Politik

So attackieren sich die Kanzlerkandidaten | ABC-Z

Jetzt beginnt die Vermessung. Nicht die der Körpergröße, denn das ginge für Olaf Scholz nicht gut aus. Ein Meter siebzig gegen knapp zwei Meter. Nein, sagen sie in der SPD, jetzt beginnt die Vermessung des politischen Gewichts zwischen dem Kanzler und seinem Herausforderer, CDU-Chef Friedrich Merz. Die Vermessung der Standfestigkeit. Oder wie Scholz es beim Sommerfest der Parteizeitung „Vorwärts“ kürzlich allgemein zusammenfasste: „Was in der Politik immer wichtig ist: Klarheit, Festigkeit und Charakter.“

Im Willy-Brandt-Haus hatten sie sich schon auf Merz als Kandidaten eingestellt. Scholz manifestierte dieses Szenario, indem er sich im Mai öffentlich Merz als Gegner wünschte. Zu diesem Zeitpunkt trugen die beiden bereits eine Fehde aus, die in erster Linie politisch ist, aber ins Persönliche ragt. Es geht um Anerkennung, Zusammenarbeit und die Frage, wer die bessere Politik fürs Land machen kann.

Eigentlich verstehen sich Scholz und Merz ganz gut. Zumindest können sie ganz gut reden, wenn die Türen geschlossen sind, so viel lässt sich sagen. Aber im politischen Alltag vor den Augen der Öffentlichkeit hilft das nicht viel. Im Bundestagswahlkampf 2021 warf Merz, noch in der Rolle des einfachen CDU-Mitglieds, dem SPD-Kanzlerkandidaten vor, in eine „Zahl von Finanzskandalen verstrickt“ zu sein. Scholz wiederum meinte: „Jemand, der sich beleidigt zurückzieht, weil er eine Kampfabstimmung gegen eine Frau verliert, ist für mich ein Waschlappen.“ Seitdem Merz Partei- und Fraktionschef ist, begegnen sich die beiden auf Augenhöhe. Die Rededuelle der beiden im Bundestag sind sehenswert. Scholz, der nicht immer den Eindruck von Leidenschaftlichkeit vermittelt, wirkt wie angezündet, wenn Merz ihn angeht.

Klempner gegen Glaskinn

Einige Beispiele: Merz nannte Scholz einen „Klempner der Macht“, dem die Schuhe eines Kanzlers zwei Nummern zu groß seien. Scholz nannte Merz im Gegenzug eine „Mimose“ und attestierte ihm ein „ganz schönes Glaskinn“. Kürzlich warf er dem CDU-Chef vor, sich in die Büsche zu schlagen, wenn es ernst werde. Scholz glaubt, da ein Muster erkannt zu haben: Merz sei ein Mann großer Worte, der aber die Verantwortung scheue. So sei es auch bei den Annäherungsversuchen zwischen Kanzlerpartei und größter Oppositionspartei gewesen etwa vor einem Jahr bei dem Versuch, einen „Deutschlandpakt“ zu schmieden, oder jetzt, als es um die ganz große Koalition in Sachen Migrationsverschärfungen ging.

Es gibt aber auch Stimmen in der SPD, die anerkennen, dass Merz mit seinem Auftritt nach dem Frühstück mit Scholz vor der Presse ein „cooler Move“ gelungen sei. Scholz sieht sich dagegen als Mann der Tat. Er wirft der Union vor, viele Jahre lang viele Dinge vernachlässigt zu haben. Nun müsse er sich kümmern. Was Scholz dabei gerne vergisst zu erwähnen: Er war bei einer Weile dieser Regierungszeit ja auch dabei.

Nicht nur das verbindet Scholz und Merz indirekt. Auf dem Papier haben sie manches gemeinsam. Beide sind in der Bundesrepublik geborene, durchweg westdeutsch sozialisierte Männer in der zweiten Hälfte ihrer Sechziger. Scholz ist 1958 in Osnabrück geboren und in Hamburg aufgewachsen. Merz kam drei Jahre vorher im sauerländischen Brilon zur Welt. Beide kommen aus stabilen bürgerlichen Verhältnissen, keiner von beiden kann eine Aufsteigerkarriere vorweisen wie etwa Gerhard Schröder. Auch eine ungewöhnliche Vita wie etwa diejenige Angela Merkels, deren Eltern freiwillig aus Hamburg in die DDR übersiedelten, als sie ein Kleinkind war, können sie nicht vorweisen. Beide sind Volljuristen mit Berufserfahrung als Anwalt.

Scholz und Merz begannen, sich politisch zu engagieren, als Ende der Sechziger- und Anfang der Siebzigerjahre die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit zu einer starken Politisierung der bundesdeutschen Gesellschaft führte. Beide wurde noch als Gymnasiasten Parteimitglieder. Allerdings in unterschiedlichen Parteien. Merz trat der CDU bei, Scholz der SPD. Der eine baute früh ein Image als Konservativer auf, der andere stieg bis zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Jungsozialisten auf, dockte sogar beim marxistischen Stamokap-Flügel der SPD an und unterhielt Kontakte in die DDR. Das Weltbild des jungen Scholz und das des jungen Merz waren weit voneinander entfernt.

Merz und Scholz waren schon einmal gemeinsam in der politischen Arena

Während Merz immer an seinem konservativen Kurs festhielt, beschrieb Scholz eine bei Sozialdemokraten nicht unübliche Kurve und zog von links außen Richtung Mitte. Für kurze Zeit nach der Jahrtausendwende spielten die beiden Männer, die nach Lage der Dinge im nächsten Wahlkampf gegeneinander ums Kanzleramt kämpfen, schon einmal in derselben politischen Arena. Merz übernahm 2000 in den Strudeln der CDU-Spendenaffäre die Führung der Unionsfraktion im Bundestag von Wolfgang Schäuble, Scholz, zu dieser Zeit auch Bundestagsabgeordneter, wurde 2002 SPD-Generalsekretär.

Doch es blieb eine kurze Episode, Merz verlor die Fraktionsführung schon 2002 wieder. Scholz, längst kein Linker mehr in der SPD, kämpfte zusammen mit dem Bundeskanzler Gerhard Schröder für die in weiten Teilen der Partei höchst unbeliebte Arbeitsmarktreform. Auf dem Parteitag 2003 wurde ihm das mit einem spektakulär schlechten Ergebnis von 52,6 Prozent vergolten, kurz darauf trat er zurück. Während Merz 2009 aus dem Bundestag ausschied und sich als Anwalt und Berater verdingte, blieb Scholz Berufspolitiker, war Bundesminister, Erster Hamburger Bürgermeister, und dann Vizekanzler von Angela Merkel. Merz’ Kandidatur dürfte deswegen auch stabilisierend für Scholz wirken, weil die Sozialdemokraten ohne ihn (im Fall einer Kandidatur von Boris Pistorius) eines ihrer wichtigsten Argumente verlieren würden: Scholz hat enorme Regierungserfahrung, Merz keine. Es sei eben „manchmal nicht gut, die Politik eine Zeit lang nicht sorgfältig verfolgt zu haben“, bemerkte Scholz süffisant.

Merz und Scholz im September im BundestagReuters

Beide Männer haben auf unterschiedliche Weise ein schwieriges Verhältnis zu ihren Parteien. Scholz bemühte sich lange Zeit nicht um den Vorsitz, versuchte es dann im Anlauf auf die Bundestagswahl 2021, unterlag aber in der Stichwahl gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Seither hat er sich nicht mehr um den Vorsitz bemüht. Merz hatte immer eine Anhängerschaft in der CDU, die allerdings so lange weitgehend in der Deckung blieb, wie Merkel Vorsitzende war. Erst als diese sich von der Parteiführung zurückzog, nahm Merz Anlauf, brauchte aber auch drei Versuche, bis er mit mehr als 94 Prozent zum CDU-Chef gewählt wurde. Seither steht die Partei geschlossen hinter ihm, während Scholz mit sinkenden Umfragewerten für ihn selbst, die SPD und die von ihm geführte Ampelkoalition immer mehr unter Druck in den eigenen Reihen gerät.

Friedrich Merz ist als Redner ein Talent, er genießt seine Auftritte. Lange Zeit folgten seine Parteifreunde den Reden ihres Vorsitzenden jedoch mit einer gewissen Sorge, weil Merz mit provokativen Aussagen zumindest in einem Teil der CDU-Anhängerschaft für Aufregung sorgte. Etwa mit der Behauptung, Sturmtiefs hätten häufig Frauennamen. Oder wenn er die Kinder von Migranten als „kleine Paschas“ bezeichnete. Aber Scholz braucht wiederum genau diesen Merz, um selbst auf rhetorische Touren zu kommen. Kanzler und Kanzlerkandidat können dünnhäutig auf Kritik reagieren. Bei Scholz nimmt diese Angewohnheit eher zu, bei Merz nimmt sie ab.

SPD und CDU wollen eine harte Abgrenzung voneinander

Inhaltlich versuchen Scholz und Merz eine harte Abgrenzung voneinander. Vorbei sollen die Zeiten sein, in denen man SPD und CDU nur schwer auseinanderhalten konnte. Das soll auch dem Kampf gegen die AfD dienen. Vor allem Merz will für seine CDU die größtmögliche Distanz zur AfD herstellen und greift dafür auf heftige Schuldzuweisungen gegen die Ampelregierung zurück. Am deutlichsten wird das bei der Migrationspolitik. Dem Kanzler entgleite mittlerweile das Land, sagte Merz nach dem Messerattentat in Solingen. Der Deutschlandpakt war da schon gescheitert, weil sich Merz von Scholz vorgeführt fühlte. Während er ein Gespräch mit dem Kanzler führte, ließ der über seine Leute verbreiten, es brauche für Reformen nur die Länder und nicht den CDU-Chef.

Scholz wiederum will sich nicht treiben lassen. Als Merz nach einem eigentlich vertraulichen Gespräch darüber in der Bundespressekonferenz vor den Augen vieler spricht, fühlt er sich vor den Kopf gestoßen. Nach dem Scheitern der Migrationsgespräche sieht sich Merz wiederum getäuscht; der Kanzler wirft ihm vor, einem vorher geschriebenen Drehbuch gefolgt zu sein.

In der Ukrainepolitik gehen Scholz und Merz grundsätzlich in dieselbe Richtung. Beide lassen keinen Zweifel, dass sie das angegriffene Land in seinem Kampf gegen den russischen Aggressor unterstützen wollen, auch militärisch, auch mit schweren Waffen. Dennoch ist das Thema hoch aufgeladen zwischen Kanzler und Oppositionsführer. Kurz nach Kriegsbeginn fand Merz noch lobende Worte für die Zeitenwende-Rede des Kanzlers, und die Union machte beim 100-Milliarden-Fonds für die Bundeswehr mit. Je mehr sich die Debatte jedoch vom Grundsätzlichen ins Konkrete wandte, je mehr es darum ging, ob deutsche Leopard-Panzer geliefert werden sollten oder welche Waffen darüber hinaus, desto mehr entbrannte Streit.

Scholz ist für ein langsames und kontrolliertes Vorgehen. Merz dagegen hat den Kanzler versucht vor sich herzutreiben und ihm den Vorwurf gemacht, er liefere zu wenig zu spät. Eskaliert ist der Streit, als es um deutsche Marschflugkörper vom Typ Taurus ging. Scholz will sie Kiew nicht geben, die Unionsfraktion hat im Bundestag drei Anläufe unternommen, um einen Beschluss zur Lieferung herbeizuführen. Das blieb erwartungsgemäß vergebens. Je näher die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg rückten, desto ruhiger wurden Merz und seine Truppen. Im Osten sehen auch CDU-Wähler die militärische Unterstützung für die Ukraine kritisch.

Merz hatte bei seiner Ausrufung als Kanzlerkandidat betont, dass er neben der Migration die Wirtschaft zum zentralen Thema machen wolle. Vor allem das Bürgergeld kritisiert die Union. Die SPD sieht es inzwischen auch so, dass sie sich bei der Sozialleistung verrannt hat. Grundsätzlich hält sie aber am Versprechen eines großen Sozialstaats fest. Gut möglich, dass 15 Euro Mindestlohn eine zentrale Forderung im Wahlkampf sein werden. Die Union wird dem vermutlich einen schlanken Staat entgegenstellen.

Diese inhaltlichen Unterschiede will man herausarbeiten, heißt es unter Sozialdemokraten. Dass Merz ein Privatflugzeug fliege, sei hingegen egal – womit man es doch noch mal erwähnt hätte von SPD-Seite. Allen ist aber auch klar, so scharf die Auseinandersetzung noch werden mag: Es wird für alle Beteiligten ein Leben nach der Ampel geben. Vielleicht sogar eines in einer großen Koalition.

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