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Skifahrer Marco Odermatt im Porträt – Sport | ABC-Z

Wer Marco Odermatt in seiner Paraderolle verstehen möchte, muss ihm nur im Zielraum einer Rennstrecke beobachten. In Gröden, wenige Tage vor Weihnachten, konnte man das einmal mehr gut sehen: Der Führende des Abfahrtslaufs auf der berühmten Saslong, er gab wie gewohnt Interviews, sprach mit anderen Athleten und Betreuern, hatte aber stets ein wachsames Auge. Sobald auf dem großen Bildschirm ein Schweizer Athlet zu sehen war, der sich am Start aufmachte, um Odermatt seine Führung streitig zu machen, unterbrach er Unterhaltungen und Interviews – und fieberte bei jeder Welle, jedem Sprung und jeder Zwischenzeit mit.

Ins Ziel schaffte es freilich keiner mehr schneller als Odermatt, der in Gröden die Abfahrt genauso gewann wie am Tag darauf in Alta Badia den Riesenslalom. Es waren die Weltcupsiege Nummer 40 und 41 für Odermatt, er überholte damit in der Rangliste der erfolgreichsten Athleten im Ski alpin den bisherigen Schweizer Rekordhalter Pirmin Zurbriggen. Und doch: Es ist nicht nur Odermatts Dominanz über mehrere Disziplinen hinweg, die so hervorsticht – sondern auch sein Charakter als Anführer einer ganzen, stolzen Skination.

„Der Odermatt ist ein herausragender Teamplayer, der reißt die jungen Rennfahrer mit“, sagt Franz Klammer

Das Erfolgskonzept im alpinen Skisport war über Jahrzehnte ein recht klar auf Konkurrenz basierendes Denken: Skifahrer wurden erzogen als klassische Einzelsportler, versessen auf den eigenen Erfolg, ohne Gedanken an die anderen. Innerhalb der Länderteams, vor allem in Österreich, sollte ebenso Konkurrenzdruck herrschen wie im Wettstreit mit anderen Nationen. Marcel Hirscher oder Hermann Maier sind beste Beispiele für diese Schule: Beide waren herausragende Fahrer, aber innerhalb ihrer Nationalverbände oftmals unbeliebt und unnahbar. Überaus erfolgreich war diese Taktik allerdings: Zwischen 1990 und 2019 gewannen die Österreicher die Nationenwertung am Saisonende – bis die Regentschaft von Marco Odermatt begann.

Der trug zum Erfolg der Schweizer einerseits mit seinen Weltcupsiegen viele Punkte bei. Vor allem aber half und hilft er beim Aufbau einer neuen Generation an Fahrern, die mit ihm gemeinsam fahren – und ihm eines Tages nachfolgen sollen. In Gröden etwa stand mit ihm der 23-jährige Franjo von Allmen am Podest, dem sie in der Schweiz großes Talent bescheinigen und der es als „Ehre“ bezeichnete, mit Odermatt einen solchen Anführer im Team zu haben, der im Zielraum mitfiebert und bei der Besichtigung von Schweizer zu Schweizer fährt, um über die beste Rennlinie zu diskutieren. Es sind die kleinen, gemeinschaftlichen Gesten, an denen man die besondere Stimmung im Schweizer Team ablesen kann – nicht die Konkurrenz darum, wer im Training die beste Zwischenzeit fährt und so Druck auf die anderen erzeugt.

Das erkennen inzwischen auch die Österreicher. „Die Schweiz zeigt derzeit in eindrücklicher Manier auf, dass Ski eben auch eine Mannschaftssportart ist. Der Odermatt ist ein herausragender Teamplayer, der reißt die jungen Rennfahrer mit“, sagte Franz Klammer in der Zeitung Blick. Und auch außerhalb der Pistenzäune engagiert sich Odermatt: Seine Unterschrift unter die offenen Briefe an Fis-Präsident Johan Eliasch, die zahlreiche Athletinnen und Athleten vor einigen Wochen veröffentlichten, gab der ganzen Aktion viel Glaubwürdigkeit. Und zeigte, dass „Odi“ längst nicht nur der freundliche, etwas brave Skifahrer ist.

Geduldig und ruhig spricht Odermatt normalerweise, weshalb man das glauben könnte. Die Tonlage der Briefe und der Aussagen in Richtung Fis überraschte daher manchen Beobachter – genauso wie die Klarheit in manchen Interviews zum Saisonstart. Nach zwei Ausfällen hintereinander, in den Riesenslaloms von Sölden und Beaver Creek, wurde Odermatt schnell eine Krise angedichtet, wogegen er sich in den Zielräumen teils auch deutlich zur Wehr setzte. „Ich gebe dem Journalisten dann schon gerne zu spüren, dass er nicht die schlauste Frage gestellt hat“, sagte Odermatt dem Tages-Anzeiger vor einigen Tagen, als er die Gesamtweltcup-Wertung einmal mehr anführte.

Odermatt beim Training in Bormio. (Foto: Marco Trovati/AP)

Die Dominanz in den Disziplinen Riesenslalom, Super-G und Abfahrt lässt den Schweizer derzeit kaum schlagbar erscheinen, insbesondere weil die Konkurrenz erneut ausfällt. Im vergangenen Jahr hatte sich der Österreicher Marco Schwarz noch daran versucht, Odermatt mit einem Dasein als Allrounder zu begegnen, bis er in Bormio schwer stürzte und seine Saison beenden musste. Wenige Wochen später fiel auch Aleksander Aamodt Kilde als Konkurrent weg. Am Freitag stürzte der Franzose Cyprien Sarrazin im Training für die Bormio-Abfahrt am Samstag (11.30 Uhr) schwer.

Es war dann übrigens wieder Odermatt, der deutliche Kritik an den Bedingungen formulierte, als er bei „Eurosport“ sagte, die berüchtigte Piste gleiche einem „einzigen Überlebenskampf“. Ohne Sarrazin bleiben nun erneut nur noch wenige übrig, die die derzeitige Überfigur im Männer-Weltcup schlagen könnten. Am nächsten kommen ihm die jungen Schweizer aus dem eigenen Team – es ist die Konkurrenz, die Odermatt sich selbst organisiert.

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