Simone Young: Raritätenabend mit BR-Symphonikern in München – München | ABC-Z

Viele Stühle auf der Bühne der Isarphilharmonie, Stühle für ein riesiges Orchester. Doch auf ihnen nehmen nur wenige Musiker des BR-Symphonieorchesters Platz, mit oft ungewohnten Instrumenten wie Mandoline, Gitarre, Harmonium oder Röhrenglocken. Anton Webern hat sie seinen Fünf Orchesterstücken op. 10 einkomponiert, obwohl die zusammen gerade mal fünf Minuten dauern. Füllen werden sich die Stühle erst bei Alban Bergs Drei Orchesterstücken op. 6, inklusive eines monströsen Hammers, ebenso bei Alexander Zemlinskys Lyrischer Symphonie op. 18 nach der Pause, bei der sogar noch eine Orgel dazukommt.
Die Dirigentin Simone Young hat sich diesen Abend aus lauter Raritäten gewünscht, ungewöhnlich für Abonnementprogramme der BR-Symphoniker, wie leider einige leere Stühle auch im Auditorium zeigen. Schließlich gehören Werke des frühen 20. Jahrhunderts zum Kern ihres Repertoires, das bei den hochromantischen Schwergewichten beginnt, letztlich bei Wagner, mit Ausflügen immer wieder in Entlegeneres und zu Uraufführungen. Im vergangenen Jahr hat Young in Bayreuth erstmals den kompletten „Ring“ dirigiert, als erste Frau. Damit war sie oft die erste, was sie selbst erklärtermaßen nie interessierte, und das Publikum eigentlich auch nicht. Die 64-Jährige gehörte schon immer einfach dazu zu den großen Dirigenten, die große Orchestermassen bewegen.
Dabei tupft Young in Weberns Miniaturen die preziösen Klangereignisse noch fast tänzerisch in die Luft, mit bloßen Händen. Erst Bergs Orchesterstücke brauchen den Stab wie volle Körperkontrolle. Wobei fasziniert, welche feinen Klangmixturen sie und die BR-Symphoniker weiterhin hervorzaubern. Young interessiert sich weniger für das Katastrophische der Komposition aus dem Kriegsjahr 1914, mehr für das Spiel mit der neuen Fülle klanglicher Möglichkeiten. Es verbindet die drei Komponisten des Abends, neben Biographischem: Webern wie Berg studierten bei Schönberg, der wiederum beim fast gleichalten Zemlinsky gelernt hatte.
Dass Zemlinsky im Gegensatz zu den dreien durchgängig der Spätromantik verhaftet geblieben sei, ist ein Klischee. Doch seine 1924 uraufgeführte Lyrische Symphonie gehört zweifellos zu deren hypertrophesten Gewächsen: eine Symphonie in sieben Orchesterliedern für Sopran und Bariton, ein Paar, das sich anscheinend nach dem vierten Lied trennt.
Näherhin lassen sich die vertonten Verse des bengalischen Mystikers Rabindranath Tagore kaum deuten. Was Michael Volle, den Bariton, nicht davon abhält, ihnen die Klarheit seiner Sprachbehandlung ebenso zu leihen wie das ganze Gewicht einer Wagner-Stimme. Die weiche Sanftmut, die er im letzten Lied dem Abschied gibt, wirkt umso berückender. Auch Maria Bengtsson kommt trotz mädchenhaften Timbres gut übers Orchester, weil ihr Sopran leuchtet wie die besungenen Rubine.
Doch Simone Young macht es ihnen auch nicht unnötig schwer, dafür hat sie zu viel Opernerfahrung. Sie teilt die Klangmassen ein, steuert Höhepunkte klug an und lässt sie knapp explodieren. Der Applaus danach explodiert nicht gleich, sondern verstetigt sich eher. Was zeigt, dass Zemlinsky seinen Platz durchaus innerhalb der komplexen Moderne hat. Wer sich bei der Wiederholung an diesem Freitagabend drauf einlassen mag: Es gibt noch Karten.