So isst Politik: Erdbeerkuchen bei Thilo Sarrazin | ABC-Z
Thilo Sarrazin hat ein neues Buch geschrieben. Es handelt auch vom Kochen. „In der Chemie, der Biologie, der Medizin, der Ökonomie, der Organisation von Staat und Gesellschaft, bei den Ingredienzien eines gelingenden menschlichen Lebens und bei einem wohlschmeckenden Gericht geht es immer wieder um Mengenverhältnisse und richtige Proportionen“, steht auf Seite 163 des Werkes, das „Deutschland auf der schiefen Bahn“ heißt, aber mindestens genauso gut „Deutschland versalzt sich die Suppe“ heißen könnte.
Diese Erwägung ist keineswegs spielerisch, sondern steht in der Tradition von Überlegungen Sarrazins selbst. So erwähnt dieser am Dienstag bei der Buchvorstellung in Berlin, dass der Titel seines Ultrabestsellers „Deutschland schafft sich ab“ im mit dem Verlag geschlossenen Vertrag zunächst noch „Wir essen unser Saatgut auf“ lautete.
Der Hartz-IV-Speiseplan als Karrierebeginn
Noch einmal zwei Jahre früher, 2008, hatte Sarrazin bundesweit Bekanntheit erlangt, als er einen Hartz-IV-Speiseplan präsentierte, der zeigen sollte, dass sich ein Ein-Personen-Haushalt von vier Euro am Tag durchaus gut und gesund ernähren könne. Sarrazin beschreibt die Debatte darum als „Anfangspunkt“ seiner Karriere als Sachbuchautor.
Das zeigt, wie stark Ernährung und ihre Bedingungen politisch aufgeladen sind. Am Rande der Buchvorstellung im Tagungszentrum der Bundespressekonferenz werden mit Käse belegte Brötchen und Erdbeerkuchen gereicht. Dies kann auf verschiedene Weise gedeutet werden, steht aber zunächst einmal für ein Deutschland, das sich noch immer nicht abgeschafft hat.
Das deckt sich mit dem Befund des Verlags, Sarrazin verfolge einen „optimistischen Ansatz“ – die Geschichte sei nach vorn immer offen –, wohingegen Sarrazin selbst in der Einleitung schreibt, dass er die Perspektiven in Deutschland gerade nicht optimistisch sehe – „die natürliche Schwerkraft der Dinge“ zerre Staat, Gesellschaft und Wirtschaft in eine ungünstige Richtung. Am Ende landet der dies weiterdenkende Leser wieder bei dem wohlschmeckenden Gericht von Seite 163 und der Frage, unter welchen Bedingungen es gelingt.
Inspiriert von Sarrazins besonderem Augenmerk auf der Migration, bietet sich das Räsonnieren über den Döner an: eine deutsche Speise mit türkischem Migrationshintergrund, die inzwischen in weiten Teilen des Landes die Bratwurst verdrängt hat. Gerade seine guten Proportionen – Fleisch, Brot, Gemüse, Soßen in angenehmem Verhältnis – machen ihn beliebt.
Radikale Varianten bleiben Nischenphänomene, beispielsweise der 37 Euro teure getrüffelte Luxus-Döner des Hotel „Adlon“. So gesehen könnte ausgerechnet die Zusammensetzung des Normaldöners ein Vorbild für die Organisation von Staat und Gesellschaft in Deutschland sein.