So war die erste Weihnachtsshow 2024 | ABC-Z
Berlin. Sido lud am Mittwoch zum ersten von elf Weihnachts-Konzerten in Berlin. Hat der Rapper seine Fans wieder angemessen beschert?
Ein Mann mit Rauschebart, der im Dezember Menschen beglückt. Das kann nur der Weihnachtsmann sein – oder? Von wegen, Alter! Es ist 20:22 Uhr am Mittwochabend, als sich nach kurzem Anheizen von Sängerin Kare und dem Rap-Duo UVT unter dröhnendem Jubel in der ausverkauften Columbiahalle in Berlin jemand mit weißem Anzug hinter dem Vorhang hervordrückt – 3500 Augenpaare richten sich auf den Star des Abends, Paul Würdig– besser bekannt als Sido.
Der mittlerweile 44-jahrige Rapper, der das Märkische Viertel in Reinickendorf vor genau 20 Jahren mit seinem überdreht-launigen Rap-Hit „Mein Block“ über die Stadtgrenzen hinaus berühmt-berüchtigt machte und zum Popstar wurde, lädt wieder zur Weihnachtsfeier der etwas anderen Art ein – Sidos Weihnachtsshows. Es ist der Auftakt von elf Konzerten im bis ans Dach gefüllte Haus.
„Weihnachtszeit“: Sido startet mit kultigem Hit
Und direkt geht‘s los mit seinem fiesen wie kultig-liebenswerten Hit aus Anfangszeiten: natürlich „Weihnachtszeit“. Der Vorhang erhebt sich und offenbart die Kulisse für dieses Jahr, natürlich ein kitschig-schönes Weihnachtswohnzimmer mit leuchtenden Tannenbaum, großem Sofa, Winterlandschaft vor dem Fenster und riesigem Kamin, aus der noch der eine oder andere steifen wird.
Junge und jung gebliebene Gangster, Erwachsene, Mamas und Papas, die ihre Kinder mitschleppen – oder umgekehrt? Wie auch immer: Sido versammelt ein Potpourri an Fans unter dem Kreuzberger Konzert-Dach. Wieder und wieder.
„Wie alt bist du denn?“, fragt er ein Kind in der ersten Reihe.“9!“, ruft der Rapper vermeintlich erstaunt. „Und du? 10!“ Soll er also wirklich seinen populären wie knallharten „A-Song“ spielen? Das lässt der geborene Entertainer, der das Publikum wann immer es geht miteinbeziehen offen – und beschert sie mit einem schnellen musikalischen Querschnitt seiner Karriere, spart aber seine harten Tracks aus Aggro Berlin-Zeiten aus. Der Schwerpunkt liegt auf Familientauglichkeit – wenn man das angesichts der teils derben Texte so sagen kann. Doch Sido versteht es wie wenige andere, unverschämt und gleichzeitig sympathisch und liebenswert zu sein.
Sido begeistert Fans mit abwechslungsreichem Programm
„Schlechtes Vorbild“, sein Antagonist „Augen auf“, „der Himmel kann warten“, der Abend beginnt so familientauglich, wie Sido eben sein kann. Nach „Bilder im Kopf, und „Melatonin“ wird‘s dann etwas mehr HipHop mit „Löwenzahn“ – und Sido warm,, als er sich seines Jacketts entledigt.
Nach dem nächsten Tracks „Das Buch“ kommen zwei kleinwüchsige auf die Bühne – sie spielen Sidos Weihnachtswichtel des Abends und verteilen erstmal ein paar kleine Geschenke mit Luftdruckbazookas im Publikum.
Nach „Gar nicht mal so glücklich“ mit Musiker Eskay gibt es dann die große Bühne für Schüler Timon , der ein paar Zeilen aus „Oh Tannenbaum“ singt – oder es zumindest versucht. Als Belohnung gibt‘s von Sido persönlich ein „Schneidebrett, yay!“. Natürlich nicht, es ist ein iPad.
Von „Zwischen den Wolken bis zu „Carmen“: Sido führt Fans durch Jahrzehnte
Nach „Ja man“ wird es den älteren im Publikum warm ums Herz. Erst schmeißt er „Fuffies im Club“, eher er mit Harris seinen einstigen Rap-Kollegen und engen Freund auf die Bühne holt, es gibt mit „Ich leb mein Leben“ weiter. Die Stimmung ist ausgelassen, die zurückhaltende Menge ist langsam aufgetaut und wippt mit dem Arm gemeinsam im Takt. Nach „Zwischen den Wolken“ aus seinem letzten und ernstesten Album XY folgt mit „Carmen“ der nächste sarkastische Gassenhauer aus dem Sido-Universum, was die Fans gebührlich gautieren.
Bald folgen „Liebe“ und „Mit dir“ – jetzt werden vor allem die Frauen laut, die an diesem Abend durchaus in der Mehrheit in der Columbia-Halle sein könnten. Dann beglückt Sido das nächste Kind. Ein Mädchen wagt sich an „Schneeflöckchen Weißröckchen“ und bekommt von ihrem Star ein Nintendo – um es ihrem Bruder zu schenken. So brav kann Sidos Welt sein.
Weiter geht es mit Tempo durch die Diskografie – unter anderem“2002“, „Geschlossenen Augen“, „I follow“. Und immer wieder ertönen aus dem Publikum die berüchtigten ersten Töne des „A-Song“. Ob er ihn wohl doch noch spielen wird?
Zusammenkunft in unruhigen Zeiten – zehn weitere ausverkaufte Konzerte
Kurz vor 22 Uhr und nach beinahe 30 größtenteils abgerissenen Songs der erste Schock im Publikum – „gleich ist Schluss“, kündigt Sido an. Raunen geht durch die Fan-Masse, ehe es mit „Tausend Tattoos“ laut wird. Bei den poppigen Refrains, die von den Fans lückenlos mitgetragen werden, wird immer wieder klar, dass da kein Rapper im eigentlichen Sinne mehr performt, sondern ein astreiner Popstar. Das untermauert Paul Würdig als bei „Astronaut, anfängt, selbst zu singen. „Ich hab Zeit und Raum verloren, hier oben, wie ein Astronaut“. Und langsam schließt sich der Vorhang.“
Wieder diese Töne, die hier jeder kennt: „Döp dö dö döp da da“. Und dann ist er plötzlich nachsichtig. Der Vorhang geht wieder auf und mit ihm erscheint der Star mit seiner legendären Totenmaske, die Sidos Geschichte in den ersten Jahren seiner Karriere erfolgreich verbarg. Es wummert nochmal lauter und brachialer als zuvor. Der große, kurze Knall zum Schluss, ehe Sido dann endgültig verschwindet und seine Fans hoffentlich warmen Herzens in die kalte, dunkle Welt entlässt.
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Der Mann aus dem MV hat buntes und bestens eintrainiertes business as usual abgeliefert, statt auf Ekstase basiert die Verbindung zu seinen Fans in seiner Heimatstadt auf Kennen und Vertrauen. Vielleicht ist es genau das, was die Columbia-Halle jedes Jahr bis an den Rand füllt. Sidos besinnliche Zusammenkunft in unruhigen Zeiten. Bis Heiligabend stehen noch zehn ausverkaufte Konzerte an.