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Slowakei: Gasstreit mit Ukraine als Ablenkungsmanöver | ABC-Z

Während Russland die Ukraine Tag für Tag zerbombt, wird das Schicksal der ukrainischen Menschen und ihres Landes immer mehr zum Spielball von Macht- und Parteipolitik in einigen EU-Ländern. In Ungarn gaukelt Viktor Orban seiner Bevölkerung vor, dass er ein “Friedensmissionar” sei – in dieser Rolle hetzt er gegen die Opposition, die “den Kriegstreibern in Brüssel” diene. In Deutschland wiederum versucht Olaf Scholz im Wahlkampf, sich als “Friedenskanzler” und “Mann der Deeskalation” zu profilieren, um den prorussischen Parteien AfD und BSW so Stimmen abzunehmen.

Auch in der Innenpolitik der Slowakei köchelt das Thema Ukraine seit Längerem. Nun allerdings hat der Ministerpräsident Robert Fico, nominell Sozialdemokrat, faktisch Rechtspopulist, wegen des Gastransit-Stopps in der Ukraine einen schweren diplomatischen Konflikt mit seinem Nachbarn vom Zaun gebrochen. Er droht der Ukraine an, Stromexporte in das Nachbarland oder die Hilfe für ukrainische Flüchtlinge einzustellen, wenn die Ukraine den Transit russischen Gases weiterhin stoppe. Im Hintergrund geht es dabei jedoch nicht um eine vermeintlich drohende Energiekrise in der Slowakei, sondern um eine Ablenkung von innenpolitischen Problemen – um ein drastisches Sparprogramm und eine sich vertiefende Koalitions- und Regierungskrise.

Ficos Drei-Parteien-Kabinett aus Links- und Rechtspopulisten ist seit dem Amtsantritt im Oktober 2023 für prorussische Positionen bekannt. Dennoch trug der Premier die Ukraine-Politik der EU bisher überwiegend mit. Die Kehrtwende bahnte sich im Herbst an: Ende Oktober gab Fico der berüchtigten russischen Kriegspropagadistin Olga Skabejewa, die Putin dazu aufruft, Europa mit Atombomben anzugreifen, charmant lächelnd ein Interview. Darin kritisierte er die EU für ihre “Verlängerung des Kriegs” in der Ukraine und versprach, zur Siegesparade am 9. Mai 2025 nach Moskau zu kommen – anlässlich des 80. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs.

Fico reiste jedoch bereits kurz vor Weihnachten 2024 nach Moskau und besuchte den russischen Diktator Wladimir Putin. Bei dem Treffen ging es vorgeblich um eine Lösung des slowakischen Gasproblems. Denn die Ukraine hatte seit langem angekündigt, den Transit von russischem Gas zum 1. Januar 2025 nach Auslaufen des entsprechenden Vertrags mit Russland endgültig zu stoppen. Einzelheiten teilte der slowakische Premier nicht mit. Unklar ist auch, wie und auf welcher Route er nach Moskau reiste.

Nach Weihnachten gab Fico lediglich bekannt, dass er Putin auch angeboten habe, die Slowakei könne ein Ort und neutraler Vermittler für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sein. Zugleich drohte er der Ukraine an, slowakische Stromlieferungen in das Nachbarland zu stoppen, wenn der Gastransit tatsächlich unterbrochen werde. Parallel dazu empfahl der slowakische Verteidigungsminister Robert Kalinak der Ukraine, “Gebiete aufzugeben”.

In Kyjiw sorgte das für Fassungslosigkeit und Empörung. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf dem slowakischen Premier vor, “auf Anweisung des Herrschers Russlands eine zweite Energiefront” gegen die Ukraine zu eröffnen. Auch aus den Reihen der slowakischen Opposition sowie aus einigen anderen EU-Ländern, darunter Tschechien, kam vernichtende Kritik an Fico und seiner prorussischen Politik.

Tatsächlich fielen manche Politiker aus Ficos nominell sozialdemokratischer Partei Smer-SD in den vergangenen Jahren durch teils haarsträubende prorussische Positionen auf. Beispielsweise stimmte der jetzige Außenminister Juraj Blanar vor seinem Amtsantritt als einer der wenigen slowakischen Parlamentsabgeordneten gegen eine Resolution, die Russland für die Kriegsverbrechen in Butscha verurteilte. Im Vergleich dazu zählte Fico eher zu den moderaten prorussischen Vertretern seiner Partei.

Sein jetziger Schwenk dürfte vor allem mit den zahlreichen wirtschaftlichen und innenpolitischen Schwierigkeiten der Slowakei zu tun haben. Das Land hat eines der höchsten Haushaltsdefizite in der Eurozone – 2024 lag es bei rund sechs Prozent. Ursprünglich spülte das Geschäft mit dem russischen Gas viel Geld in den slowakischen Haushalt. Denn die Slowakei war auch selbst Transitland für andere europäische Länder und kassierte jährlich rund eine halbe Milliarde Euro an Transitgebühren. Diese Einnahmequelle fällt nun weg.

Mehr noch: Ficos Regierung, die mit viele Sozialversprechen angetreten war, muss harte Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen vornehmen, um das Haushaltsdefizit abzubauen. Am 1. Januar 2025 stieg der normale Mehrwertsteuersatz von 20 auf 23 Prozent, der ermäßigte für viele Produktgruppen von zehn auf 19 Prozent. Größere Unternehmen müssen künftig eine höhere Körperschaftssteuer zahlen. Gekürzt wurde auch bei der Unterstützung für Familien und Rentner.

Zugleich muss die Slowakei voraussichtlich die Energiepreise erhöhen, da sie bald Gas aus westlichen Ländern importieren und dafür selbst Transitgebühren zahlen muss. Doch obwohl in Bratislava seit langem bekannt war, dass die Ukraine den Gastransit ab 1. Januar 2025 stoppen würde, kümmerte sich die Regierung nicht rechtzeitig darum, nach langfristigen Alternativen für russisches Gas zu suchen, wie es etwa der Nachbar Tschechien getan hatte. Vor dem Hintergrund weit verbreiteter prorussischer Sympathien in der slowakischen Bevölkerung macht Robert Fico nun die Ukraine und die antirussische Sanktionspolitik der EU für die wirtschaftlichen Probleme der Slowakei verantwortlich – ähnlich wie es auch sein politischer Verbündeter und Amtskollege Viktor Orban in Ungarn tut.

Die Ukraine dient noch aus einem weiteren Grund als Ablenkungsmanöver: Ficos ohnehin nicht sehr heterogene Koalition steckt seit Monaten in einer Krise, die sich mehr und mehr zuspitzt. Eine Gruppe besonders nationalistischer und prorussischer Politiker verließ im Oktober 2024 die Fraktion des kleinsten Koalitionspartners, der Slowakischen Nationalpartei (SNS). Seitdem verfügt die Koalition nur noch über eine Mehrheit von einer Stimme im Parlament. Andererseits gibt es in der nach Ficos Smer-SD zweitgrößten Partei der Koalition, der ebenfalls nominell sozialdemokratischen Partei Hlas, Abgeordnete, denen Ficos rechtspopulistisch-prorussischer Kurs zu radikal ist und die indirekt mit einem Ausstieg aus der Koalition drohen. Deshalb steht das Szenario vorgezogener Neuwahlen im Raum.

Unterdessen ist bisher nicht absehbar, wie der Gasstreit mit der Ukraine ausgehen wird und ob der slowakische Premier seine Drohungen an die Adresse des Nachbarlandes wahrmacht. Fest steht: Eine Energiekrise droht in der Slowakei nicht, wie selbst die Regierung in Bratislava versicherte. Vielmehr könnte die Gasfrage bald zu einer Frage über die politische Zukunft Robert Ficos werden.

Autor: Keno Verseck

Von Keno Verseck

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