Sie finden Hitler irgendwie cool | ABC-Z

Als „wichtigsten Historiker, der heute in den USA arbeitet“, stellte der frühere Fox-News-Moderator Tucker Carlson im vergangenen Herbst Darryl Cooper vor – einen Mann, der weder über akademische Referenzen verfügt noch wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht hat. Aber Cooper liest, wie er sagt, „seit dreißig Jahren Geschichtsbücher“. Er betreibt einen Podcast mit dem Namen „Martyr Made“, in dem er sich, wie er sagt, bemüht, seiner „Pflicht nachzukommen, die Perspektive der Täter zu verstehen“.
Das bewog ihn, Winston Churchill als den „zentralen Bösewicht des Zweiten Weltkriegs“ auszumachen: „Er hat nicht die meisten Menschen umgebracht und nicht die größten Grausamkeiten verübt, aber wenn man die Geschichte richtig und ohne Auslassungen erzählt, trug er die Schuld daran, dass der Krieg wurde, was er war – mehr als die Invasion Polens.“
Lob für Mut und „Wohltätigkeit“
Diese Einschätzung durfte Cooper vor wenigen Wochen auf dem Podcast von Joe Rogan verbreiten, den die Plattform Spotify mit 250 Millionen Dollar finanziert und dem mehr als vierzehn Millionen Menschen folgen. Cooper wurde durch seinen Auftritt in Carlsons Show auf X zum Superstar der Szene, die in sozialen Netzwerken und im Podcaster-Universum sehr viel Geld mit Geschichtsrevisionismus verdient.
Zum Beispiel mit der Einlassung, man müsse wissen, dass es „schlicht keinen Plan zur Versorgung der Millionen gab, die in Kriegsgefangenenlagern endeten“, wie Cooper bei Rogan sagte. Die Frage unter führenden Nazis sei gewesen, ob es nicht humaner sei, die Leute direkt umzubringen, statt sie elend verhungern zu lassen.
Rogan setzte seinem Gast nichts entgegen. Stattdessen brüstete er sich damit, er habe die Mondlandung schon in Zweifel gezogen, bevor es Podcasts gab. Rogan überschlug sich geradezu, Cooper für seinen vermeintlichen Mut und seine „Wohltätigkeit“ zu loben. Cooper vorzuwerfen, er leiste dem Antisemitismus Vorschub und entlaste das NS-Regime, seien lachhaft, meinte Rogan und biederte sich bei Cooper an: „Das wird bei Leuten, die deine Arbeit kennen, nicht verfangen.“
„Er definitiv viel Richtiges für sein Land getan“
Dem Gastgeber der „Joe Rogan Experience“ mangelt es, wie man bei der Gelegenheit sehen konnte, nicht nur an journalistischer Qualifikation. Rogan und anderen aus der rechten Szene geht es vielmehr längst nicht mehr darum, „alternativen Stimmen“ Raum zu geben, wie es einst das Markenzeichen des Podcasters war. Es geht um den Tabubruch, die Provokation, um „die Wahrheit“.
Und diese „Wahrheit“ kann nur in einem aufsehenerregenden Gegenentwurf zum rationalen, von Expertise getragenen politischen und wissenschaftlichen Diskurs liegen. Damit machen Vertreter der sogenannten „Manosphere“ – Leute, die den Verfall der Männlichkeit in Amerika beklagen und mit Muskeln, blutigen Kämpfen, Dominanzverhalten und Frauenverachtung reüssieren – im Netz dickes Geld.
Der Podcaster Myron Gaines (eigentlich Amrou Fudl) sagte auf seinem Podcast „Fresh and Fit“, mit dem er 1,5 Millionen Follower erreicht: „Obwohl Hitler Dinge getan hat, die moralisch inkorrekt sind, hat er definitiv viel Richtiges für sein Land getan. Das ist Fakt. Aber man darf ja nicht mal erwähnen, dass er auch Gutes für sein Land getan hat.“ Kürzlich postete er eine Fotomontage von sich und Adolf Hitler vor dem Eiffelturm mit dem Kommentar „N*ggas in Paris“; Gaines und sein Kollege Sneako (eigentlich Nico Kenn de Balinthzy), der zwei Millionen Abonnenten auf Youtube hat, machen sich seit Längerem einen Spaß daraus, Gäste in ihrer Sendung dazu zu überreden, mit hochgerecktem Arm „Sieg Heil“ zu schreien.
Wer wiederspricht ist Vertreter des „Herrschaftswissens“
Der ehemalige Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Jake Shields verkündete seinen 800.000 Followern auf X: „Ich glaube nicht, dass ein einziger Jude in einer Gaskammer gestorben ist.“ Als der Bürgerrechtsverband Southern Poverty Law Center ihn deswegen kritisierte, entgegnete Shields: „Historiker stehen wegen widerwärtiger Leute wie euch unter Druck, zu lügen.“ Unter den Männlichkeits-Bros gehört es längst zum guten Ton, Hitler cool zu finden.
Das gilt auch für den Mixed-Martial- Arts-Kämpfer Bryce Mitchell, der auf X mehr als eine Viertelmillion Follower hat. In seinem Podcast „Arkansanity“ bezeichnet er Hitler als „guten Mann“: „Er hat für sein Land gekämpft. Er wollte es reinigen, indem er die gierigen Juden rauswarf, die sein Land zerstörten und alle in Schwule verwandelten.“ Mitchell entschuldigte sich später und sagte, er billige die „vielen üblen Taten“ Hitlers keineswegs. Zuvor hatte er allerdings bekräftigt, wenn man einmal selbst nachdenke und sich nicht auf das verlasse, was einem in der Schule eingetrichtert worden sei, müsse einem klar werden, dass „es unmöglich ist, sechs Millionen Körper zu kremieren, und dass der Holocaust nicht reell ist“.
Diesen judenfeindlichen Verlautbarungen, der Leugnung des Holocausts und der Verherrlichung des NS-Regimes liegt die unter Trump-Fans weit verbreitete Überzeugung zugrunde, dass Experten, Akademiker und Journalisten Vertreter eines „Herrschaftswissens“ seien, welches der politische Gegner, die Demokraten also, einsetze, um die Massen zu manipulieren. Anerkannte Tatsachen werden als politisch motivierte Verzerrungen der Wahrheit ausgegeben. „Do your own research“ lautet die Losung.
Unter dieser traten auch die „QAnon“-Verschwörer an, die am 6. Januar 2021 am Sturm auf das Kapitol in Washington beteiligt waren. Dass es keine Beweise für den von Donald Trump behaupteten Betrug bei der Präsidentenwahl 2020 gab (und gibt), belegte in den Augen derjenigen, die in das Parlamentsgebäude eindrangen nur, mit welcher Sorgfalt die vermeintlichen Verschwörer vorgegangen waren. Die „eigene Recherche“ ist inzwischen Quell der publikumswirksamsten Lügen im Netz.
Sie leben von purer Provokation
Wer relevant bleiben will in der MAGA-Welt und der „Manosphere“ rund um Leute wie Joe Rogan (er war einst hauptberuflich Kommentator bei Mixed-Martial-Arts-Kämpfen des Verbands UFC), der spielt das böse Spiel mit. Womöglich mit Schützenhilfe von „Historikern“ wie dem erwähnten Darryl Cooper. Oder von Ian Carroll, einem weiteren selbsterklärten „Forscher“, der bei Rogan auftauchte. Carroll behauptet, das nationalsozialistische Deutschland sei „vom internationalen Bankenkartell geschaffen“ worden, die Konzentrationslager hätten globale Konzerne zur Sklavenarbeit errichtet. Als er sich Übersetzungen von Hitlers Reden anhörte, will Carroll festgestellt haben, dass diese ja „gar nicht judenfeindlich, sondern nur sehr pro-deutsch waren“. Das Internet habe es endlich möglich gemacht, die „verbotenen Reden“ selbst in Augenschein zu nehmen, so Carroll, der offenbar noch nie eine Bibliothek betreten hat. „Die Erzählungen über den Holocaust, die ich in der Schule gelernt habe, sind in der Ära kontrollierter Information entstanden“, sagte Carroll. „Jetzt sind wir im Zeitalter offener Information, und vieles von dem Kram über Holocaust-Leugnung auf Twitter ist es wert, diskutiert zu werden.“
Wie der „Atlantic“ im vergangenen Jahr unter der Überschrift „Der gefährliche Aufstieg der Podcast-Historiker“ bemerkte, bleibt vieles von dem, was in den Podcasts als „gelehrt“ daherkommt, ohne jede Überprüfung. „Die Leute, die sich hier als Autoritäten ausgeben, spielen mit Vorurteilen und ersetzen komplexe Erkenntnisse durch schlichte Antworten und den Verweis auf Sündenböcke.“ Wie die Journalistin Claire Lehmann neulich in dem konservativen Onlinemagazin „The Dispatch“ bemerkte, fällt dies besonders bei einem Publikum auf fruchtbaren Boden, „das nicht liest“. Lehmann schreibt: „Wenn eine narrative Kultur, die in audiovisuellen Medien stattfindet, sich mit amateurhaften Methoden verbindet, schwindet unsere kollektive Fähigkeit, die Wahrheit auszumachen.“
Freilich geht es Rogan und Co. gar nicht um Erkenntnisgewinn – sie leben von purer Provokation, von Wichtigtuerei mit „alternativen Fakten“, von medienwirksamer „Zweifeln“ an anerkannten Tatsachen, und zwar völlig frei von erkenntnistheoretischen Erwägungen. Das Publikum schluckt die Lügen, mit denen die Geschichte umgeschrieben wird, willig und will an die großer Verschwörung der Mächtigen glauben. In den Kommentaren zum Gespräch Rogans mit Darryl Cooper schrieb einer: „Erstaunlich, dass viele Leute solche Mühe damit haben, die Erzählung zu hinterfragen, die ihre Regierung ihnen eingetrichtert hat.“