Wirtschaft

Zurückweisungen an der Grenze: Merz und sein gefährlicher Irrweg in der Migrationspolitik | ABC-Z

Bundeskanzler Friedrich Merz und sein Innenminister Alexander Dobrindt haben
angekündigt, an der Zurückweisung von Asylsuchenden an Grenzen prinzipiell festhalten zu wollen, obwohl ein Berliner Gericht diese Praxis kürzlich untersagt hat. Das ist aus mehreren Gründen ein schwerer Fehler. 

Der
Wunsch nach einer besseren Steuerung der Zuwanderung ist legitim und
verständlich. Aber mit dem angekündigten Vorgehen höhlen ausgerechnet
Regierungsverantwortliche unsere Demokratie aus, vertiefen die politische
Spaltung und verstärken den Zulauf zur AfD. Zudem schwächen sie mit ihrem
nationalen Alleingang Europa – in Zeiten, in denen ein starkes Europa wichtiger
denn je ist. Und sie richten erheblichen wirtschaftlichen Schaden an.

Vieles deutet darauf hin, dass Merz und Dobrindt sich in der
Migrationspolitik ein Beispiel an Donald Trump nehmen. Seit Jahren bedienen sie
sich einer populistischen Rhetorik, in der Geflüchtete die deutschen
Sozialsysteme missbrauchen, sich nicht integrieren wollen und unfaire Vorteile gegenüber Deutschen haben. Zitat Merz: “Die
sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger
nebendran kriegen keine Termine.” Nun, da sie an den Schalthebeln der Macht
sitzen, versuchen sie, selbst im Grundgesetz verankerte Rechte zu umgehen. Was
kommt als Nächstes? Wie weit sind sie gewillt, Trumps Kurs zu folgen?

Die Migrationspolitik der Union, die scheinbar auch vom
Koalitionspartner SPD getragen wird, richtet aus drei Gründen erheblichen
Schaden für Deutschland und Europa an. 

Auch wenn es im Urteil des Berliner
Verwaltungsgerichts nur um einen Einzelfall ging, rüttelt die Ankündigung, trotz
des Urteils generell an Zurückweisungen festhalten zu wollen, erstens an demokratischen
Grundfesten. Das Recht auf Asyl ist fest und unmissverständlich im Grundgesetz
verankert. Anstatt Brücken zu bauen und einen breiten Konsens zu finden, vertieft
dieses Vorgehen die politische Spaltung in unserem Land. Merz und Dobrindt
scheinen die Lehren der vergangenen zehn Jahre nicht verstanden zu haben: Die
AfD ist die einzige Gewinnerin dieser Politik. Verlierer sind unsere
Demokratie, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit
unserer Gesellschaft.

Zweitens schwächt der Kurs der deutschen Migrationspolitik
Europa empfindlich. Das Gericht hat angemahnt, dass die Bundesregierung sich an
europäisches Recht halten muss und keinen nationalen Alleingang gehen darf.
Zurückweisungen an der Grenze fallen auf unsere Nachbarländer zurück und
stärken auch dort die extrem rechten politischen Ränder. Wir sehen gerade in
Polen, wohin das führen kann – und wozu die deutsche Politik einen Beitrag
leistet.

Mit dieser Schwächung Europas schadet Deutschland vor allem
sich selbst. Denn im Konflikt mit den USA und China ist Deutschland durch seine
Größe und Offenheit sehr viel verletzlicher als andere und stärker auf ein
geeintes, starkes Europa angewiesen.

Drittens richtet die Migrationspolitik der Bundesregierung
erheblichen wirtschaftlichen Schaden an. Sie wird unweigerlich dazu führen,
dass qualifizierte Fachkräfte in den kommenden zehn Jahren einen Bogen um
Deutschland machen werden. Denn Ingenieurinnen aus Indien, Pfleger aus den
Philippinen oder IT-Programmiererinnen aus Brasilien haben Alternativen: Sie meiden
seit langem Deutschland, da sie sehr wohl die politischen Signale des
Nicht-Willkommenseins wahrnehmen. Menschen, die wegen Krieg, Verfolgung oder
Armut nach Deutschland kommen, haben dagegen meist keine andere Wahl. Die
Konsequenz für Deutschland ist: weiterhin ungesteuerte Zuwanderung, wegen Krieg,
Verfolgung und Armut – aber
kaum gesteuerte Zuwanderung, die wir für unseren Arbeitsmarkt dringend
benötigen
.

Viele Bereiche der Daseinsfürsorge wie Pflege und Gesundheit
werden darunter leiden – und damit alle Bürgerinnen und Bürger. Viele kleine
und mittelständische Unternehmen sind durch fehlende Fachkräfte in ihrer
Existenz bedroht, was auch viele gute Arbeitsplätze für Deutsche gefährdet. Eine
starke und anhaltende Zuwanderung von Fachkräften ist eine der wichtigsten
Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.

Drei Wege aus dem Migrationschaos

Wir brauchen daher dringend einen Kurswechsel in der
Migrationspolitik – mit drei zentralen Elementen: Erstens müssen Kanzler Merz
und seine Bundesregierung schnell und glaubwürdig kommunizieren, dass sie sich
an Recht und Gesetz halten werden. Und dass sie Deutschlands Verantwortung in
Europa – auch in der Migrationspolitik – in Zukunft besser gerecht werden. Dies
erfordert ein Ende nationaler Alleingänge und die Stärkung europäischer
Institutionen und Regeln, um die Zuwanderung besser und fairer steuern zu
können.

Zweitens müssen die demokratischen Parteien die Migrationsdebatte
wieder mit mehr Ehrlichkeit und ohne den unsäglichen Populismus der vergangenen
Jahre führen. Dazu muss man sich eingestehen, dass die Zuwanderung zwar eine
große Herausforderung, aber für keines unserer großen Probleme
verantwortlich ist. Demokratische Politiker sollten nicht ausschließlich über
die Probleme und Gefahren, sondern viel stärker über die Erfolge und Chancen
der Zuwanderung sprechen. Und sie sollten den Menschen ehrlich vermitteln, dass
unser wirtschaftlicher Wohlstand und die Zukunft vieler Unternehmen und
Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, wenn wir nicht eine offene Gesellschaft
bleiben und unsere Willkommenskultur verbessern.

Drittens benötigen wir eine Verlagerung der
Migrationspolitik – weg von dem Fokus, wie Menschen aus Deutschland
ferngehalten werden können, hin zu der Frage, wie die 3,2 Millionen
Schutzsuchenden, die bereits in Deutschland sind, besser in Arbeitsmarkt und
Gesellschaft integriert werden können. Denn die meisten dieser Menschen werden
auch langfristig in Deutschland bleiben – und es ist im Interesse aller, dass
sie gute Chancen und alle Unterstützung erhalten, um sich möglichst gut zu
integrieren. Das erfordert den Abbau der vielen Hürden, die den Geflüchteten in
den Weg gelegt werden – von viel zu langsamen Verfahren bei der Anerkennung von
Qualifikationen und Sprachkenntnissen bis hin zum Zugang zu Wohnraum und
anderen Leistungen, die für eine erfolgreiche Integration notwendig sind.

Die Migrationspolitik der neuen Bundesregierung befindet
sich auf einem gefährlichen Irrweg. Sie höhlt unsere Demokratie aus, sie
schwächt Europa und sie verursacht erheblichen wirtschaftlichen Schaden. Sie
hat nur einen Gewinner: die AfD. Dabei liegt der einzig gangbare Weg auf der
Hand: Europa und die europäischen Institutionen stärken – und den Fokus auf
eine erfolgreiche Integration der 3,2 Millionen Schutzsuchenden richten, die
heute bereits in Deutschland sind und die der deutsche Arbeitsmarkt dringender
denn je benötigt.

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