben. Videos zeigen Wasserwerfer und Demonstranten, die versuchen eine Polizeikette zu durchbrechen sowie den Einsatz von Pfefferspray. Die Polizei des Kantons Basel-Stadt bestätigte auf Nachfrage nur, dass ein Einsatz und eine „unbewilligte Kundgebung“ stattgefunden hätten und wollte noch keine weiteren Details nennen.
Beim Publikums-Voting wurde dann deutlich, was offenbar ein großer Teil der Europäer von diesen Protesten hält: Israel erhielt die meisten Publikumspunkte und wurde so von Platz 15 zumindest vorübergehend auf die eins katapultiert.
Dass in Basel auch noch Musiker aufgetreten sind, rückte vor lauter Demos und Dion-Gerüchten fast in den Hintergrund.
Die Bandbreite der Beiträge war dabei für den oft als puren Trash verrufenen ESC in diesem Jahr sehr breit. Klar, eher stumpfe Beats und Refrains gab es jede Menge und die meisten davon werden in Zukunft wahrscheinlich nur noch auf Schaumpartys in All-Inclusive-Resorts zu hören sein.
Mit Nemos Siegersong „The Code“ vom letzten Jahr, einer Schweizer Trommeltruppe und der Flaggenparade wurden alle, die nach den Halbfinale noch keine Überdosis Glitzer und Blitzlicht hatten, zu Beginn des Finales noch schnell auf den nötigen Pegel gebracht.
Anders wäre so etwas wie der Beitrag aus Großbritannien zum Beispiel auch kaum zu ertragen gewesen. Der Auftritt von Remember Monday war eine leider unironische Mischung aus Abba und Spice Girls. Wie drei Disney-Prinzessinnen auf einem Junggesellinnenabschied. Null Punkte vom Publikum, Platz 19.

Da waren aber auch die Albaner von Shkodra Elektronike, denen es gelang Folklore, Beats und Sprechgesang zu einem Song zu kombinieren, der super eingängig ist und trotzdem Tiefe hat. Eigentlich die Königsdisziplin im Pop. Reichte immerhin für Platz acht.
Oder die Lettinnen von Tautumeitas mit einer sechsstimmigen Ethno-Tanznummer. Abgefahren und eigentlich ein Fall fürs Feuilleton. Aber funktionierte auch beim ESC. Immerhin Platz 13.

Oder Luane, die für Frankreich „Maman“ sang und etwa eine Tonne Sand (oder Kork) auf die Bühne schüttete. Das war vor allem dramatisch, weil man kurz zuvor erfahren hatte, dass die Bühnenhelfer nur 35 Sekunden Zeit für den Umbau zwischen den Songs hatten.
Für Deutschland ging das eigentlich österreichische Geschwisterpaar Abor & Tynna an den Start, von Stefan Raab gebrieft. „Baller“ ist trotz des Cello-Intros durchweg tanzbar. Die Show mit schwarzen Kostümen und einer Art Club auf der Bühne sollte wohl so aussehen, wie man sich Berlin außerhalb von Deutschland vorstellt. Hat am Ende nur für den 15. Platz gereicht. „Sterne fall’n und knall’n auf mein Dach“, trotzdem eine der besten Textzeilen des Abends.

Enttäuscht sind wahrscheinlich die Schweden. Deren Humppa-humppa-Blödel-Hit „Bara bada bastu” schaffte es nur auf die vier, trotz Lagerfeuer auf der Bühne und viel Geschunkel. Friedrich Merz würde sagen: Rambo Zambo.
Unklar ist noch, ob der vorletzte Platz für Island auf der ESC-verrückten Insel eine Staatskrise ausgelöst hat. Angeblich schauen 96 Prozent der Isländer den ESC. (Der Rest ist wahrscheinlich vor Ort.)
Fast den Titel verteidigt hätte die Schweiz. Dabei wirkte „Voyage“ von Zoë Më ohne Bühnenschau oder andere Special Effects, als wäre es den Gastgebern peinlich gewesen, nochmal zu gewinnen. Also lieber mit einer harmlosen Ballade durchwieseln. Hat funktioniert, ist wegen 0 Punkten vom Publikum ein ganz unauffälliger zehnter Platz geworden.
Yuval Raphael schließlich, der nach allen Protesten und Drohungen fast die Sensation gelungen wäre, für Israel diesen ESC zu gewinnen. Gänsehaut und Szenenapplaus für den Funkenregen haben am Ende aber doch nur für den zweiten Platz gereicht.

Und ebenfalls dank der Publikumsstimmen zog der Countertenor JJ aus Österreich noch an Raphael vorbei. JJ war als einer der Favoriten gehandelt worden, gleichzeitig ist es aber eine Überraschung, dass er wirklich gewonnen hat. Der Song „Wasted Love“ mit Operngesang, der in einen ESC-typischen Beat mündet, gilt als sperrig, was so viel bedeutet wie: nicht eingängig genug. Aber: Auch mit einem sperrigen Song kann man den Eurovision Song Contest gewinnen.