Kultur

Zum Tod des Autors Mario Vargas Llosa: Literatur als Waffe | ABC-Z

Mario Vargas Llosa war bis zuletzt ein streitbarer Autor und Intellektueller. Bei seinem letzten Besuch in Berlin, im September 2020, als er mitten in der Coronapandemie das Internationale Literaturfestival (ilb) eröffnete, erschien der Literaturnobelpreisträger ohne Maske, schüttelte Hände, als gälten bestimmte Regeln nicht für ihn.

„Ich muss über Literatur reden“, leitete er seine Rede ein vor den pandemiebedingt gelichteten Reihen des Kammermusiksaals der Philharmonie. „In den freien Ländern hat man manchmal den Eindruck, die Literatur sei nur ein Zeitvertreib, ein flüchtiges Vergnügen unter vielen“. Sobald die Freiheit aber eingeschränkt werde, würde die Literatur zu einer Waffe. Die Macht misstraue der Literatur und übe Zensur aus. Doch die Literatur fände immer eine Art und Weise, sich zu manifestieren und sie sei stets gegen unterdrückerische Regime und für die Freiheit.

Mit diesen Worten seiner Rede kehrte Vargas Llosa zu den Anliegen seiner frühen Romanen zurück, in denen er den Mächtigen einen Spiegel vorhielt und Unterdrückung und Korruption in Peru anprangerte. Geboren wurde Mario Vargas Llosa 1936 in Arequipa im Süden Perus. Da sich seine Eltern scheiden ließen, als er gerade erst ein Jahr alt war, ging seine Mutter mit seinem Großvater nach Bolivien, wo er aufwuchs. Seinen Vater lernte er erst im Alter von zehn Jahren nach seiner Rückkehr nach Peru kennen.

Ihr Verhältnis stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Der strenge Vater schickte ihn mit 14 auf die militärische Oberschule in Callao, einem Hafenvorort von Lima. Noch während seiner Schulzeit begann Vargas Llosa als Journalist zu arbeiten, schrieb für die Zeitung La Crónica Reportagen und führte Interviews. Doch er litt unter der militärischen Disziplin der Schule und verließ sie und zog nach Piura im Norden Perus, wo er für lokale Zeitungen arbeitete. Später kehrte er zum Studium nach Lima zurück, graduierte an der renommierten San Marco Universität als einer der besten im Bereich Literatur.

Erfahrungen aus der Militärschule

Mitte der 1950er erschienen seine ersten Erzählungen in Zeitungen. Er ging nach Madrid mit einem Stipendium und dann nach Paris, wo er anfing, professionell zu schreiben. Seinen Ruhm als Schriftsteller erlangte er in den 1960er Jahren mit Romanen wie „Die Stadt und die Hunde“ (1963), „Das grüne Haus“ (1966) und „Gespräch in der Kathedrale“ (1969). Während er in seinem ersten Roman „Die Stadt und die Hunde“ seine Erfahrungen in der Militärschule verarbeitet und die Hauptstadt Lima und insbesondere das Viertel Miraflores porträtiert, spielt „Das grüne Haus“ im Norden Perus, in der Gegend um die Wüstenstadt Pirua und im Amazonastiefland.

Darin kreuzen sich im namensgebenden grüngestrichenen Haus, das als Bordell dient, die verschiedenen Erzählstränge der Figuren. Vargas Llosa erzählt von der erzwungenen Christianisierung der indigenen Bevölkerung anhand des Schicksals eines Dienstmädchens, von der Ausbeutung der Arbeiter auf den Kautschukplantagen und den Repressalien der Regierung bei Streiks.

Das folgende Buch, „Gespräch in der Kathedrale“, ist ein äußerst vielschichtiger, experimenteller Roman, in dem in langen Unterhaltungen von Gästen der Limaer Bar „Kathedrale“ das unterdrückerische Regime von General Manuel Odría bloßgelegt wird. Dieser regierte von 1948 bis 1956 Peru diktatorisch. Während Vargas Llosa seine ersten Romane selbst als „totale Romane“ bezeichnet, weil er mit ihnen versuchte, ein möglichst vollständiges Abbild der Realität zu erschaffen, änderte sich in den 1970ern sein Stil, er wurde einfacher und humorvoller, übernahm Elemente aus Kriminal- und Liebesromanen.

Außerdem nahm sich Vargas Llosa historischer Stoffe anderer Länder an, wie etwa der Bewegung eines charismatischen Wanderpredigers im brasilianischen Bahía des 19. Jahrhunderts in „Krieg am Ende der Welt“ (1981) der Geschichte der Trujillo-Diktator in der Dominikanischen Republik in „Das Fest des Ziegenbocks“ (2000) oder der Biografie des irischen Nationalisten Roger Casements in „Der Traum des Kelten“ (2010). Für sein Schreiben wurde er 2010 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

Kuba-Begeisterung in den 1960er Jahren

Zusammen mit seinen etwas älteren Kollegen Gabriel García Márquez, Carlos Fuentes und Julio Cortázar zählte er zu den bekanntesten Autoren des sogenannten „Booms“ der lateinamerikanischen Literatur. So wie sie hing auch er zunächst linken Ideen an. 1962 lernte er während der Kuba-Krise das Land als Korrespondent kennen.

Damals äußerte er seine Sympathie für die Revolution und nahm 1965 an der Jury des Premio Casa de las Américas teil. Nach der Verhaftung des Schriftstellers Ernesto Padilla 1967 brach er mit der Castro-Regierung und stritt sich später öffentlich mit seinen lateinamerikanischen Kollegen, die wie García Márquez der kubanischen Revolution weiterhin die Treue hielten.

Vargas Llosa machte in der Folge eine ideologische 180-Grad-Wende, wurde zum Anhänger neoliberaler Doktrinen und ging schließlich selbst in die Politik. 1990 scheiterte als Kandidat des Mitte-Rechts Lagers gegen den späteren Präsidenten Alberto Fujimori. In „Der Fisch im Wasser“ (1993) schrieb er über das Jahr seiner Präsidentschaftskandidatur.

Wenn ihn ein aktuelles politisches Thema triggerte, griff er zur Feder und teilte in seinen Kolumnen in der spanischen Zeitung El País schonungslos aus, unterstützte dabei mitunter fragwürdige Politiker wie den rechtsextremen chilenischen Präsidentschaftskandidaten José Antonio Kast. Seine letzte Kolumne erschien Ende 2023, danach zog sich Vargas Llosa aus der Öffentlichkeit zurück.

So bleibt am Ende eines langen Lebens ein nicht ungetrübtes Bild. Ein fleißiger, wortgewaltiger und vielfach ausgezeichneter Autor, der bis ins hohe Alter Romane, Erzählungen und Essays über Politik und Schriftstellerkollegen wie Flaubert und Juan Carlos Onetti verfasste. Zum anderen ein Mensch, der immer wieder aneckte und für Polemiken sorgte. Am Sonntag ist er im Alter von 89 Jahren in Lima gestorben.

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