SPD-Parteispitze: Hat sich Lars Klingbeil übernommen? | ABC-Z

Eine kleine Spitze erlaubt sich Saskia Esken zum Abschied dann doch: Sie werde die Partei nun nicht wieder “vergiften”, nachdem sie sie zuerst “entgiftet” habe – “anders als vielleicht andere ehemalige Vorsitzende”. So sagt sie es an diesem Montag im Willy-Brandt-Haus der Presse. Eine eher milde Kritik, bedenkt man, wie Esken zuletzt in der Partei (und darüber hinaus) erniedrigt wurde. Gleichwohl ist es eine Kritik, mit der Esken deutlich macht: Sie stellt sich und ihren Rückzug in den Dienst der Partei und ihrer Geschlossenheit.
Esken zieht zurück, Bärbel Bas bewirbt sich an ihrer Stelle um den Co-Parteivorsitz, auf Matthias Miersch folgt als Generalsekretär mit sofortiger Wirkung der 33-jährige Parteilinke Tim Klüssendorf. Damit ist das Projekt abgeschlossen, das Lars Klingbeil unter die Überschrift personeller Neuanfang gestellt hatte. Von dem Moment an, als er am Wahlabend den “Generationswechsel” ausrief, hat Klingbeil die Partei vor allem mit einem Ziel neu ausgerichtet: sie hinter der eigenen Person zu versammeln.
Hat Klingbeil sich übernommen?
Finanzminister, Vizekanzler, Parteivorsitzender, zwischenzeitlich führte er die Fraktion: Klingbeil, der die historische Wahlniederlage der SPD maßgeblich mitzuverantworten hat, ist damit vorerst auf dem Höhepunkt seiner Macht. Und geht gleichzeitig ein großes Risiko ein. Auf ihn ist nun alles zugeschnitten. So sehr, dass man sich fragt: Hat Lars Klingbeil sich damit übernommen?
Er, der Parteistratege, muss dabei nun leisten, woran auch er selbst im letzten Wahlkampf gescheitert ist: eine Vision von Sozialdemokratie zu entwickeln, die der SPD als Volkspartei wieder Gewicht verleiht. Auf die personelle müsste jetzt auch die inhaltliche Neuaufstellung folgen. Doch anders als beim Personal lässt die SPD unter Lars Klingbeil bei den neuen Inhalten noch kein besonderes Konzept erkennen.
Klingbeil hat seine Kritiker marginalisiert – sein Widersacher etwa, Ex-Arbeitsminister Hubertus Heil, ist weitgehend isoliert –, aber ganz verschwunden sind sie nicht. Auf zwei Landesparteitagen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein am vergangenen Wochenende machten einige ihrem Frust Luft. In Duisburg und Husum warfen ihm enttäuschte Genossinnen und Genossen vor, Esken die alleinige Verantwortung für die Wahlniederlage zuzuschieben, während er selbst es an Demut fehlen lasse.
Bisher sind diese Misstöne allerdings nicht mehr als ein vereinzelter Basis-Protest – und als solcher in der SPD nichts Ungewöhnliches. Wenn eine wütende Abgeordnete sagt, bei all den “Strippenziehereien” würde kaum noch darauf geachtet, dass “Inhalte verfolgt werden können”, dann bleibt sie mit ihrer Kritik vorerst allein.
Bärbel Bas – Klingbeils vielleicht wichtigster Coup
Als die Juso-Landesvorsitzende Nina Gaedike auf dem NRW-Parteitag Klingbeil ein vorwurfsvolles “Was ist dein Plan, Lars?” zuruft, zeigt sie damit auch: Selbst seine Kritiker erwarten nun in erster Linie von Klingbeil, die SPD aus ihrem Tief herauszuführen. An Klingbeil ist derzeit also gerade kein Vorbeikommen.
Auch sonst verläuft die “Klingbeilisierung” der SPD bisher sehr effektiv. Der SPD-Chef hält engen Kontakt zu den SPD-Ministerpräsidenten und allen relevanten Gremien und bindet die innerparteilichen Strömungen ein, die Parteilinken und die Seeheimer, wenn es darum geht, seine eigenen Personalvorstellungen durchzusetzen.
Mit Bärbel Bas als künftiger Co-Vorsitzenden ist Klingbeil sein vielleicht wichtigster Coup gelungen. Bas ist beliebt in der Partei und bei den Wählern, gewann bei der letzten Wahl zum vierten Mal in Folge das Direktmandat in ihrem Wahlkreis. Als Bundestagspräsidentin wurde sie immer wieder für ihren souveränen Umgang mit der AfD gelobt, wodurch sie die Würde des Parlaments, so gut es eben ging, geschützt habe. Sie kommt aus dem ehemaligen SPD-Kerngebiet Duisburg und kennt als Bildungsaufsteigerin “die Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit”, wie sie selbst sagt.
Mit ihr hat Klingbeil eine echte Größe in der Partei für sich gewonnen. Sie bringt vier weitere Vorteile mit sich: Erstens ist sie eine Frau, zweitens nicht aus Niedersachsen (wie er selbst, Boris Pistorius und der neue Fraktionschef Matthias Miersch) und drittens hat sie Klingbeils Machtanspruch von Anfang an unmissverständlich unterstützt. Klingbeil weiß, dass er im Verdacht steht, er würde sich nur noch mit Gefolgsleuten umgeben. Bas ist, viertens, auch deshalb ein Gewinn, weil sie emanzipiert genug ist, nicht in diese Kategorie zu fallen.
Ihr sei die Entscheidung “nicht leicht gefallen”, für den Parteivorsitz zu kandidieren, sagt Bärbel Bas an diesem Montag. Und formuliert damit auch gegenüber ihrem künftigen Co-Vorsitzenden einen Anspruch auf Eigenständigkeit. Nicht Klingbeil habe sie an die Macht geholt, soll das nämlich heißen, sondern sie habe sich dazu entschieden, nachdem sie vielfach darum gebeten wurde. Auch für sie ist es ein Risiko, neben diesen mächtigen Parteivorsitzenden als Co-Chefin zu treten. Ob sie ihrem eigenen Anspruch gerecht wird und ob Klingbeil damit umgehen kann, wird sich zeigen.