Kultur

Sie kann viel mehr als nur Schlager | ABC-Z

Es sollte nicht sein. Was sie bis heute wurmt. Zweimal ein dritter Platz, 1980 war sie sogar Zweite. Zwei Jahre bevor ­Nicole mit „Ein bisschen Frieden“ den Eurovision Song Contest (ESC) endlich für Deutschland gewann. Karin Ilse Witkiewicz, besser bekannt als Katja Eb­stein, beließ es bei drei Versuchen. Womöglich auch aus Trotz. Später sagte sie, die Zeit sei noch nicht reif und die Animositäten gegen Deutschland „wegen seiner Nazimonster-Vergangenheit“ seien zu groß gewesen. Dabei war sie es, die, wie sie meint, den ersten „Öko-Song“ gesungen hatte, „Diese Welt“ beim ESC 1971 in Dublin. Auch ­dafür war die Zeit offenbar noch nicht reif: Von einem Klimawandel sprach Helmut Kohl 1982 erstmals im Bundestag.

Sie überstrahlte früh ihre Kolleginnen

Katja Ebstein, kurz vor Kriegsende im niederschlesischen Ort Gilów (Girlachsdorf) geboren, überstrahlte schon früh ­viele ihrer Kolleginnen dank ihrer unverwechselbaren Stimme. Nur die 1969 bei einem Autounfall tödlich verunglückte Alexandra (auch sie hatte ihren Öko-Song, schon 1968 mit „Mein Freund, der Baum“) wusste ihr Publikum mit ähnlicher Tiefe und Wärme in den Bann zu schlagen. Auch sonst war Ebstein eine Ausnahmeerscheinung in der Schlagerbranche, und nicht nur wegen ihrer langen roten Haare. Sie kam aus der ­Studentenbewegung in Berlin, studierte Archäologie und Romanistik, kannte Benno Ohnesorg, ließ sich von Rudi Dutschke im „Café am Steinplatz“ den Marxismus erklären. Sie hat sogar eine Vorstrafe auf dem Konto, auf die sie stolz ist: für die Teilnahme an einer Sitzblockade gegen die Aufstellung von Pershing-II-Raketen.

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Im studentischen Wendejahr 1968 traf sie, die nebenher in Kneipen angefangen hatte zu singen, ihren späteren Ehemann Christian Bruhn, der für die junge Sängerin 1970 auch Ebsteins bekanntestes Lied komponierte: „Wunder gibt es immer wieder“ (Text: Günther Loose). Mit diesem Evergreen, Platz drei beim ESC in Amsterdam, begann ihre Karriere, die sich nach dem ESC 1980 („Theater“, geschrieben von Ralph Siegel und Bernd Meinunger) in neue Richtungen entwickelte. Ebstein ging ans Theater, spielte den Blauen Engel im „Professor Unrat“, die Buhlschaft im „Jedermann“, die Spelunken-Jenny in der „Dreigroschenoper“, sie sang in Musicals („Chicago“, „Victor und Victoria“), und sie war sogar im Fernsehen zu sehen, etwa im Film „Wunderland“ an der Seite von Gustl Bayrhammer, aber auch mit eigenen Fernsehshows („Mein Name ist Katja“).

Regisseur auch ihres Lebens war oft ihr zweiter Mann Klaus Überall, der für sie vor allem seit den Neunzigern bis zu seinem Tod 2008 Literaturprogramme schrieb und diese auch inszenierte, mit Texten von Heinrich Heine bis Loriot. Mit ihnen ging Ebstein auf große und sehr erfolgreiche Tourneen. So war und ist sie die vielseitigste Künstlerin unter den Schlager­­sänger­in­nen, und die politischste. Zuletzt sah man sie auf Demonstrationen gegen rechts. Am Sonntag wird Katja Ebstein 80 Jahre alt.

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