Sind Bayerns Bartgeier durch Windräder in Gefahr? | ABC-Z

Berchtesgaden – Anfang des vergangenen Jahrhunderts war der größte Vogel der Alpen, der Bartgeier, ausgerottet. Die Wiederansiedlung seit den 1980er Jahren ist zwar erfolgreich, berichtet die Schweizer Vogelwarte Sempach. Es gebe wieder rund 350 Exemplare. Aber es lauerten Gefahren, darunter zum Beispiel Windräder.
Auch dem bayerischen Bartgeier-Beauftragten des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz (LBV), Toni Wegscheider, bereiten Planungen zur Errichtung von Windrädern im Alpenraum Sorgen.
Gefahr durch Rotorblätter von Windkraftanlagen
Man müsse beim Bau genau auf den Standort achten, sagte der Vogelwarte-Sprecher Livio Rey. Schon einige Hundert Meter könnten zum Schutz der Bartgeier einen Unterschied machen. Die Spitze der Rotorblätter von Windkraftanlagen hätte Geschwindigkeiten von bis zu 200 Kilometern in der Stunde. Dies könnten Bartgeier und andere Vögel nicht abschätzen, um rechtzeitig auszuweichen.
Toni Wegscheider ist Projektleiter beim LBV, er hat gemeinsam mit seinem Team in den letzten Jahren im Berchtesgadener Nationalpark Bartgeier ausgewildert (AZ berichtete). Er ergänzt laut einer Mitteilung des LBV: „Dass viele Greifvögel mit Rotoren kollidieren, hängt vor allen Dingen mit der speziellen Kopfaufhängung dieser Vögel zusammen. Sie sind dazu gebaut, im Flug nach unten zu schauen, um nach Nahrung zu suchen.
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Wenn die Gefahren eingedämmt werden, könne sich die Zahl der Vögel in den nächsten zehn Jahren im Alpenraum verdoppeln, so die Vogelwarte. Die Population habe einen hohen Fortpflanzungserfolg, die Überlebenswahrscheinlichkeit der Tiere sei hoch. Modellrechnungen zeigten aber, dass nur neun zusätzliche Todesfälle im Jahr bereits ein Schrumpfen der Population zur Folge hätten. Es werden weiter Bartgeier ausgewildert, um die genetische Vielfalt zu erhöhen.
Seit 2021 wurden auch im bayerischen Nationalpark Berchtesgaden mehrfach Bartgeier ausgewildert – zuletzt Ende Mai 2024 (AZ berichtete). Die ersten beiden Geier-Mädels, die Bavaria und Wally getauft wurden, kamen aus Spanien, ebenso wie ihre zwei Nachfolgerinnen Dagmar und Recka. 2023 kam das erste Männchen namens Nepomuk sowie Sisi aus Österreich dazu. Wally hat als bisher einziges Tier nicht überlebt, sie wurde von einem Stein erschlagen.
Wegscheider sieht keine akute Gefahr für seine ausgewilderten Bartgeier. Aktuell gebe es in den Bergen kaum Windkraft-Anlagen. Besorgniserregend seien jedoch die vielen Planungen zur Errichtung von Windrädern im Alpenraum, etwa in den Hohen Tauern oder im Salzburger Land. „Denn die Standorte überschneiden sich teils mit den Aufenthaltsorten der Geier, deren GPS-Daten durch das Besendern der Tiere bekannt sind.“
Diese Vögel fliegen täglich mehr als 500 Kilometer
Es gebe zwar Pufferzonen um bekannte Horste herum, in denen keine Windräder gebaut werden dürften. Doch legen die Vögel laut dem Experten regelmäßig mehr als 500 Kilometer Flugstrecke pro Tag zurück, deshalb sei potenziell jeder Standort im Alpenraum mit einem Risiko für die Geier verbunden. Andere Gefahren für die Tiere sind Rey zufolge weiterhin Leitungen für Strom oder Seilbahnen, aber auch illegale Abschüsse.
Auch Bartgeier-Experte Wegscheider nennt als „viel größere Gefahr“ Kabel, Lifte und Bahnen. Weite Teile der Alpen seien stark verdrahtet, was derzeit das deutlich größere Problem darstelle. Es werde dadurch verstärkt, „dass fast alle Bartgeier zumindest erhöhte, wenn auch noch nicht tödliche, Bleiwerte aufweisen“. Das Nervengift beeinträchtige auch die Reaktionsfähigkeit und die Wahrnehmung der Vögel.

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Wegscheider meint: „Ein unbelasteter Geier könnte einem im Nebel auftauchenden Kabel vielleicht noch ausweichen, ein auch nur leicht beeinträchtigter dagegen nicht.“ Der Landesbund für Vogel- und Naturschutz setzt sich für ein Verbot von bleihaltiger Munition ein.
Gibt es bald Bartgeier-Nachwuchs?
Für die bayerischen Bartgeier gibt Wegscheider Entwarnung: Alle seien wohlauf und super in der Natur integriert, sagt er der AZ. Die Jüngsten hätten schon ein tolles Gespür für die Landschaft entwickelt. Die älteste Dame, Bavaria (fast 4), sei sesshaft im Salzburger Land und in zwei Jahren brutbereit. In der Vergangenheit sei sie oft mit Nepomuk zu sehen gewesen. Der fliegt derzeit jedoch durch Schweizer Nationalparks. Doch: „Wenn sie sich zur Brut finden möchten, finden sie sich“, sagt Wegscheider hoffnungsvoll.
Auch in diesem Jahr werden wieder zwei neue Bartgeier im Nationalpark Berchtesgaden ihre Kreise ziehen. Wegscheiders Team plant schon die kommende Auswilderung. „Wir erhalten wieder zwei Küken aus einem Zuchtprogramm – die schlummern aber noch in ihren jeweiligen Eiern“, teilt er mit. Noch sei unklar, woher die Geier für dieses Jahr stammen und wann genau sie in ihrer Auswilderungsnische einziehen werden.
Bartgeier können eine Flügelspannweite von über zweieinhalb Metern erreichen. Jahrhunderte lang waren die Greifvögel im Alpenraum heimisch, bis sie Anfang des 20. Jahrhunderts vom Menschen ausgerottet wurden – aufgrund eines Volksglaubens. Die Aasfresser waren irrtümlicherweise als „Lämmergeier“ und „Kindsmörder“ gefürchtet.