Geopolitik

SPD: Mehr Staat wagen | ZEIT ONLINE | ABC-Z

Lars Klingbeil begann seine politische Karriere unter den
Fittichen Gerhard Schröders. Und das, was der heutige Co-Vorsitzende der SPD dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte, hatte den Schein des Bekannten, klang retromäßig
nach Schröder und seinen Hartz-Reformen: “Uns ist der Charakter als Partei der
Arbeit abhandengekommen”, so Klingbeil. Die Sozialdemokraten seien nicht mehr
eine “Partei, die für Menschen da ist, die Leistung zeigen im Job, in der
Familie oder auch im Ehrenamt.” Stattdessen werde die SPD als Partei
wahrgenommen, die sich “angeblich nur um das Bürgergeld” kümmere. “Diesem
Eindruck müssen wir doch entgegentreten.”

Als Finanzminister wird Klingbeil ohnehin nichts anderes
übrigbleiben: Im Koalitionsvertrag zwischen
seiner Partei und der Union
ist ja die Abschaffung des Bürgergelds beschlossen.
Im Geist von Schröders Agenda 2010 soll die künftige “Grundsicherung für
Arbeitssuchende” diejenigen belohnen, die sich um reguläre Arbeit bemühen, und angeblich
oder wirklich Arbeitsunwillige bis hin zum völligen Leistungsentzug bestrafen.
Durch bessere Zusammenarbeit der diversen Sozial- und Sicherheitsbehörden soll
der Missbrauch bekämpft werden, und wer nach Ansicht der Behörden eine zu teure
Wohnung oder ein zu großes Vermögen hat, kann beides künftig schneller
verlieren als bisher.

Die SPD ist keine Arbeiterpartei mehr

Sagen wir es so: Man hätte Klingbeil seine Erleuchtung eher
abgenommen, wäre sie nicht der offensichtliche Versuch, aus der Not knapper Sozialkassen
eine sozialdemokratische Tugend zu machen. Dabei hat Klingbeil euphemistisch von
der SPD als “Partei der Arbeit” gesprochen, also nicht einmal mehr verbal den
Anspruch erhoben, die Partei der Arbeiter und Arbeiterinnen zu sein. Denn das
ist die SPD schon lange nicht mehr. Die Arbeiterschaft wählt mehrheitlich rechts.

So stammten bei der letzten Bundestagswahl nur 12 Prozent
der SPD-Stimmen von Arbeitern
; bei der Union waren es 22, bei der AfD satte 38
Prozent. Die bei weitem größte Wählergruppe der Sozialdemokraten sind Rentner
und Rentnerinnen. “Bei Onkel Pö spielt ‘ne Rentnerband / Seit 20 Jahren
Dixieland”, sang einst Udo Lindenberg. Nachhaltig ist das nicht.

Nachhaltig ist es darum auch nicht, wie vor 20 Jahren auf
die Arbeitslosen einzudreschen und das hohe Lied der Leistung zu singen, die
sich wieder lohnen müsse – ganz davon abgesehen, dass FDP, Union und AfD das besser
können. Mit 6,3 Prozent ist die Arbeitslosenquote in Deutschland immer noch
niedrig im Vergleich zu 2005, als Angela Merkel bei ihrem Regierungsantritt mit
11,6 Prozent fertig werden musste. Bis 2019 war die Quote auf fünf Prozent
gesunken, und wenn sie seitdem leicht gestiegen ist, so hat das weniger mit
Arbeitsunwilligkeit und Sozialbetrug zu tun, als mit Putins Krieg und Trumps
Tarifen, der kurzsichtigen Energiepolitik deutscher Regierungen und der noch
kurzsichtigeren Exportpolitik deutscher Konzerne, von Corona und KI ganz zu
schweigen; von Faktoren also, die jenseits der Einflussmöglichkeiten deutscher
Arbeiterinnen und Arbeiter liegen, sie mögen noch so hart arbeiten.

Und wenn es auch stimmt, wie es Klingbeils Chef,
Bundeskanzler Friedrich Merz, dieser Tage gesagt hat, dass wir alle mehr
arbeiten müssen, so nicht deshalb, weil einige Sozialbetrüger auf der faulen
Haut liegen und das Bürgergeld allzu üppig fließt, sondern weil unsere
Infrastruktur marode ist, unsere Streitkräfte zu klein und zu schlecht
bewaffnet sind, die Rentner und Rentnerinnen aber immer mehr werden und auch bei
der Union die größte Wählergruppe stellen. Natürlich
hören sie Appelle zur Mehrarbeit und Tiraden gegen das Bürgergeld gern. Sie
sind davon ja nicht betroffen.

Was soll man also der SPD raten? Traditionell ist sie die
Partei des öffentlichen Diensts, genauer: der Sozialbürokratie. Darin liegt
auch ihr Problem; denn – kurz und böse formuliert – diese Bürokratie lebt davon, dass sie gebraucht wird. “Die Armen habt ihr allezeit bei euch”, sagte
Jesus von Nazareth, und das ist auch das Motto der Sozial- und Wohnungsämter, Jobcenter, Jugendhelfer.

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