Speerwerfer Klaus Wolfermann ist tot – Sport | ABC-Z
Nach allem, was die moderne Trainingslehre so hergibt, hätte Klaus Wolfermann nie das werden sollen, was er geworden ist, nämlich Speerwerfer. Und schon gar kein so erfolgreicher. Mit seiner Größe von 1,76 Meter, seinem an die 90 Kilo reichenden Gewicht und seinem bulligen Körperbau entsprach er jedenfalls nicht dem Idealbild dieser Disziplin: Er war weder groß gewachsen, noch war er schlank, noch hatte er lange Arme, ihm fehlten also wesentliche Voraussetzungen, um das 800 Gramm schwere Sportgerät weit zu werfen. Was Klaus Wolfermann aber hatte, war „ein Zug, dass es nur so rauscht“, wie sich ein Zeitzeuge erinnert. Diese Kraft im Arm hatte er mutmaßlich von seinem Vater mitbekommen, einem Schmied aus der fränkischen Kleinstadt Altdorf bei Nürnberg. Und mit diesem Zug hat der „kleine Gstumperte“, wie er sich selbst bezeichnete, die größten Erfolge erreicht, die ein Leichtathlet in den Siebzigerjahren erringen konnte.
Bei den Olympischen Spielen von 1972 in München gewann Klaus Wolfermann die Goldmedaille, mit einem Wurf auf 90,48 Meter; im Jahr darauf stellte er zwei Ziffern um und mit 94,08 Meter einen Weltrekord auf. In beiden Jahren wurde er zu Deutschlands Sportler des Jahres gewählt. In der Nacht zum Mittwoch ist Klaus Wolfermann im Alter von 78 Jahren gestorben, wie seine Familie der Deutschen Presse-Agentur bestätigte; zuvor hatte der Bayerische Rundfunk berichtet.
Erst vor zwei Jahren war Wolfermann noch einmal ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Als sich 2022 die Münchner Spiele zum 50. Mal jährten und die Erinnerung an Olympia ’72 wiederbelebt wurde, wurde er häufig gebeten, von jenem goldenen Sonntag zu erzählen, der in die Geschichte des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) eingegangen ist – vom 3. September 1972.
Wolfermann hatte in jenem Jahr zwar erstmals die 90-Meter-Marke übertroffen, aber der große Favorit für Olympia war der für die Sowjetunion startende Lette Janis Lusis, Olympiasieger von 1968 sowie Europameister von 1962, 1966, 1969 und 1971. Erst kurz vor den Münchner Spielen hatte Lusis seinen Weltrekord auf 93,80 Meter gesteigert. Auch im Finale hatte er die Maßstäbe gesetzt und früh 89,54 Meter vorgelegt. Im fünften Durchgang nahm Wolfermann seine ganze Kraft und seine ganze Technik zusammen, da rauschte der Speer 90,48 Meter weit.
Die 80 000 Menschen im Olympiastadion tobten, Klaus Wolfermann war ja so etwas wie ein Lokalmatador. Er hatte während seines Sportstudiums zwei Jahre lang das Trikot des TSV 1860 München getragen, ehe er zum SV Gendorf wechselte, weil er dort eine Stelle als Sportlehrer bekommen hatte.
90,46 Meter. Klaus Wolfermann hatte mit gerade mal zwei Zentimetern Vorsprung triumphiert
Aber noch war Lusis nicht geschlagen, noch hatte er einen Versuch, und schon 1968 in Mexiko-Stadt hatte er mit dem letzten Wurf gewonnen. Auch diesmal sollte es sein weitester werden, der Speer landete jenseits der 90-Meter-Marke. Die 80 000 hielten den Atem an – und brachen in unbeschreiblichen Jubel aus, als die Weite auf der Anzeigetafel aufleuchtete: 90,46 Meter. Klaus Wolfermann hatte mit gerade mal zwei Zentimetern Vorsprung triumphiert, die Daumenbreite eines Schmieds. Er ging hin zu Janis Lusis und entschuldigte sich, ihm die sicher geglaubte Goldmedaille weggeschnappt zu haben. Der Lette nahm es lachend hin, aus den Rivalen wurden später Freunde fürs Leben.
Auf Wolfermanns Wurf folgten innerhalb von nur einer Stunde dann noch zwei weitere Goldmedaillen für den DLV: durch die 800-Meter-Läuferin Hildegard Falck aus Wolfsburg und den 50-Kilometer-Geher Bernd Kannenberg aus Fürth. Es war ein rauschendes Fest, das an diesem Sonntag gefeiert wurde im Münchner Olympiastadion, und Klaus Wolfermann hatte das Glück, dass es da noch unbeschwert und heiter zuging in München. Zwei Tage später überfielen palästinensische Terroristen die israelische Mannschaft im Olympischen Dorf und brachten elf Sportler und Betreuer um.
So wenig wie dem Idealbild eines Speerwerfers entsprach Klaus Wolfermann auch der Vorstellung, die man sich gemeinhin von Olympia-Helden macht. Mit seiner gedrungenen Figur, seinem bereits in jungen Jahren rückläufigen Haar und seinem biederen Vollbart sah er eher aus „wie der Sparkassenbeamte im Ort“, fand der Laudator, als Wolfermann 2011 in die Ruhmeshalle des deutschen Sports aufgenommen wurde. Es gibt wenige deutsche Sportler, die man so sehr mit Olympia 1972 verbindet wie ihn. „Wenn die Sprache auf München kommt, werden immer drei Namen genannt“, erzählte Klaus Wolfermann gern: „Heide Rosendahl, Ulrike Meyfarth und meiner. Darauf bin ich stolz.“
Heide Rosendahl hatte damals die erste Goldmedaille für die Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland gewonnen, im Weitsprung, und die seinerzeit erst 16 Jahre alte Ulrike Meyfarth war später am höchsten gesprungen.
Bei Europameisterschaft holte er nie eine Medaille, Weltmeisterschaften gab es damals noch nicht und Olympia 1976 in Montreal verpasste er wegen einer Armverletzung
Viel mehr als Olympiasieg und Weltrekord kann man in der Leichtathletik nicht erreichen, viel mehr hat Wolfermann international erstaunlicherweise auch nicht erreicht. Zwar war er zwischen 1969 und 1974 sechsmal nacheinander deutscher Meister, aber bei Europameisterschaft holte er nie eine Medaille, Weltmeisterschaften gab es damals noch nicht und Olympia 1976 in Montreal verpasste er wegen einer Armverletzung. Der Zug, der so sehr rauschen konnte, war stillgelegt. Schon 1978 beendete er seine Karriere, mit gerade einmal 32 Jahren.
Dem Sport blieb er freilich verbunden, er arbeitete lange für einen fränkischen Sportartikelhersteller und betrieb später eine eigene Vermarktungsagentur. Seinen Ruhm setzte er auch gern für Hilfsprojekte ein. Sein Vater, auch das erzählte er gern, habe ihm neben dem körperlichen Talent auch eine soziale Ader mit auf den Lebensweg gegeben.