Sondierungsgespräche: Schwarz-Rot legt Blitzstart hin – Die Besetzungen der Teams sind vielsagend | ABC-Z

Anders als geplant starten die Sondierungsgespräche von Union und SPD zur Bildung einer Bundesregierung schon am Freitag. Über Details der Gespräche hüllen sich beide Seiten in Schweigen. Aber die Besetzung der Teams lässt Rückschlüsse zu.
Wahlsieger Friedrich Merz (CDU) will möglichst schnell eine neue Bundesregierung bilden – und macht mächtig Druck auf die SPD. Donnerstagmittag war aus den Reihen der Union noch erklärt worden, Sondierungsgespräche würde erst ab Mittwoch kommender Woche beginnen. Die SPD wolle Zeit gewinnen und die Bürgerschaftswahl in Hamburg abwarten. Die Sozialdemokraten erhoffen sich von einem absehbaren Wahlsieg an der Alster Rückenwind für die Gespräche mit der Union über ein Regierungsbündnis im Bund.
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Am Abend dann die Nachricht, die auch viele in CDU und CSU überraschte: Die Sondierungsgespräche sollen schon am Freitag beginnen. Wenige Stunden zuvor hatte es nach Informationen von WELT ein Treffen von Merz mit Lars Klingbeil, dem Co-Vorsitzenden der SPD und frisch gekürten Fraktionsvorsitzenden, gegeben. Dabei sei entschieden worden, umgehend in die Verhandlungen einzusteigen.
Zuerst hatte „Bild“ über den Blitzstart berichtet – auf diesem Weg hatten dann auch sonst gut unterrichtete CDU- und CSU-Funktionäre davon erfahren. Unionsfraktionschef Merz weiht in seinen Aktionsplan jeweils nur eine Hand voll Vertraute ein. Über Inhalte der Sondierungen wurde zunächst nichts bekannt. Unklar ist auch, was die SPD dazu veranlasst hat, nun doch möglichst schnell mit der Union offizielle Verhandlungen aufzunehmen.
Strikte Vertraulichkeit
Die sollen nach dem Willen beider Seiten anders laufen, als bei den Gesprächen zur Koalitionsbildung von SPD, Grünen und FDP nach der Bundestagswahl im September 2021 mit Selfies, Wasserstandsmeldungen und Indiskretionen. Oder bei den sogenannten Jamaika-Sondierungsgesprächen von Union, FDP und Grünen im Oktober/November 2017, die zum Teil mit öffentlicher Anteilnahme zelebriert wurden. Merz wie Klingbeil, die beiden Köpfe der Delegationen, wollen strikte Vertraulichkeit.
Das geht so weit, dass Klingbeil im Vorfeld erklärt hat: „Vorschläge, von denen ich öffentlich aus der Zeitung erfahre, die sind automatisch vom Tisch.“ Das Team Merz wiederum hüllt sich zu allen Details, die die Gespräche betreffen, in Schweigen. Kein Wort, keine Angaben außer der Bestätigung von Verhandlungen mit je neun Partnern.
Die nächste Überraschung: die Sondierungsteams sind damit größer als gedacht. Die Union wollte zunächst nur sechs Verhandler ins Rennen schicken. Schlank, übersichtlich, reaktionsschnell – so wollte Merz sein Team aufstellen. Und den Kreis möglichst klein halten, um die Gefahr von Informationslecks zu minimieren. Aber letztlich musste Merz den Kreis erweitern.
Merz-CDU trifft auf die „alte SPD“
Wohl auch, weil ein Foto der gesetzten Unterhändler der Union am Dienstag die Runde gemacht hatte. Darauf waren neben Merz zu sehen: CSU-Chef Markus Söder, die Generalsekretäre von CDU und CSU, Carsten Linnemann und Martin Huber, Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt – also nicht eine Frau. Weil man aber die Genannten nicht so ohne weiteres aus der Verhandlungsgruppe nehmen will, wird die nun erweitert: Laut „Bild“ und dpa um den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, die stellvertretende CDU-Vorsitzende Karin Prien und die CSU-Politikerin Dorothee Bär.
Bestätigen will das in der Union jedoch niemand. Die SPD ist in diesem Punkt mitteilsamer. Im Verhandlungsteam dort sind nach Informationen der Partei neben Klingbeil: die Co-Vorsitzende Saskia Esken, Generalsekretär Matthias Miersch, Verteidigungsminister Boris Pistorius, die Ministerpräsidentinnen Anke Rehlinger (Saarland) und Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern), Noch-Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Arbeitsminister Hubertus Heil sowie Bundes-Vizechef Achim Post.
Die Delegationsliste der SPD ist keine Überraschung: Dort sind jene Sozialdemokraten versammelt, die in der Partei über wichtige Ämter und Einfluss verfügen. Auffällig ist nur, dass Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil fehlt. Womöglich ist der Proporz Männer-Frauen der Grund dafür. Spannender ist, was sich an der Besetzung der SPD-Delegation ablesen lässt: Es sind keine neuen Gesichter darunter, kein Mitglied, das für einen Aufbruch, einen Neuanfang, einen politischen Kurswechsel steht. Die SPD wird überwiegend daher wohl mit den Positionen in die Verhandlungen gehen, die sie bislang auch in der Ampel-Koalition vertreten hat. Die „Merz-CDU“ wird auf die „alte SPD“ treffen.
Das kann Sondierungen erschweren. Allerdings ist der Anteil der SPD-Vertreter, die für einen pragmatischen Kurs stehen, also durchaus zu Korrekturen und Zugeständnissen bereit sein könnten, groß. Klingbeil gehört zu dieser Gruppe, Pistorius, aber auch Anke Rehlinger, die eine zunehmend wichtige Rolle in der Partei spielt.
Eine schwarze-rote Koalition ist nach der Bundestagswahl die wahrscheinlichste Regierung. Merz hat wiederholt deutlich gemacht, dass er bis Ostern eine Regierung bilden möchte. Also vor Ende April. Es werden komplizierte Verhandlungen erwartet – bei Themen wie Migration, Schuldenbremse und Ukraine-Politik gibt es deutliche Differenzen.
Extrawurst für Bayern?
Dass beide Seiten nun schon zu den Sondierungen mit größeren Teams als geplant auflaufen, macht die Gespräche nicht einfacher. In der SPD sind Vertreter des linken und des konservativen Flügels vertreten, außerdem zwei Ministerpräsidentinnen, die sich massiv für die Belange der Bundesländer einsetzen werden.
Im Unionslager ist dagegen die CSU stark vertreten. Die Gruppe um Ministerpräsident Markus Söder wird sich stark dafür einsetzen, dass die „Benachteiligung Bayerns durch die Ampel-Koalition“, wie man das im Freistaat wahrnimmt, wiedergutgemacht wird. Das setzt Merz unter Druck, den Interessen Bayerns besondere Beachtung zu schenken. Was nicht jedem in der CDU, vor allem dem selbstbewussten Landesverband NRW um Ministerpräsident Hendrik Wüst, gefallen dürfte.
Interessant wird, ob nach der jetzigen Aufstellung ein weiteres Ziel von Friedrich Merz und CDU-Generalsekretär Linnemann noch umsetzbar ist: am Ende einen überschaubaren, auf das Wesentliche beschränkten Koalitionsvertrag abzuschließen. Das soll verhindern, dass die kommende Bundesregierung anders als die Ampel nicht den Großteil der Wahlperiode damit beschäftigt ist, das Koalitionsprogramm abzuarbeiten und dabei mit vom Krisenmanagement überfordert wird. Die Bundesregierung soll flexibler handeln können.
In den auf die Sondierung folgenden Koalitionsgesprächen sollten eigentlich keine großen Fachgruppen von Parteifachleuten miteinander verhandeln wie sonst üblich, sondern kleine, reaktionsschnelle Teams. Ob das dazu kommt, wenn schon in der Sondierungsgruppe 18 Teilnehmer sitzen, darf bezweifelt werden.