„Sie geben Putin eine Plattform“ | ABC-Z

Boris Pistorius ist seit gut einem Jahr in Umfragen der beliebteste Politiker Deutschlands. Das liegt keineswegs daran, dass er etwa für zwei Politiker die Zustimmung einheimst, weil manch einer ihn nicht von Armin Laschet unterscheiden kann. In der Talkshow von Caren Miosga demonstriert der SPD-Politiker eindrucksvoll, woraus sich dieser Zuspruch speist.
Nicht nur pariert der deutsche Verteidigungsminister mit einer rhetorischen Präzision und Klarheit die Fragen der Moderatorin, wie sie im heutigen politischen Diskurs selten geworden ist. Er entlarvt zudem Miosgas Suggestivfragen, die auf „Erwischt!“-Momente abzielen, als unzureichend, sobald das Gespräch sich auf komplexe Inhalte stützt und nicht auf politische Scharaden.
Trump ist keine sichere Quelle
Die weltpolitischen Voraussetzungen, unter denen die Sendung am Sonntagabend ausgestrahlt wurde, hätten keinen deutschen Gast gefragter machen können als den Verteidigungsminister. In der letzten Polittalk-Sendung vor der Sommerpause war Pistorius zum Dialog geladen: Kein anderer Gast war neben ihm dabei. Thema sollte die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr sein. Doch dazu kam es zunächst nicht.
In der Nacht zuvor hatte Donald Trump seine Drohung wahrgemacht: Während Europa noch in Genf mit dem iranischen Regime verhandelte, flogen amerikanische Kampfflugzeuge Angriffe auf drei iranische Atomanlagen. Der Abend in der ARD begann mit einer Brennpunkt-Sendung, Miosgas Talk-Interview verzögerte sich um 15 Minuten.
Die Eskalation im Nahen Osten bestimmte auch die ersten Minuten des Gesprächs zwischen Caren Miosga und Boris Pistorius. Ob die Zerstörung der iranischen Atomanlagen eine gute Nachricht sei, will die Talkmasterin wissen. Bereits in dieser ersten Frage macht der SPD-Politiker deutlich, dass von ihm unbedingte Differenzierung zu erwarten ist: Nein, militärische Schläge, die die friedliche Weltordnung aufs Spiel setzen, seien nicht gut. Es sei jedoch – und hier ist der Konjunktiv entscheidend – eine gute Nachricht wenn (lies: falls) es stimme, was Trump über den Erfolg der Operation „Midnight Hammer“ verkündet hat und die Atomanlagen „komplett zerstört“ seien.
Miosga, geübt im Aufspüren von Konjunktiven, greift sogleich den Knauf an Pistorius’ sprachlicher Hintertür: „Wenn es stimmt, was die Amerikaner sagen?“, wiederholt sie. Pistorius nun konkret: „Wir wissen es nicht aus eigenen Quellen.“ Das ist keine sprachliche Subtilität, für die Miosga hier als Geburtshelferin auftritt. Pistorius drückt zwischen den Zeilen Grundsätzliches aus: Trumps Aussagen über seine Erfolge in Iran ist nicht zu trauen.
Zwei deutliche „Ja“ von Pistorius
Bei sprachlichen Analysen möchte die Moderatorin zunächst auch bleiben. „Bemerkenswert“ nennt sie Friedrich Merz’ Aussage, Israel erledige die „Dreckarbeit“ in Iran. Die ARD hat den Interview-Ausschnitt aus dem ZDF journalistisch sauber geschnitten: Deutlich wird, dass es die ZDF-Journalistin selbst war, die den vielfach kritisierten Begriff ins Gespräch brachte. Merz nimmt ihn bloß dankend auf. Und Miosga fordert von Pistorius eine Einschätzung.
Auch hier fällt seine Antwort abwägend aus: Scholz sei kritisiert worden für zu wenig klare Sprache, Merz habe nun eine sehr klare eigene Sprache – „und das ist nun auch wieder nicht richtig.“ Pistorius macht deutlich, an solchen Oberflächlichkeiten wolle er sich nicht aufhängen: Es gehe darum, über die Hintergründe solcher Aussagen zu sprechen, nicht über die Wortwahl. Er selbst hätte es anders formuliert, gibt er zu, doch in der Sache sei es richtig, was Merz gesagt habe. Das Spiel der politischen Spaltung, das allzu gern in Talkshows aufgeführt wird, verweigert der Verteidigungsminister.
Nur zehn Minuten widmet die Moderatorin der aktuellen Lage in Iran, dann schwenkt sie um auf das Thema, mit dem Pistorius angekündigt war: Wird die Bundeswehr bis 2029 kriegstüchtig?, will sie nun wissen. Fachleute hatten es als den Zeitpunkt ausgemacht, zu dem Russland militärisch wieder bereit sein dürfte, NATO-Gebiet anzugreifen. Pistorius antwortet mit jener Klarheit, die stets als erstes genannt wird, wenn nach seiner Beliebtheit gefragt wird: „Ja“, und gleich ein zweites „Ja“ hinterher.
Wie er das ohne Wehrpflicht schaffen wolle, hakt Miosga nach und nennt ein Defizit von 50.000 bis 60.000 Soldaten. Dass der Verteidigungsminister in Sachen Zahlen seine Hausaufgaben gemacht hat, stellt er nun unter Beweis: Nicht nur beziffert er den deutschen Soll-, aktuellen Ist-Zustand und die NATO-Zielmarke einwandfrei, er leitet auch fachkundig ab, warum eine Wehrpflicht nicht zwangsläufig zu mehr Berufssoldaten führen würde, sondern vielmehr zu einer höheren Zahl an Reservisten. Auch den Sold der Wehrdienstleistenden hat Pistorius parat und verspricht: „Er wird in diesem Jahr deutlich steigen.“
Deutliche Kritik am „Friedensmanifest“
Der Rückgang an Kasernen in den vergangenen 30 Jahren sei ein weiteres großes Problem, das Pistorius anzugehen verspricht. Einzelstuben, wie es sie heute gibt, habe es zu seiner Zeit – Pistorius leistete Anfang der Achtzigerjahre Wehrdienst – nicht gegeben. Bedenklich sei zudem der Rückgang an Kasernen.
Dass er keine Scheu hat, sich auch gegen Parteikollegen zu stellen, verdeutlicht er in der folgenden Aussage: „Wenn sich in Zukunft herausstellt, dass die Zahl der Plätze in den Kasernen größer ist als die Zahl der Freiwilligen, dann ist der Zeitpunkt gekommen, dass Kabinett und Parlament gemeinsam eine Wehrpflicht auf den Weg bringen sollten.“ Sein Parteikollege Matthias Miersch, Fraktionsvorsitzender der SPD, hatte eine solche in dieser Legislaturperiode ausgeschlossen.
Auch andere Parteikollegen geraten ins sprachliche Kreuzfeuer. Miosga fordert Pistorius zu einer Stellungnahme zum „Friedensmanifest“ auf, das unter anderem seine Parteikollegen Rolf Mützenich und Ralf Stegner unterzeichnet hatten und das eine Entspannung der Beziehungen zu Russland fordert. Zunächst tut Pistorius das Papier als legitime Position ab, stellt dann aber klar: „Verhandlungen brauchen auf beiden Seiten jemanden, der bereit ist, über Frieden zu sprechen.“ Russland zähle dazu allerdings nicht.
Nun legt er nach: Putin sei ein Revisionist und Imperialist, der die Ukraine zu russischem Staatsgebiet erklärt habe, weshalb Passagen des „Manifests“, die Europa nun als Konfrontator gegenüber Russland darstellten, „einen verqueren Blick auf die Realität“ offenbarten. Schließlich fordert er die Verfasser auf, zu überdenken, ob dies „die richtigen Formulierungen“ seien, um eine legitime Debatte zu führen. Wohl auch diese Bereitschaft zur Schnörkellosigkeit gegenüber den eigenen Parteigenossen dürfte es sein, die Pistorius’ Beliebtheit stützt. Bereits hier nimmt Pistorius der Moderatorin das Zepter aus der Hand: Das Thema „Friedensmanifest“ ist jedenfalls beendet, als er es fordert.
Er weist die Moderatorin zurecht
Bemerkenswert ist, was nun folgt: Miosga spielt ihrem Gast eine Szene vor, in der Putin auf dem Petersburger Wirtschaftsforum behauptet, nur deutsche Piloten könnten Taurus-Marschflugkörper bedienen – und folgert, insofern sie dies tun, seien sie damit in direkten bewaffneten Konflikt mit Russland. Pistorius soll diese Szene einordnen, entscheidet sich jedoch für das Gegenteil: „Ich bin nicht Multiplikator seiner Aussagen.“ Er weigert sich, Putins Aussagen auszuführen oder zu bewerten.
Miosga versucht es mit einer Provokation: Als Verteidigungsminister könne Pistorius sich stets damit herausreden, bestimmte Inhalte unterlägen der Geheimhaltung. Aufklärung sei allerdings vonnöten. Miosga grinst ihrem Gegenüber zu, Pistorius bleibt ernst: „Das ist kein Spiel.“ Die Gesellschaft müsse, so schiebt er energisch nach, lernen, mit „militärischen und sicherheitsrelevanten Geheimnissen wieder als solchen umzugehen.“ Recht hat er: Auch in Russland ist das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen zu empfangen. Schließlich legt er sein Unbehagen offen: „Sie geben Putin eine Plattform.“
Das sitzt. Selten hat ein Gast die Moderatorin derart deutlich zurechtgewiesen. Die Sommerpause hat sich Caren Miosga nach einem derart kampflustigen Interviewpartner jedenfalls verdient.