Kultur

Spielfilm über BDSM-Beziehungen: Sie kommt nicht, aber sie hat den Hut auf | ABC-Z

Ann ist nackt. Sie liegt mit dem anscheinend bekleideten, halb zugedeckten Allen, der seine Augen geschlossen hat, im Bett, und reibt sich an seinem Bein. Ihre ersten Sätze lauten: „Es ist dir egal, ob ich komme. Du machst nie irgendwas für mich. Das ist so respektlos und misogyn!“ Sie macht eine Pause und fragt: „Meinst du, dass Menschen sich ändern können?“ Allen sagt: „Ich weiß nicht.“

Ann macht weiter mit ihren Bewegungen, Allen öffnet endlich seine Augen und sagt: „Kannst du damit aufhören?“ So lakonisch geht es in Joanna Arnows Komödie „Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“ weiter, wobei diese erste Szene leicht in die Irre führt.

Denn wir haben es bei Ann und Allen nicht mit einem Paar zu tun, das zusammenlebt, sondern mit einer rein sexuellen BDSM-Beziehung. Ann spielt dabei den submissiven Part. Sie führt aus, was die Männer, mit denen sie schläft (Allen ist nicht der einzige), von ihr möchten, damit sie gemäß ihres Skripts zum Orgasmus kommen.

Trotzdem zeigt schon diese erste Szene, was sich im Film immer deutlicher entfaltet: Dass es – gegen das Klischee des dominanten Meisters und der gehorsamen Sexsklavin– Ann ist, die in diesen sexuellen Beziehungen am Ende den Hut auf hat, auch wenn sich die Männer wenig für sie als Person interessieren. Sie entscheidet, was sie tut oder nicht tut, die Männer sind letztlich Gefangene ihrer sexuellen Fantasien, aus denen sie nicht herauskönnen, um in eine tatsächliche Beziehung zu treten.

Genie des Filmemachens

Ähnlich sieht es in Anns Büro aus. Ann ist in ihren Dreißigern, sie hat einen nicht besonders interessanten Job in einem mittelständischen Unternehmen. Anders als manchen Kol­le­g*in­nen gelingt es ihr, im Laufe von mehreren Umstrukturierungsmaßnahmen nicht rausgeworfen zu werden, obwohl sie sich ihren allesamt autoritär auftretenden männlichen Vorgesetzten gegenüber durchaus renitent gibt.

Der Film

„Dieses Gefühl, dass die Zeit, etwas zu tun, vorbei ist“. Regie: Joanna Arnow. Mit Joanna Arnow, Scott Cohen u. a. USA 2023, 89 Min.

Joanna Arnow ist ein Genie des Filmemachens. Sie hat das Drehbuch für diesen sehr lustigen, intelligenten und subversiven Film geschrieben und die Regie geführt. Sie zeichnet für den Schnitt verantwortlich und spielt noch dazu selbst die Hauptrolle.

Allein Letzteres ist eine Meisterleistung, da die Regisseurin in gefühlt der Hälfte der kurzen Vignetten, aus denen sich ihr Film zusammensetzt, nackt ist und noch dazu in relativ expliziten Sexszenen agiert. Arnow bezeichnet ihren Film als autofiktional, weil er sich aus vielerlei eigenen Erlebnissen und Gesprächen speise, aber nicht als autobiografisch.

Die Dialoge in den kurzen Szenen, die sich zu einem Mosaik des Lebens einer jungen amerikanischen Frau zusammenfügen, sind allesamt kurz, aber so pointiert, dass sie präzise Auskunft über die Beziehungen der Protagonisten zueinander geben. Ann geht etwa durch die Straßen und telefoniert mit ihrer Mutter, deren Stimme nicht zu hören ist. Die Mutter klagt anscheinend darüber, Hunger, aber nichts zu essen zur Hand zu haben. Ann sagt: „Ich gehe nie ohne Snacks aus dem Haus.“ Kurze Pause. Ann: „Nein, ich esse nicht zu viele Snacks.“

Imperativ von Selbstverwirklichung

Mutter und Vater sind alte jüdische Hippies. Wenn der Vater mit Emphase Arbeiterlieder auf der Klampfe spielt, scheint er glücklich zu sein. Natürlich lieben beide ihre Tochter, sind aber zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um wirklich mit ihr in Kontakt zu treten.

In einer Szene ist beim Tele-Yoga eine Stimme zu hören, die sagt: „Ihr seid mehr als eure Arbeit, als eure Stellenbeschreibung, eure Gedanken, eure Körper.“ Ja, schön, gut zu wissen, scheint Joanna Arnow zu sagen, aber wie lässt sich dieser Imperativ von Selbstverwirklichung und Selbstsorge in ein gelungenes Leben übersetzen?

Ann nimmt einen Anlauf, um ihr Leben zu ändern. Ob das gelingt, wissen wir nicht. Die Regisseurin hat eine Szene an den Schluss gesetzt, zu deren Interpretation wir selbst aufgerufen sind. Der Film geht nach dem letzten Bild also noch eine Weile im Kopf weiter. Mehr kann Kunst nicht erreichen.

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