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Sibylle Anderls und Claus Leggewies Buch „Die Sonne“ | ABC-Z

Als „Lichtmaulwürfe“ bezeichnete der Schriftsteller Alfred Döblin die Menschen in seinem Buch „Das Ich über der Natur“. Wir existierten in einem kleinen Lichtkegel inmitten kosmischer Dunkelheit, halten aber das Sonnenlicht für so selbstverständlich, dass uns kaum je der Gedanke bewegt, wie gewaltig es ist, was da 150 Millionen Kilometer von uns entfernt passiert.

Ohne die Sonne gäbe es die Erde nicht, die von ihrem Schwerefeld geformt wurde. Alles Leben auf unserem Planeten – mit Ausnahme einiger kleiner Nischen im Umkreis von Heißwasserschloten in der Tiefsee – ist das Ergebnis von solarer Energie. Viele globale Klimaveränderungen, die den Lauf der Evolution geprägt haben, lassen sich auf Schwankungen der Sonnenaktivität und des Abstands der Erde zur Sonne zurückführen. Unsere Nahrung, unser Baumaterial, unsere Kleidung – alles ein Produkt der Sonne. Selbst wenn wir Öl und Kohle aus den Tiefen der Erde holen, um sie zu verbrennen, zapfen wir das Sonnenlicht längst vergangener Zeiten an.

Die Sonne steht als gigantische Kraft über allem, spendet Leben und vernichtet es: Frühere Kulturen – in der europäischen Bronzezeit, im alten Ägypten und zuletzt in Südamerika – verehrten die Sonne denn auch als Gottheit. „Unsere Vorfahren lebten im Bewusstsein der Abhängigkeit von diesem mächtigen Himmelskörper, der ihren Alltagsrhythmus ebenso bestimmte wie den Gang der Jahreszeiten“, schreiben Sibylle Anderl und Claus Leggewie in ihrem Buch und verweisen auf Gräber und Tempel, die nach dem Lauf der Sonne ausgerichtet wurden. „Heute laufen wir Gefahr, dieses praktische Wissen aus beobachtender Nähe zur Sonne zu verlieren – und damit unsere historisch so enge Beziehung zu unserem Heimatstern, zusammen mit einem echten Gefühl für unsere Position im Kosmos“, warnen die Autoren.

Noch rund fünf Milliarden Jahre Energie

Die Wissenschaftsjournalistin Sibylle Anderl hat in Astrophysik promoviert, aber auch Philosophie studiert, Leggewie ist Politikwissenschaftler. Ziel ihres Buches ist es, mit der Sonne näher bekannt zu machen. „Wir können uns selbst nicht verstehen, ohne die Sonne zu verstehen“, lautet das Leitmotiv. Die Autoren gehen diese Aufgabe deutlich nüchterner an, als es ihr formulierter Anspruch einer neuen „Entdeckung“ der Sonne erwarten ließe. In angenehm sachlichem Ton und mit vielen Mess- und Jahreszahlen blättern sie nacheinander die Geschichte der Erforschung der Sonne, ihren Aufbau und die Mechanismen der Kernfusion, ihre kulturelle Bedeutung und schließlich ihre Rolle im Klimawandel in der Art eines „Was ist was“ für Erwachsene auf.

Sibylle Anderl und Claus Leggewie: „Die Sonne“. Eine Entdeckung.Matthes & Seitz Verlag

Es gibt in dem Buch viel Interessantes zu entdecken. Man erfährt vom Kuriosum, dass sich Erde und Mond in ihrer Größe um denselben Faktor 400 unterscheiden wie die Entfernung zur Sonne, was dazu führt, dass beide Himmels­körper gleich groß am Himmel erscheinen. Oder davon, dass es 5,5 Millionen Atomkraftwerke bräuchte, um die Sonnenenergie zu erzeugen, die auf der Erde ankommt – und dass die Sonne noch rund fünf Milliarden Jahre Energie aus Wasserstofffusion beziehen kann, also etwa die Hälfte ihrer Lebensdauer erreicht hat.

Was bringt die kontrollierte Kernfusion?

Auch die Ausführungen zur Wissenschaftsgeschichte bieten Aufschlussreiches: So war es die Astrophysikerin Cecilia Payne-Gaposchkin, die entdeckte, dass die Sonne aus Wasserstoff und Helium besteht und nicht, wie viele bis dahin glaubten, aus stark erhitzter Materie von der Art der Erde. Als Payne-Gaposchkin an der Universität Harvard 1925 ihre Doktorarbeit einreichte, tat ihr Gutachter ihre Schlussfolgerungen als „nahezu sicher nicht real“ ab, nur um sich vier Jahre später selbst mit der Erkenntnis zu schmücken. Den Nobelpreis für die Aufklärung der physikalischen Prozesse in der Sonne bekam dann 1967 Hans Albrecht Bethe allein zugesprochen, obwohl Payne-Gaposchkin noch am Leben war.

Das kulturgeschichtliche Kapitel lässt Revue passieren, wie sich das Bild der Sonne über die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte verändert hat, und im Schlusskapitel geht es um den Klimawandel, in dem die Sonne einerseits eine Gefahrenquelle ist, weil ihre Strahlung die Erde gefährlich zu erhitzen droht, andererseits aber als Rettungsquelle fungiert, weil Solarzellen Kohlestrom ersetzen können und die kontrollierte Kernfusion nach dem Vorbild der Sonne das Problem der Energieversorgung lösen könnte.

Unter den vielen Zahlen bleiben wohl vor allem diejenigen hängen, in denen die Grundvoraussetzung des Lebens auf der Erde steckt: „Jede Sekunde fusionieren rund 600 Millionen Tonnen Wasserstoff zu 596 Millionen Tonnen Helium, und der Massenunterschied von 4 Millionen Tonnen wird als Energie freigesetzt und sorgt dafür, dass ‚die Sonne scheint‘.“

Sibylle Anderl und Claus Leggewie: „Die Sonne“. Eine Entdeckung. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2024. 192 S., Abb., geb., 25,– €.

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