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So isst Politik: Erst Realitätscheck, dann Lasagne | ABC-Z

Da kommt die Gruppe. Sie hat vier lange Tische in der „Nolle“ reserviert, einem gemütlichen, recht touristischen Alt-Berliner Restaurant in den historischen S-Bahn-Bögen am Bahnhof Friedrichstraße. Heißt: Es rattert alle fünf Minuten die S-Bahn über die Köpfe hinweg. Das trägt zum Berlin-Feeling bei. Ruhig hat man’s ja schon daheim.

Wobei die Gruppe aus Frankfurt am Main kommt, das ist ja auch eine Metropole. Vielleicht sogar weltstädtischer als Berlin. Allerdings weiter weg von der Bundespolitik, und die interessiert die Gruppe. Sie besteht aus Mitgliedern der Grünen, ein paar Sympathisanten ohne Parteibuch sind auch dabei. Auf Einladung des Bundespresseamtes haben sie dreieinhalb Tage in der Hauptstadt verbracht, nun, am Donnerstag, steht ein letztes Mittagessen auf dem Programm, dann fährt der Zug zurück.

Grüner Luxus? Nein, Normalität: Jeder Bundestagsabgeordnete darf pro Jahr drei Gruppen von je fünfzig Leuten aus seinem Wahlkreis empfangen, denen Fahrt, Hotel und Mahlzeiten bezahlt werden. Es handelt sich allerdings um eine Bildungsreise mit Pflichtprogramm; ausgedehnte Ausflüge ins Berghain sind nicht vorgesehen. Die Bürger bekommen eine Stadtführung, schauen in Ministerien und eine Bundestagssitzung hinein, treffen möglichst auch ihren Abgeordneten.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Für die Gruppe, die nun in der „Nolle“ vegetarische Lasagne serviert bekommt, wäre Deborah Düring zuständig. Die ist allerdings gerade im Mutterschutz, ihre Büroleiterin vertrat sie im Gespräch mit den Gästen. Wie schauen die auf ihre Berlin-Reise zurück?

Du bist nicht allein

Ein Mann sagt, für ihn sei der Besuch im Plenarsaal ein „echter Realitätscheck“ gewesen. Die Macht der AfD sei ihm durch die schiere Größe der Fraktion erst richtig bewusst geworden. Ein anderer berichtet, ihn habe der Besuch der Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ besonders beeindruckt. Da wird über die Verbrechen des NS-Staates informiert. Der Mann sagt, das führe einem vor Augen, wie schnell es gehen könne: eben noch Demokratie, schon Diktatur. Eine Frau sagt, die Gruppe selbst sei für sie das Beste gewesen.

Einer geht noch: Letzter Kaffee vor der Heimfahrt
Einer geht noch: Letzter Kaffee vor der HeimfahrtFriederike Haupt

So viele Menschen, die ihr das Gefühl geben: Du bist nicht allein mit deinen Überzeugungen. Sie ist erst vor einem Jahr bei den Grünen eingetreten. Die Mitgliederbeauftragte aus dem Wahlkreis berichtet, dass sich auf solchen Fahrten richtige Freundschaften fänden, Grüppchen, die sich unterwegs gut verstehen und dann, zurück daheim, den Kontakt halten. Auch von sowas leben Parteien.

Denkt die Gruppe jetzt anders über Bundespolitik als vorher? Nicht unbedingt, ist die Meinung am Tisch. Aber man schaue vielleicht lieber hin; weil man etwas, das man mit eigenen Augen gesehen habe, als näher empfinde.

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