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Spielfilm „Die jüngste Tochter“ im Kino: Jung, muslimisch, lesbisch | ABC-Z

Zuerst ist da nur das Geräusch: Wasser, das gleichmäßig ins Waschbecken rinnt. Dann mischt sich eine Stimme dazu, leise sprechend. „Im Namen Allahs“, sagt sie. Eine junge Frau steht vor dem Spiegel, von hinten gesehen, das lange Haar dunkel und schwer, vom dürftigen Licht eines kargen Badezimmers umrahmt. Die Kamera nähert sich ihr behutsam.

Ihre Hände gleiten durchs Wasser, über die Handflächen, die Unterarme, in einer Abfolge von rituellen Gesten, die der Reinheit dienen sollen. Mit noch nassen Fingern streicht sie das Haar aus dem Gesicht, legt es zurück. Der Blick im Spiegel hält sich selbst stand, ist klar, konzentriert und unerwartet streng.

Einen Schnitt darauf ist sie verhüllt. Dieselbe junge Frau ist nun im Hidschāb und dunklem Gebetskleid zu sehen. Ihr markantes Profil hebt sich vom bläulichen Morgenlicht ab. Der Muezzin ruft. Sie geht in ihrem Jugendzimmer auf die Knie, sinkt auf den Gebetsteppich.

Im Tanktop am Fenster

Später steht sie im Tanktop am Fenster. Der melancholische Blick wandert nach draußen, vorbei an weißen Hochhausbauten einer Banlieue von Paris. Fatima (Nadia Melliti) ist siebzehn Jahre alt, Tochter algerischer Einwanderer, gläubige Muslima. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie begreift, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt.

Der Film

„Die jüngste Tochter“. Regie: Hafsia Herzi. Mit Nadia Melliti, Park Ji-Min u.a. Frankreich/ Deutschland 2025, 108 Min.

Mehr als die Eröffnungssequenz und ein paar solcher biografischen Daten braucht es nicht, um sich auszumalen, was für ein Film daraus hätte werden können. Man erwartet den vertrauten Parcours: das strenge Elternhaus, die heimlich gelebte Sehnsucht, die erste verbotene Liebe, das (unfreiwillige) Coming-out als dramatischer Kulminationspunkt.

Erzählt in Szenen des Ringens und der Tränen, der Schuld und des Streits und vielleicht sogar der Gewalt. Religion als starres System, Familie als Gegenkraft, Herkunft als Hindernis und Freiheit als etwas, das nur durch Flucht zu haben ist. Ein Film, der Konflikte so lange zuspitzt, bis sie moralisch sortiert, didaktisch verwertet und bequem abgelegt werden können.

In der Rezeption wäre man sich schnell einig: ein „wichtiges“ Werk, bereitwillig abgenickt und für seinen vermeintlichen Mut gelobt – eines, das insgeheim aber niemanden so richtig bewegt, weil es auf einfache Schemata setzt, wo es die Zumutung von Komplexität bräuchte, um menschlicher Erfahrung und damit dem, was Kino erst zu Kunst macht, nahezukommen.

Anders ausgedrückt: Man glaubt ihn schon zu kennen, diesen Film, noch bevor er richtig begonnen hat. Doch „Die jüngste Tochter“ entzieht sich der Bequemlichkeit, die Geschichte einer Selbstfindung in ein effektheischendes Narrativ zu verwandeln. Der französischen Filmemacherin Hafsia Herzi gelingt mitunter gerade dadurch ein Beitrag zum lesbischen Kino mit Ereignischarakter, weil er Fatimas Geschichte nicht zum Ereignis macht.

Frühling, Sommer und Winter in Paris

Im Laufe der Jahreszeiten, in die der Film unterteilt ist, vom Frühling des einen bis hin zu dem des nächsten Jahres, fallen Erkenntnisse niemals plötzlich, und Entscheidungen werden nicht dramatisch zugespitzt.

Stattdessen folgt der Film den kleinen Verschiebungen im Alltag seiner außergewöhnlichen Protagonistin, zunächst am Gymnasium und auf dem Schulhof, wo Fatima – in Bomberjacke, Kapuzenpullover und Cargohosen gekleidet, rauchend – ein zurückhaltender, zugleich selbstverständlicher Teil einer rein männlichen Clique ist.

Es ist womöglich ein beiläufiger Kommentar eines schwulen Mitschülers, der Fatimas Reflexionsprozess über ihr Begehren in Bewegung setzt, als er ihren Freunden – nach einer homofeindlichen Bemerkung – entgegenschleudert, ob sie denn nicht wüssten, dass sie selbst mit einer Lesbe abhingen.

Das Ergründen dieses Begehrens erzählt „Die jüngste Tochter“ vor allem in Blicken, Pausen, Haltungen, Momenten, in denen etwas noch keinen Namen hat. Dass selbst das Unspektakuläre dabei eine eigentümliche Spannung entfaltet, ist vor allem Nadia Melliti zu verdanken, einer Laiendarstellerin, die bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes überraschend, aber vollkommen zurecht, als „beste Schauspielerin“ ausgezeichnet wurde.

Pose der Unberührbarkeit

Jérémie Attards Kamera kehrt immer wieder zu ihrem Gesicht zurück, verharrt dort, als ließe sich darin etwas Entscheidendes ablesen. Ein Anflug von Trotz etwa, eine Spur der Schüchternheit, Regungen, die sich zeigen, obwohl Fatima alles daransetzt, sie nicht preiszugeben. Ihr Mund formt beinahe genauso selten Worte wie ein echtes Lachen.

Nicht etwa, weil Fatima mürrisch, hart oder bitter wäre. Vielmehr hat sie sich eine Attitüde angeeignet, wie man sie sonst vor allem von gleichaltrigen Jungs kennt. Was leicht als Lässigkeit gelesen wird, verbirgt eine einengende Vorsicht. Sie trägt diese übersteigerte Pose der Unberührbarkeit vor sich her, wenn ihr muslimischer „Partner“ von einer gemeinsamen Zukunft spricht, und gleichermaßen beim ersten Treffen mit einer Frau (Sophie Garagnon), die sie über eine Dating-App kennengelernt hat.

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Die Unsicherheit aber bricht sich immer wieder Bahn, auch in dieser Szene, die zu den zärtlichsten des Filmes gehört. Als ihr Date sie im Auto abholt, lotst Fatima sie zu einem abgelegenen Parkplatz – entgegen dem selbstsicheren Auftreten, das sie zur Schau stellt, doch nicht etwa, um sich näherzukommen. Sie möchte reden.

Die andere, deutlich ältere Frau nimmt die skurrile Situation mit Humor, spricht offen über sexuelle Praktiken, darüber, wie man eine Frau liebt, was im Allgemeinen gefällt und was möglich ist. Fatima hört zu, äußerlich gefasst, beinahe reglos, stellt jedoch neugierige Fragen – als würde sich vor ihr ein Raum öffnen, für den sie bislang keine Sprache hatte.

Begehren als Erkenntnisprozess

Gerade darin liegt das zweite Ereignis von „Die jüngste Tochter“, das wegen des ersten – dem unaufgeregten Erzählen über eine junge Frau, die zugleich gläubige Muslima und lesbisch ist – umso mehr überrascht: Hafsia Herzi inszeniert ihren Film mit einer selbstverständlichen Sinnlichkeit und körperlichen Direktheit, die im lesbischen Kino leider nach wie vor selten ist. Sexualität wird nicht umgangen oder verkürzt, sondern als treibende Kraft einer Selbstannäherung ernst genommen.

Fatima beginnt, mit tief ins Gesicht gezogenem Basecap, Frauen in queeren Bars zu treffen, sammelt erste, flüchtige Erfahrungen, begegnet schließlich Ji-Na (Park Min-ji), einer jungen Koreanerin, mit der sie erstmals Verbindlichkeit erlebt – und mit ihr auch Enttäuschung und Liebeskummer.

Fatima reagiert darauf nicht mit Rückzug, sondern mit Bewegung: weiteren Begegnungen auf Studentenpartys, kurzen Allianzen, unter anderem mit einem erfahrenen, in einer offenen Beziehung lebenden lesbischen Paar (Mouna Soualem und Jade Fehlmann). Der Film bleibt darüber nah an ihr, ohne zu dramatisieren, interessiert an dem Prozess, der sich im Inneren abspielt.

Auch den Konflikt mit ihrem Glauben erzählt „Die jüngste Tochter“ auf diese Weise: introspektiv, ohne die bequeme Figur eines strafenden oder belehrenden Patriarchen aufzubieten. Fatimas Zuhause, das Leben mit ihren Eltern und beiden Schwestern wird, auch wenn tradierte Rollenvorstellungen durchaus durchscheinen, mit einer wohltuenden Alltäglichkeit gezeigt.

Ohne Patriarch, ohne Urteil

Den Imam sucht Fatima dementsprechend aus eigenem Antrieb auf, schildert ihre eigene Situation als die einer „Freundin“ und erhält die erwartbare Antwort: dass sie in Sünde lebe, sich weiblicher geben, einen Mann finden solle. Der Film registriert diese Worte mit seiner Protagonistin, ohne sie zu kommentieren – und ohne sie zur finalen Instanz zu erklären.

Am Ende steht keine Entscheidung im klassischen Sinn. Fatima kehrt weder ihrem Glauben noch ihrem Begehren den Rücken, sondern sucht nach einer eigenen Form, in der beides nebeneinander existieren kann, das Gebet ebenso wie eine selbstbewusst gelebte Identität. „Die jüngste Tochter“, der auf dem gleichnamigen Roman von Fatima Daas basiert, weigert sich, die Dinge in einem bevormundenden Gestus für das Publikum aufzulösen, als bräuchte es die Eindeutigkeit, um mit dieser Geschichte umgehen zu können.

Dadurch begegnet der Film auch seiner Protagonistin selbst nie mit Paternalismus. Hafsia Herzi agiert mit Zärtlichkeit, aber ohne Fatimas Leben auf etwas zu reduzieren, das vor allem nach Mitgefühl verlangt. Vielleicht, weil die Filmemacherin darum weiß, dass Mitgefühl manchmal nichts anderes bedeutet als die sanfteste Form der Demütigung.

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