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Sölden: Sicherheit im Skisport und neue Herausforderungen – Sport | ABC-Z

In Sölden haben sie dieses Jahr Wellen gebaut. Weil diesmal schon früh im Jahr genug Schnee lag, hat der eigentlich flache Teil des berüchtigt steilen Hangs am Rettenbachgletscher nun zwei Bodenwellen bekommen, die Athletinnen und Athleten am Samstag und Sonntag beim Saisonstart zu überwinden haben. Die Wellen am Rettenbachgletscher allerdings sind nicht nur Schneehügel, sondern sogleich wieder Gegenstand einer endlosen Debatte geworden. Der Österreicher Manuel Feller etwa sagte, er wisse nicht, „ob das jetzt nötig war, beim ersten Rennen auf 3000 Meter kurz vor dem Ziel noch so etwas einzuschieben“. Ein „gewisses Risiko“ sei schon dabei, womit er direkt das Reizwort zum Saisonstart einbrachte.

Skirennfahrerinnen und Skirennfahrer beschäftigen sich ihr ganzes Leben lang mit dem Risiko, das Wellen, Schläge, minimale Veränderungen auf Pisten und Abfahrten für sie darstellen. Erfahrene Profis können einem aus dem Stegreif jedes minimale Detail einer jeden Kurve einer Weltcupstrecke erklären, so wie Formel-1-Fahrer die ihrer Rennstrecken. Das erklärt, warum sie Bodenwellen in Sölden, die dem Fernsehzuschauer kaum aufgefallen wären, als Veränderung ihres Berufsrisikos wahrnehmen. Und warum sie in La Parva auf ewig eine unscheinbare Bodenwelle mit der Erinnerung an einen ihrer Kollegen verbinden werden.

Der Name Matteo Franzoso ist allgegenwärtig vor dem Weltcupstart. Etwas mehr als einen Monat liegt der Tod des italienischen Skirennfahrers zurück, der in dem chilenischen Skiort beim Training zu Sturz kam, in eine Holzverbauung flog und wenige Tage später in Santiago de Chile starb. Franzoso war ein weiterer Skirennfahrer, der bei seinem Sport ums Leben kam und dessen Tod Bestürzung ausgelöst hat – gefolgt wie immer von der Frage, wie es nun weitergehen könne. Wie man Todesfälle, aber auch schwerste, lebensgefährliche Verletzungen verhindern kann. Wie man in einem Sport, in dem das Risiko nie bei null sein wird, zumindest mehr Sicherheit schaffen könnte.

Wer im Skisport zehn Beteiligte um eine Einschätzung zum Thema Sicherheit bittet, bekommt etwa zwanzig verschiedene Antworten, so unklar ist die Lage. Was feststeht: Die Frage nach der Schuld an Unfällen ist nicht klar zu beantworten, zu komplex ist das System Ski. Es ist nicht einmal klar nachweisbar, dass die Zahl der Unfälle gestiegen ist – allerdings steht fest, dass sie oft folgenreicher sind und dass Athletinnen und Athleten häufiger lange ausfallen. Weil sich der Skisport im Grenzbereich verfangen hat? Weil das Material den Ton angibt und nicht mehr die Athleten?

Rainer Salzgeber kann verstehen, dass man ihn mit solchen Fragen konfrontiert, er beschäftigt sich selbst täglich damit. Erst als Rennläufer, der den Unfalltod von Ulrike Maier in Garmisch-Partenkirchen 1994 als „prägendes Ereignis“ mit sich herumträgt. Seit 2005 zudem als Rennsportleiter der Skifirma Head, in einer Funktion, in der er gelernt hat, dass einfache Lösungen nicht immer ratsam sind. Langsamere Beläge unter dem Ski? „Wenn wir dadurch ein paar Prozent Geschwindigkeit wegnehmen, werden wir keinen großen Unterschied machen.“ Ein Verbot von Carbonschienen, wie sie etwa der 2024 in Bormio schwer verunglückte Franzose Cyprien Sarrazin verwendete? „Die Regel ist komplett für die Fische.“ Eine „mildere“ Kante? „Das Problem ist, das zu kontrollieren – wir haben im Speedbereich teilweise 0,4 Millimeter Kantenbreite, das ist kaum nachmessbar vor jedem Rennen.“

„Wenn wir die Ski wirklich reglementieren wollen: Machen wir sie kürzer“, rät Rainer Salzgeber.
„Wenn wir die Ski wirklich reglementieren wollen: Machen wir sie kürzer“, rät Rainer Salzgeber. (Foto: Sammy Minkoff/Imago)

Eine historische Abhandlung allerdings kann Salzgeber zum Thema halten, wie der Skisport an diesen schwierigen Punkt gekommen ist. Es waren stets schwere Stürze Auslöser für Veränderungen, so wie im Jahr 2006, als der damalige Renndirektor der Fis, Günter Hujara, erwirkte, dass Skier breiter und träger werden müssen, „das war sinnvoll“. 2012 allerdings folgte die nächste Volte, als unter anderem ein Forschungsteam einer Salzburger Universität daran beteiligt war, den Skisport recht drastisch zu verändern: Schmaler, länger und mit enormen Kurvenradien von mehr als 30 Metern sind die Skier seither. „Das war eine Hauruckaktion damals, ein Schuss in die falsche Richtung“, sagt Salzgeber. Und auf den historischen Spuren kommt man einer möglichen Lösung ein Stück weit näher.

Die modernen Skier nämlich sind mehr denn je darauf ausgerichtet, bei optimalen Verhältnissen maximale Leistung zu ermöglichen. Bei Sonnenschein und eisiger Piste kann man mit ihnen schneller und gewissenhafter fahren als früher. Allerdings: Diese Bedingungen findet man im Weltcup an den wenigsten Tagen vor, an den anderen erhöht sich das Risiko massiv: „Bei schlechter Sicht und hohen Geschwindigkeiten weiß man einfach nicht, was auf den nächsten Metern Strecke passieren wird“, sagt Linus Straßer dazu. Deutschlands derzeit erfolgreichster Skifahrer kann vom Herbsttraining in Argentinien und im Südtiroler Schnalstal bei Bozen berichten. „Dunkel und unruhig“ sei es dort die meiste Zeit gewesen, und dann fühlten sich auch die Besten der Welt mit ihren Skiern nicht immer wohl: „Man merkt beim Material, dass man es mit hundertprozentiger Überzeugung fahren muss.“

Einst lösten Lindsey Vonns 218 Zentimeter lange Abfahrtsski Staunen aus. Heute ist das Standard im Frauenweltcup

Da das unter gewissen Bedingungen nicht möglich ist, wäre also eine Lösung, umzudenken und die Skier grundsätzlich nicht mehr auf die perfekten Bedingungen auszurichten – sondern auf die realistischen. Das betrifft die Präparierung, die in Händen der Servicemänner und Athleten liegt, sowie die Vorgaben der Fis: „Wenn wir die Ski wirklich reglementieren wollen: Machen wir sie kürzer“, rät Salzgeber, der einmal mehr auf die Historie verweist. Die Head-Athletin Lindsey Vonn sei einst mit einem 218 Zentimeter langen Männer-Abfahrtsski gefahren, mit dem sie den Weltcup dominierte. Vonn testete damals die Grenzen aus, unter anderem ihre Teilprothese im Knie erzählt davon, welche Folgen solche Experimente haben können. 218 Zentimeter lange Abfahrtsski allerdings sind heute Standard im Frauenweltcup, wobei Salzgeber schätzt, dass bei schlechten Bedingungen „75 Prozent der Weltcupfahrerinnen Probleme haben, mit diesen Skiern umzugehen“.

Bleibt die Frage, wer diese Veränderungen vorgibt – oder ob es beim ewigen Fingerzeigen bleibt. Fis-Renndirektor Markus Waldner betont immer wieder die Verantwortung der Skifirmen, die wiederum versichern, sich über Materialanpassungen im Sinne der Sicherheit auszutauschen, auch mit den Sportlern. Und die debattieren selbst über die Lösungen: Der Norweger Aleksander Aamodt Kilde forderte zuletzt geringere Geschwindigkeiten, woraufhin der Italiener Dominik Paris entgegnete, schnell geradeaus zu fahren, sei nicht das Problem – sondern die vielen extremen Kurven.

Und dann bleiben da noch die Debatten zur Überlastung durch das viele Training schon im Sommer sowie die Frage nach besseren Sicherheitsvorkehrungen entlang der Trainingsstrecken wie jener in La Parva. Themen, bei denen sich die Nationalverbände und die Fis bislang finanziell wie inhaltlich nicht einigen konnten, auch wenn es zuhauf Anlässe für Veränderungen gibt.

So bleibt vor dem Saisonstart die Beobachtung, dass tiefgreifende Veränderungen nicht ersichtlich sind – und die neuen Wellen in Sölden einem immer kleiner erscheinen angesichts der Größe der Debatte, die der Skisport derzeit führt.

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