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Sollte die CDU sich „rechts“ nennen? | ABC-Z

Das politische Spektrum der Bundesrepublik, sofern es sich an den Selbstbeschreibungen der maßgeblichen Parteien bemisst, beginnt traditionell links und endet in der Mitte. Während die SPD sich seit ihrem Godesberger Parteitag von 1959 als „linke Volkspartei“ versteht, sind CDU und CSU vor der analogen Bezeichnung als „rechte Volkspartei“ immer zurückgeschreckt: Ob unter Adenauer, Kohl, Strauß oder Merkel, stets wollte die Union die Partei der „Mitte“ sein. Während die Grünen sich bereitwillig links der Mitte eingeordnet haben und zuletzt sogar eine Partei koalitionsfähig geworden ist, die „links“ bereits im Namen führt, möchte die FDP schlicht „liberal“ oder, nach ihrem jüngsten Slogan, „radikale Mitte“ sein.

Unter logischen Gesichtspunkten ist das schon immer widersprüchlich gewesen. Die Begriffe des politischen Spek­trums sind schließlich relative Begriffe: Was als links gilt, ist auch abhängig davon, was als rechts gilt; man steht links und rechts in Bezug auf andere Akteure. Wenn es also, nach einem viel beschworenen Strauß-Wort, „rechts von der CDU/CSU keine demokratische Partei geben“ durfte, dann besetzte die Union innerhalb des demokratischen Spek­trums zwangsläufig die rechte Seite. Um christdemokratische Positionen zu beschreiben und sie von verfassungsfeindlichen Haltungen abzugrenzen, wäre eine Differenzierung von „Mitte-rechts“, „rechts“ und „rechtsextrem“ deswegen seit jeher schlüssig gewesen. In den meisten europäischen Ländern ist sie gang und gäbe.

Lange konnte sich rechts keine Kraft etablieren

In Deutschland überwog der Wunsch, schon definitorisch den größtmöglichen Abstand zwischen sich und dem Erbe der Nationalsozialisten zu schaffen. Die semantische Leerstelle, die dadurch entstand, war lange Zeit auch nicht weiter problematisch. Denn über Jahrzehnte gelang es der Union, zentristisches Selbstbild hin oder her, Positionen bis an den rechten Rand des politischen Spek­trums abzudecken und in die Partei zu integrieren. So blieb der begriffliche Freiraum auf der rechten Seite des Parteiensystems bis vor Kurzem ein Zone, in der sich keine Kraft längerfristig politisch behaupten konnte.

Die Kanzlerin der „Mitte“: Angela Merkel 2009Stefan Boness

Das hat sich nun geändert. Unter Merkel warb die Union nicht nur offensiver denn je zuvor mit ihrem Selbstverständnis als „Die Mitte“, wie es auf Wahlplakaten und Rednerpulten hieß, sondern gab auch zahlreiche Kernpositionen der demokratischen Rechten auf. Auch deswegen (ob vor allem deswegen, wäre eine andere Frage) konnte sich in den vergangenen zehn Jahren erstmals eine Partei etablieren, deren Politiker deutlich weniger mit dem Begriff „rechts“ fremdeln als CDU und CSU, die Grenzen zu „rechtsextrem“ dabei aber immer wieder verwischen. War es also ein Fehler, das Feld rechts der Mitte nicht nur inhaltlich, sondern auch begrifflich der AfD zu überlassen? Und wäre es eine gute Idee, es nun zurückzuerobern?

„Kategorien von rechts und links noch brauchbar“

In dem, was man das intellektuelle Vorfeld der Union nennen könnte – ein seit jeher ziemlich kleiner Bereich –, werden in jüngster Zeit Stimmen laut, die der Partei einen selbstbewussteren Umgang mit dem Terminus „rechts“ und seinen Ableitungen empfehlen. So warnte Mark Speich, seit Juli 2025 Generalsekretär der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, in einem Gastbeitrag kurz nach Amtsantritt vor einer „politisch nicht weiter differenzierten Mitte, die für die populistischen Kräfte der Ränder ein umso leichteres Ziel böte“.

Mark Speich 2024
Mark Speich 2024Picture Alliance

Stattdessen brauche es Differenzierung auch innerhalb des demokratischen Spektrums, „und für diese Differenzierung sind die klassischen Kategorien von rechts und links immer noch brauchbar“. Deswegen sollten CDU und CSU offensiv für ein „Angebot von Mitte-rechts“ werben und Versuchen widerstehen, „Mitte-rechts“ aus der politischen Mitte zu verdrängen.

Abwertung von „rechts“ eine jüngere Entwicklung

Ähnlich wie Speich, nur noch entschiedener und auf breiterer Basis, argumentiert auch Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg. Hoeres, der in Fachkreisen manchen als „rechts“ gilt, sich selbst nach herkömmlichem Schema aber wohl als „konservativ“ verstehen würde, geht in seinem neuen schmalen Buch einen ideengeschichtlichen Umweg, um für eine Rehabilitierung des Begriffs „rechts“ zu plädieren („Rechts und links: Zur Karriere einer folgenreichen Unterscheidung in Geschichte und Gegenwart“).

In den meisten Kulturen und Epochen, zeigt er, ist „rechts“ positiv konnotiert gewesen: Jesus etwa sitzt „zur Rechten“, nicht „zur Linken“ Gottes. Die politische Abwertung des Begriffs sei demnach eine jüngere, weitgehend auf Deutschland begrenzte und allemal reversible Entwicklung.

Streitbarer Historiker aus Würzburg: Peter Hoeres
Streitbarer Historiker aus Würzburg: Peter HoeresWikimedia

Gelegentlich läuft Hoeres auf seiner Umwertungsmission in argumentative Sackgassen hinein. So versucht er anhand von zeitgenössischen (Selbst-)Beschreibungen zu beweisen, dass der Nationalsozialismus gar nicht „rechts“ gewesen sei – obwohl die rechte Lehre von der Ungleichheit der Rassen für diesen doch zweifellos charakteristischer und für die Welt folgenreicher war als die linke Idee der Gleichheit jenseits aller Klassen. Und wenn Hoeres Teilnehmern des „Kampfes gegen Rechts“ vorwirft, sie beteiligten sich „an der Zerstörung der bürgerlichen Freiheit, der Grundrechte und einer zivilisierten Debattenkultur“, schießt er rhetorisch weit über das Ziel hinaus.

Diesseits solcher polemischen Spitzen trifft Hoeres aber wiederholt einen wahren Kern. Denn wenn der Begriff „links“ die linksextremen Diktaturen des 20. Jahrhunderts schadlos überstanden hat, kann es dann nicht auch ein „rechts“ geben, das nichts mit dem Nationalsozialismus gemein hat? Und wenn sich in Meinungsumfragen ebenso viele Menschen rechts wie links der Mitte verorten (jeweils knapp ein Drittel), ist es dann nicht ein Fehler, die „Rechten“ als eine homogene Gruppe zu betrachten, die im Namen der Demokratie bekämpft werden müsse?

Hoeres plädiert für begriffliche Differenzierung und empfiehlt den bürgerlichen Parteien, „sich um eine Wiederaneignung des Begriffs ,rechts‘ im positiven Sinne“ zu bemühen. Ob er sich davon auch einen inhaltlichen Rechtsruck erhofft, bleibt offen.

Alle drei Strömungen der CDU/CSU von „Mitte-rechts“ abgedeckt

Nun mag man einwenden, dass das Rechts-links-Schema ohnehin ein Auslaufmodell sei. Sowohl die Positionen der Wähler als auch der Parteien differenzieren sich schließlich immer weiter aus, sodass sich diese immer schwerer auf einen Punkt im Spektrum festlegen lassen. Doch eine Alternative ist schlechterdings nicht in Sicht, und auch wer sagt, dass das BSW wirtschaftspolitisch links, gesellschaftspolitisch aber rechts stehe, bedient sich des Schemas, das die Partei angeblich sprengt. Weniger als zehn Prozent der Deutschen geben in Umfragen an, sich nicht auf einer Rechts-links-Skala verorten zu können.

Für die Union könnte in der Selbstbezeichnung „Mitte-rechts“ zudem eine Chance liegen, ihre verschiedenen Strömungen begrifflich zusammenzuführen. Folgt man einer Definition des italienischen Philosophen Noberto Boddio, so ist der Leitwert der Linken die Gleichheit, während der Rechten eine höhere Akzeptanz oder sogar Affirmation von Ungleichheit eignet. Welche Form von Ungleichheit man duldet, aus welchen Gründen und bis zu welchem Grade, macht dann den Unterschied zwischen Gruppierungen und Positionierungen innerhalb der Rechten aus.

Der Konservatismus nimmt Ungleichheit insoweit hin, als er sie als historisch gewachsen ansieht und ihre Beseitigung mehr Schaden als Nutzen anrichten würde. Der Liberalismus heißt Ungleichheit gut, wenn sie das Produkt unterschiedlicher Anstrengungen ist und einen Leistungsanreiz schafft. Das christlich-soziale Denken wiederum betont, dass Menschen bei aller Ungleichheit doch die gleiche Würde hätten und einander solidarisch verpflichtet seien – in Abgrenzung etwa zum Rechtsextremismus, der einige Menschen gezielt über andere stellt. So könnten alle drei klassischen Elemente der Christdemokratie das Ihre zu einer Mitte-rechts-Definition beitragen.

„Diskussionen um des Kaisers Bart“

Spielen solche Überlegungen in der Partei eine Rolle? Zuletzt sorgte die Initiative einiger CDU-Politiker für Aufsehen, die ihren zentristischen Blick auf die eigene Partei schon im Namen trägt: „Compass Mitte“. Terminologische Fragen möchte Monica Wüllner, Mitglied im Bundesvorstand und eine der Initiatoren, dennoch nicht zu hoch hängen: „Letztlich sind das oft Diskussionen um des Kaisers Bart“, sagt sie auf Nachfrage.

Mitglied im CDU-Bundesvorstand und CDA-Vize: Monica Wüllner
Mitglied im CDU-Bundesvorstand und CDA-Vize: Monica WüllnerPicture Alliance

Ähnlich auf der anderen Seite des innerparteilichen Spektrums: Zwar zitiert Hoeres CDU-Fraktionschef Jens Spahn und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mit Äußerungen, die sich als Annäherung an den Begriff „rechts“ verstehen lassen. Programmatisch klingen sie jedoch nicht, und keiner der beiden möchte sich auf Anfrage äußern. Aus Spahns Umfeld heißt es stattdessen, Begriffsdebatten seien „intellektuelle Spielereien“, die den Wähler auf der Straße nicht interessierten.

Dass man mit Definitionen selten im Straßenwahlkampf punkten kann, heißt freilich nicht, dass sie keinen politischen Einfluss ausüben. Einer, der nach eigenen Angaben seit Jahren dafür kämpft, dass die Union „aus der begrifflichen Defensive“ herauskommt, ist Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte in Mainz und von 2022 bis 2023 Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission.

CDU-Mitglied und Historiker: Andreas Rödder
CDU-Mitglied und Historiker: Andreas RödderPicture Alliance

Am Telefon vergleicht er den Politiker, der die diskursiven Grundlagen seines Handelns nicht reflektiert, mit einem Hund, der nicht erkennt, dass er immer nur so weit laufen kann, wie seine Leine ihn lässt. Die CDU dürfe die Hoheit über die Begriffe nicht den Linken überlassen, meint er. Dazu gehöre auch ein selbstbewusster Umgang mit dem Begriff „rechts“, etwa in der Form der „rechten Mitte“.

Frage nach Umgang mit der AfD

Doch würde eine solche begriffliche Aneignung, so logisch sie auch wäre, derzeit wirklich als ein Ausdruck von Selbstbewusstsein verstanden werden? Oder hat die Union den besten Zeitpunkt dafür vielleicht schon verpasst?

2022, als Merz CDU-Vorsitzender wurde, oder auch noch im Frühjahr 2024, als die CDU ein neues Grundsatzprogramm verabschiedete, hätte sie die programmatische Erneuerung aus freien Stücken mit einer Neudefinition verbinden und aus der „Mitte“ die „rechte Mitte“ machen können. Nun aber, da sie in den Umfragen erstmals von der AfD überflügelt wird, würde ein solcher Schritt zwangsläufig als Annäherung an jene offen rechte, tatsächlich wohl rechtsex­treme Partei verstanden werden.

So führt die Diskussion über die Selbstbezeichnung der Union, wie so viele politische Diskussionen dieser Tage, letztlich zur Brandmauer und zur Frage nach dem richtigen Umgang mit der AfD. Wer meint, man bekämpfe die Partei am besten, indem man ihre Inhalte und Begriffe besetze, mag auch in der jetzigen Situation für eine christdemokratische Aneignung des Terminus „rechts“ oder seiner Ableitungen plädieren. Wer hingegen glaubt, dass die Bürger dann lieber das Original wählen und die Union stattdessen auf maximale Abgrenzung setzen sollte, wird weiter an der „Mitte“ festhalten und dafür auch eine gewisse begriffliche Inkonsistenz in Kauf nehmen. Was logisch richtig ist, kann politisch falsch sein.

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