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So soll die deutsche Leichtathletik wieder groß werden – Sport | ABC-Z

Viel springen kann viel helfen. Imke Onnen lebt dieses Motto in diesem Sommer, in China, Katar, Finnland und Spanien war die Hochspringerin schon unterwegs. Ein volles Programm, bei dem sie merkte: Ihr Körper ist endlich belastbar. Nach fünf Jahren gelang der 30-Jährigen eine neue Bestleistung von 1,97 Metern. „Da haben nicht mehr so viele dran geglaubt“, sagt sie. Doch jetzt passt gerade alles zusammen. Was auch mit dem neuen Verein, den Cologne Athletics, zu tun hat, für den sie seit diesem Jahr antritt.

In Leichtathletik-Kreisen wird mitunter über den Verein diskutiert, wie auch über die vielen Ableger in anderen Städten: Reihenweise neue Klubs haben sich formiert, die Frankfurt Athletics gehören dazu, auch in Düsseldorf, Ostwestfalen-Lippe und Hamburg wurden Pendants gegründet. Sie alle gehören zu einem Projekt, das die Leichtathletik im Land wieder nach vorne bringen will. Der Projektvater: Claus Dethloff, ehemals Hammerwerfer, nun Unternehmer mit der Bereitschaft, viel Eigenkapital einzusetzen. Vieles in der Athletenförderung sei in den vergangenen Jahrzehnten verschlafen worden, sagt Dethloff, er will es besser machen. Auch mit Unterstützung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Neun Vereine in seinem „Germany Athletics“-Universum gibt es mittlerweile, es soll ein Franchise-Konzept für den Sport sein, garniert mit großen Namen: Sprinterin Alexandra Burghardt wechselte nach Köln, auch Tobias Potye oder eben Imke Onnen, allesamt Olympiastarter. Sie alle überzeugte das Konzept von Dethloff. Dazu gehört eine monatliche finanzielle Unterstützung, ein Prämiensystem für erbrachte Leistungen und eine individuellere Förderung, als sie sonst im Leistungsbereich oft gewährleistet werde, sagt Dethloff. Dazu kommen im Nachwuchsbereich etwa eine Schulsportoffensive oder neue Modelle, um Trainer längerfristige Perspektiven zu bieten. Aus seiner Sicht Bereiche, in denen Mängel im aktuellen System vorherrschen, die wiederum dazu führten, dass Deutschland im Ländervergleich bei Großveranstaltungen immer mehr an Bedeutung verloren hat. „Wenn das so weitergeht, dann sind wir 2028 bei Olympia in Los Angeles nur noch mit einem Dutzend Leuten vertreten“, sagt er.

In Zeiten von Verletzungen ist die Finanzierung für die Athleten oft schwierig

Dass sich etwas tun muss im Sport, ist unumstritten: Die Sendezeiten für Leichtathletik sind rar geworden, junges Publikum ist nur schwer zu gewinnen. Und damit auch potenzielle Sprinter, Werfer und Springer der nächsten Generation.

Gründe, den Verein zu wechseln, sind bis zu einem gewissen Grad individuell, bei Imke Onnen lag es auch an einem Gefühl: Im niedersächsischen Landesverband fehlte ihr die Wertschätzung, sagt sie. Ihre Heimat ist Hannover, dort wurde sie unter der Anleitung ihrer Mutter, die Trainerin bei Hannover 96 ist, zur aktuell besten deutschen Hochspringerin. Mutter Onnen war lange Landestrainerin in Niedersachsen, im vergangenen Jahr wurde ihr Honorarvertrag nicht verlängert. Das war für die Tochter ein Zeichen. „Da war für mich klar, dass nicht gesehen wird, was ich leiste“, sagt sie. Ihr sei dann der Kontakt zu Claus Dethloff empfohlen worden, mit dem es gleich im ersten Telefonat passte. „Er kann sich sehr gut in Athleten hineinversetzen und weiß, wie wichtig Konstanz für sie ist“, sagt Onnen. Genau das, was ihr jahrelang fehlte.

Früher konnte sie nur von Jahr zu Jahr planen; nur wer Leistung bringt, wird im deutschen Fördersystem dauerhaft unterstützt und bleibt attraktiv für Sponsoren. In Zeiten von Verletzungen, wie sie Onnen mit Rückenproblemen und der Patellasehne erlebt hat, tauchen schnell finanzielle Sorgen auf. Das sei nun anders, sagt sie: „Wenn ich mich jetzt verletzen sollte, weiß ich, ich habe ein Backup aus Ratschlägen einerseits, aber eben auch in finanzieller Hinsicht.“ Am eigentlichen Trainingsumfeld hat sich nicht viel verändert; Onnen wohnt weiter in Hannover und trainiert dort mit ihrer Mutter, aber nun kann sie sich auch mal sorgenfreier dafür entscheiden, ins Trainingslager zu gehen. „Ich investiere in diesem Jahr das, was ich benötige, um besser zu werden. Die Möglichkeit war vorher gar nicht gegeben.“

Klar ist, dass nicht alle in der Szene von dem Konzept begeistert sind, mit seinem Vorgehen erntet Claus Dethloff auch Kritik. Moniert wird, dass „Germany Athletics“ proaktiv auf Athleten zugehe, was bei den abgebenden Vereinen auf wenig Gegenliebe stößt. Dethloff hingegen sagt, „die Sportler kamen bisher alle von sich aus auf uns zu“. Seiner Meinung nach haben es viele etablierte Vereine verpasst, ihre Sportler angemessen zu vermarkten. Das soll bei ihm nun anders laufen.

Die Befürchtung der Konkurrenz: Dass sich nun noch mehr Vereine zurückziehen

In jedem Fall haben die Wechsel für die abgebenden Vereine weitreichende Folgen. Die LG Stadtwerke München haben so im vergangenen Jahr in Person der Hochspringer Tobias Potye und Tim Kraus sowie in Sprinter Yannick Wolf drei ihrer erfolgreichsten Sportler an Cologne Athletics verloren. „Vereine sind nur dann erfolgreich, wenn sie auch vor Ort Unterstützung erfahren – und die hängt stark von den Erfolgen der Topathleten ab“, sagt der Münchner Präsident Jacob Minah. Sponsorengelder müssen so unter Umständen härter erkämpft werden. Und wenn es weniger Vorbilder im Verein gibt, wirkt sich das auch auf die Anziehungskraft für potenziellen Nachwuchs aus. Minahs Befürchtung: dass sich noch mehr lokale Vereine aus der Leichtathletik zurückziehen, weil ihnen die Topsportler abhandenkommen.

EIner von mehreren prominenten Athleten, die von der LG Stadtwerke München zu den Cologne Athletics wechselten: Tobias Potye, hier bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris.
EIner von mehreren prominenten Athleten, die von der LG Stadtwerke München zu den Cologne Athletics wechselten: Tobias Potye, hier bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris. (Foto: Axel Kohring/Beautiful Sports/Imago)

Minah hält Dethloff aber zugute, dass er zusätzliche Gelder in die Leichtathletik bringt, denn: Konkurrenz belebt das Geschäft. „Unser Ziel ist es, die Fördermittel über die Stadt München oder Sponsoren so anzupassen, dass wir unsere Topathleten künftig halten können“, sagt Minah, „andernfalls hätte das auch Folgen für den Bundesstützpunkt in München, unsere Nachwuchsarbeit und die Sichtbarkeit der Leichtathletik vor Ort.“

Wie nachhaltig das Athletics-Konzept funktionieren kann, muss sich auch erst zeigen. Dethloff sagt, er arbeite daran, genug Geldgeber zu finden, um sich selbst künftig überflüssig zu machen. Zuletzt präsentierte er eine erstaunliche Zusammenarbeit: Der Leichtathletikverband der Vereinigten Arabischen Emirate kooperiert nun mit „Germany Athletics“. Es gehe dabei um Vernetzung im Sinne der Athleten, sagt Dethloff: Durch die Kooperation soll ihre Chance erhöht werden, für internationale Meetings engagiert zu werden, was ohne erfahrenen Manager kaum noch möglich ist. „Das ist eine große Chance für viele Athleten, überhaupt in solche Wettkämpfe reinzukommen“, sagt auch Imke Onnen. Zumal so auch Punkte gesammelt werden können, um sich für internationale Meisterschaften zu qualifizieren.

Überhaupt sollen die Athletics-Vereine auch Anlaufstellen für Sportler aus anderen Ländern sein, sagt Dethloff, „weil sie eine Bereicherung für die Trainingsgruppen sein können“. Mit dem Verband eines Staates zusammenzuarbeiten, in dem Menschenrechte immer wieder verletzt werden, ist für ihn mehr Chance als Problem. „Wir sollten uns nicht zurückziehen und schimpfen, sondern aufeinander zugehen, dann haben wir die größte Möglichkeit einer Einflussnahme. Das gilt für beide Seiten“, sagt er.

Ideen hat Claus Dethloff noch einige, wie die Leichtathletik im Land wieder zu mehr Bedeutung kommen könnte, ein eigenes Ligasystem mit seinen Vereinen gehört etwa dazu. Das übergeordnete Vorhaben lautet aber: „In zehn Jahren Sportler auf der internationalen Wettkampfbühne zu sehen, die wir heute noch gar nicht im System drin haben.“ Die Werbemaßnahme dafür läuft gerade.

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