Spahn, Miersch und die Fraktionsklausur: Zwei Mittel gegen die AfD | ABC-Z

Erst den Zusammenhalt in der Koalition stärken, dann den im ganzen Land: Mit dieser Botschaft haben am Freitag die Fraktionsspitzen von Union und SPD ihre zweitägige Klausur in Würzburg beendet. Gemeinsam wollen die Parteien der AfD den Wind aus den Segeln nehmen. Neues vereinbarten die Koalitionäre jedoch nicht. Weniger Bürokratie, mehr Netto vom Brutto, mehr Tariflöhne und Ähnliches: Das sechsseitige Abschlusspapier gleicht einem „Best of“ des Koalitionsvertrags.
Aber was hilft gegen die AfD? Mit in Würzburg dabei war auf Einladung der SPD die Ökonomin Nicola Fuchs-Schündeln, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB). Die Ökonomin riet den Regierungsparteien zwei Dinge: „Erstens muss der Staat für eine funktionierende Daseinsvorsorge vor Ort sorgen, sonst steigt die Zustimmung für populistische Parteien“, sagte Fuchs-Schündeln im Anschluss an die Gespräche der F.A.Z. Zweitens brauche es in Deutschland mehr Raum für Wirtschaftswachstum, „auch das stärkt die Demokratie.“
Die 170-Milliarden-Euro-Lücke
Unter einer funktionierenden Daseinsvorsorge versteht die Forscherin Dinge wie Bildung, Betreuung, Gesundheit, Mobilität, Sicherheit und Wohnen. „Der Staat muss vor Ort als handlungsfähig wahrgenommen werden, dann gibt es auch mehr Zustimmung zur Demokratie“, betont Fuchs-Schündeln. Eine Analyse ihres Instituts hat ergeben, dass nicht Faktoren wie Einkommensungleichheit oder offene Grenzen die Hauptursachen für Extremismus sind, sondern die Frage, ob die öffentliche Infrastruktur gut funktioniert.
Den von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten 500-Milliarden-Euro-Schuldentopf für staatliche Investitionen hält Fuchs-Schündeln deshalb für richtig. „Ich hoffe sehr, dass das Geld gut ausgegeben wird, da gibt es jetzt natürlich viele Begehrlichkeiten.“
Ihren zweiten Punkt – die Bedeutung von Wirtschaftswachstum für eine stabile Demokratie – untermauerte die Ökonomin auf der Klausurtagung so: „Wachstum verhindert, dass es ständig große Verteilungskämpfe um das knappe Geld gibt.“ Als Schlüssel für Wachstum sieht Fuchs-Schündeln Deregulierung. „Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine Verrechtlichung vieler Lebensbereiche erlebt“, kritisiert sie. Die Regelungsdichte mache Investitionen unattraktiv. Arbeitnehmer müssten viel Zeit auf die Einhaltung der Regeln verwenden – Zeit, in der sie produktiver sein könnten. Es brauche einen Mentalitätswandel hin zu mehr Risikobereitschaft, größerer Vereinfachung, weniger Einzelfallgerechtigkeit. Eine wichtige Frage, die in Würzburg in diesem Zusammenhang diskutiert wurde: Wie kann die Politik erreichen, dass die Bürger solche Veränderungen als positiv wahrnehmen?
„Reiche nicht stigmatisieren“
Der Handlungsdruck ist groß: Im Haushalt klafft bis 2029 eine Lücke von mehr als 170 Milliarden Euro, die Sozialabgaben steigen immer weiter, die Rückkehr zu Wirtschaftswachstum lässt weiter auf sich warten. Nicht nur die Politik ringt in dieser Gemengelage um die richtigen Reformen. Auch an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft wird darüber intensiv diskutiert. Einer, der in beiden Bereichen gut vernetzt ist, ist Harald Christ. Lange engagierte sich der Unternehmer politisch für die SPD, bevor er enttäuscht zur FDP übersiedelte – diese im Zuge der „D-Day“-Pläne aber auch verließ. Auf Parteiinteressen muss Christ keine Rücksicht mehr nehmen. Entsprechend deutlich wird er im Gespräch mit der F.A.Z..
Der Aussage von Finanzminister und SPD-Chef Lars Klingbeil, Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen müssten mehr zur Gerechtigkeit im Land beitragen, kann Christ – der zum Kreis der Angesprochenen zählt – wenig abgewinnen. „Die Akzeptanz für eine höhere Besteuerung der sogenannten Reichen erreicht man sicherlich nicht, in dem man sie stigmatisiert“, sagt er. „Zu sagen, dass diese Gruppe aktuell zu wenig für die Gerechtigkeit im Land tue, klingt wie eine Anklage. Und es ist angesichts der jetzt schon hohen Steuerbelastung auch inhaltlich einfach falsch.“
Die Rhetorik der Genossen hält Christ für kontraproduktiv. „Viele Unternehmer, mich eingeschlossen, wären durchaus bereit, einen zusätzlichen Beitrag zu leisten – aber nur, wenn es ein überzeugendes Gesamtkonzept gibt. Wenn die Belastung an einer Stelle steigt, aber an einer anderen sinkt.“ Es müsse klar werden, dass es der Regierung nicht nur um höhere Einnahmen gehe, sondern auch Ausgaben „intelligent“ gekürzt würden. Christ ist überzeugt, dass dann auch eine höhere Reichen- oder Erbschaftsteuer vermittelbar wären. „Es braucht eine maximale gemeinsame Kraftanstrengung, um Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen“, sagt Christ. Er fügt aber hinzu: „Die sehe ich aktuell noch nicht.“
Vom Kanzler und dem Finanzminister wünscht der Unternehmer sich vor allem eine ehrliche Bestandsaufnahme. „Es wäre gut, mehr Realität zu wagen. Die Finanznöte der Sozialversicherung nicht schönreden, sondern klar benennen. Und die Botschaft setzen: Alle müssen in einem ,fair deal‘ dazu beitragen, dieses Land wieder nach vorne zu bringen.“
Ob man es in der Union so gerne hört, dass ein bekannter Vertreter aus der Wirtschaft sich offen für Steuererhöhungen zeigt, ist fraglich. Als kürzlich der CDU-Finanzpolitiker Andreas Mattfeldt, selbst von Beruf Unternehmer, ähnlich argumentierte, bekam er sogleich den Unmut seiner Parteikollegen zu spüren.





















