Sieg der Kritikerinnen? ARD macht mit Umkehr im Fall Mischke schlechte Figur | ABC-Z
Wenigstens eine traut sich aus der Deckung. Und das wurde auch Zeit. Sie habe in den letzten Tagen „das Gefühl gehabt, dass wir in einer sehr aufgeregten, sehr dynamisierten Form diskutiert haben. Ich wünsche mir, dass wir wieder zu einer Form zurückkommen, die nicht eine Debatte unmöglich macht“, sagte ARD-Programmdirektorin Christine Strobl im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur zu dem öffentlichen Streit, der um die Berufung des Journalisten Thilo Mischke zum Moderator des ARD-Kulturmagazins „ttt – titel, thesen, temperamente“ entbrannt war.
Die ARD-Erklärung ist ziemlich verdreht
Gegen Kritik, Mischke sei ein Frauenfeind und Sexist, hatte ihn die ARD zunächst in Schutz genommen. Am Samstag teilte der Senderverbund mit, dass Mischke „nicht mehr im Zusammenhang mit ,ttt’“ eingesetzt werde. Er wird die Sendung nicht moderieren, der „ttt“-Podcast mit ihm und der Podcasterin Jule Lobo ist gestrichen.
Man ziehe Mischke von „ttt“ ab, weil die „heftige Diskussion um die Personalie“ so verlaufen sei, dass man die „für uns zentralen und relevanten Themen“, die man mit „ttt“ transportieren und „gemeinsam mit der Community diskutieren“ wolle, nicht mehr aufgreifen könne. Nun gehe es darum, „einen weiteren Rufschaden von ,ttt’ und Thilo Mischke abzuwenden“.
Es ging darum, ihn abzusägen
Die Kulturchefs der ARD zogen also die Reißleine, um eine Debatte zu beenden, die von Beginn an keine war. Auf Für und Wider war die Kritik an Mischke nicht angelegt, sondern darauf, ihn abzusägen. Das war bei den Artikeln kurz vor Weihnachten so und bei dem offenen Brief der vergangenen Woche. Mischkes Berufung sei „bestürzend“, er habe sich von seinen als frauenfeindlich kritisierten Äußerungen nicht wirklich distanziert, man könne sich nicht vorstellen, weiter mit „ttt“ zusammenzuarbeiten, verlauteten mehr als 100 Unterzeichner aus Kultur und Journalismus. Das war ein Ultimatum: entweder er oder wir.
Blickt man auf das Buch, an dem sich die Kritik hauptsächlich entzündet, mag man denken: Der Vorwurf stimmt. „In 80 Frauen um die Welt“ handelt von einer Weltreise, auf welcher der Ich-Erzähler mit 80 Frauen schlafen will – Macholektüre, geschrieben im Jahr 2010. In einem Podcast im Jahr 2019 fabulierte Mischke derart unterkomplex über Evolutionsbiologie, dass es einem in den Ohren brennt. Das ist eine Seite von Thilo Mischke.
Auf einer anderen steht die Versicherung, dass er sich in einem Podcast im März 2021 von seinem Buch und seinen Äußerungen distanziert und eine Neuauflage verhindert hat. Das respektiere man, sagte die ARD kurz nach Weihnachten, und freue sich auf Mischke als neuen Moderator. Auf seiner Habenseite stehen auch Reportagen, mit denen er sich Anerkennung verdient hat.
Deutscher Fernsehpreis, „Journalist des Jahres“
Seine Recherche „Rechts. Deutsch. Radikal.“ (2020) war um einiges schärfer als die „Geheimplan“-Aufführung von „Correctiv“ im vergangenen Jahr. 2019 und 2020 lieferte er für Pro Sieben Reportagen über Deutsche ab, die sich der Terrorgruppe IS anschlossen. Ein Jahr nach dem Abzug der internationalen Truppen ging er nach Afghanistan und berichtete über ein Land „im Griff der Taliban“. Er bekam den Deutschen Fernsehpreis, den Bayerischen Fernsehpreis, den Preis der Deutschen Akademie für Fernsehen und wurde in der Umfrage des „Medium Magazins“ 2020 zum „Journalisten des Jahres“ in der Kategorie „Reportage National“ gewählt.
Ist das derselbe Mischke, von dem das Macho-Buch stammt und der, bevor er Krisenreporter wurde, mit der Doku „Unter fremden Decken – Auf der Suche nach dem besten Sex der Welt“ auflief? Das fragte man sich. Doch wer die Reportagen ansah, bekam mit, dass Mischke ins ernste Fach wechselte. Dass er zu „ttt“ wollte, wurde ihm nun zum Verhängnis. Für seine Kritikerinnen zählt die Habenseite seines Journalismus nicht.
Bei seinem Heimatsender Pro Sieben wird er für seine Arbeit hingegen weiterhin geschätzt. „Was für eine wilde Jagd auf @ThiloMischke“, schreibt der Privatsender auf der Plattform X. „Wir schätzen ihn, weil er seit Jahren unfassbar wichtige und gute Reportagen macht, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. Ihn nur an einem Buch aus der Damals-Zeit zu messen, ist ein sehr sehr selbstgerechter Ansatz, der viel über diejenigen aussagt, die genau das machen.“
Man kann sich aus vielerlei Gründen fragen, ob Mischke zu „ttt“ passte. Ausgerechnet er? Die ARD-Kulturchefs, die für ihn waren, hätten deutlich sagen müssen, wieso die Wahl auf ihn fiel. Dass sie dazu nicht in der Lage waren, ist schwach.
So gilt es, wie Christine Strobl sagt: „wieder zu einer normalen Debattenkultur“ zurückzukommen. Über die Konfrontation müsse man „im Nachgang sowohl intern als auch mit den Beteiligten im Bereich der Medien- und Kulturbranche sprechen“. Wenn sie höre, dass „anerkannte und beteiligte Personen aus der Branche sagen, sie trauen sich nicht mehr zu, in der Öffentlichkeit etwas zu dieser Debatte zu sagen, weil sie Angst haben, sich einem persönlichen Shitstorm auszusetzen“, dann sei das besorgniserregend. Wer wollte dem widersprechen?