Shop-Sharing mit Kleideria in Bad Nauheim gegen Leerstand im Handel | ABC-Z

Auf dem Fenster über der Eingangstür prangt frisch geklebt das Logo der neuen Mieterin. Dahinter nimmt Tiffany Hirst mit ihrem Café den linken Teil der Ladenfläche in Beschlag. Die rechte Seite bestücken Claudia Horlacher und Natascha Schmidt mit Textilien für Frauen. Die drei Unternehmerinnen sprechen von einer großen Idee. An diesem Freitag empfangen sie erstmals ihre Kundschaft im Haus Stresemannstraße 7. Mit diesem Tag ist in mehrfacher Hinsicht alles neu in dem Geschäft.
Zuletzt verkaufte dort als Zwischenmieter der heimische Anbieter Star-Waffles gebackene Leckereien. Mit seinem Auszug endete auch die Zeit mit nur einem Betrieb im Laden. Fortan heißt das Motto Shop-Sharing, wie Horlacher und Schmidt es formulieren. Tiffany Hirst ist dabei die Ankermieterin. Auf Tuchfühlung mit ihr probieren die beiden anderen Geschäftsfrauen aus, ob sich ein Laden mit nur einer Warengruppe betreiben lässt. Sie verkaufen dort überwiegend Kleider und einige Accessoires. Deshalb sprechen die beiden auch von einer Kleideria.
Bad Nauheim verfeinert Konzept gegen Leerstand
Für die nächsten fünf Monate werden sie sich die Fläche mit dem Café teilen. Das passt zum überarbeiteten Konzept für „Aufgemacht“ und ist mit der Stadt abgestimmt. Dazu hat es Workshops von Geschäftsleuten und den von Matthias Wieliki geleiteten Zentralen Diensten der Stadtverwaltung gegeben. Die Stadt will mit dem von ihr gemieteten Laden etwas gegen Leerstand unternehmen.
Die von Stadtpolitikern anfangs kritisch beäugte Idee lautet, heimischen Gründern eine Chance zu geben. Sie zahlen eine moderate Miete und werben um Kundschaft. Wenn sich ihr Angebot am Markt bewährt, ist ein Umzug in ein leerstehendes Ladenlokal im Ort der nächste Schritt. Im Fall der ersten Mieter hat das geklappt.
Vor gut einem Jahr zogen die Kolumbianerinnen Neide Samira Ruiz Fernandez und Adiela Candelo Römer dort ein und boten erstmals selbst gemachte und von Frauen in Lateinamerika gefertigte Schuhe, Handtaschen, Gürtel und andere Accessoires an. Ein im Wortsinn einmaliges Angebot in ganz Deutschland, zumal es sich um Unikate aus natürlichen Rohstoffen wie Wolle, Fique-Palme, Leder und Seide handelt. Ihren Laden haben sie Nei’s genannt.
Dies ist ein Wortspiel, das sich auf die Vornamen von Ruiz Fernandez bezieht und gesprochen klingt wie „schön“ auf Englisch. Nach dem Jahreswechsel eröffneten die beiden Schwestern schräg gegenüber ein Geschäft, das der Vormieter gerade freigemacht hatte.
Im vergangenen Mai bekannten sie freimütig, das Geld für eine ortsübliche Miete hätten sie nicht aufbringen können. Vor dem Einzug ins „Aufgemacht“ hatten sie sich und ihr Angebot mit der Teilnahme an Straßenfesten bekanntgemacht. Im Zuge dessen wurden auch Mitarbeiter der Stadt auf sie aufmerksam.
Die daraus entstandene Partnerschaft auf Zeit hat sich für die Unternehmerinnen und die Kommune gelohnt. Auch Star-Waffles bleibt Bad Nauheim erhalten – mit einem Laden am Aliceplatz, ebenfalls eine gute Lage. Die Neuzugänge ergänzen die Vielzahl an inhabergeführten Geschäften in der Kurstadt – während andernorts längst Ketten die Einkaufsstraßen prägen. Gleichwohl hat die Stadt das Konzept angepasst. Zumal sie zwar eine Reihe guter weiterer Angebote hatte, Interessenten aber entweder nicht zu dem von der Stadt bevorzugten Termin einziehen wollten oder über Personalmangel klagten, wie Wieliki sagt.
Die neue Linie hilft Horlacher und Schmidt auf zweierlei Weise: Sollte einmal keine von ihnen in der Kleideria sein und auch keine Mitarbeiterin – Hirst wird auf jeden Fall anwesend sein und in solchen Fällen auch die Kundschaft der beiden betreuen. Es geht ihnen also kein Umsatz verloren.
Schmidt nennt aber noch einen anderen Grund, weshalb das Zusammengehen mit Horlacher am Ort von Vorteil ist: „Alleine könnte ich das Vorhaben nicht verwirklichen, weil ich nicht so viele Kleider aus meinen Läden ziehen könnte.“ Schmidt betreibt unter der Marke Schuckhardt’s schon Lifestyle-Geschäfte in der Kurstadt und in Friedberg, Horlacher ist die Chefin der Boutique Lucky Man and Woman in Bad Nauheim und auch in Bad Kissingen mit einem Laden vertreten. Anders als die Vormieter von „Aufgemacht“ verfügen sie mithin über reichlich Erfahrung im Einzelhandel.
Stullen modern interpretiert und klassisch
Die Stadt und die Geschäftsfrauen zielen auf Angebote, die sich wechselseitig befruchten. Die in der Gastronomie erfahrene Tiffany Hirst schwärmt, für Frauen gebe es keine bessere Kombination, als bei einem guten Kaffee zu shoppen. Gerne eben Kleider. Sie freue sich darauf zu erfahren, was am besten zu einem Café passe, was im Trend sei – „Schmuck oder ein Schuster“, meint sie lächelnd. Hirst will Kundschaft mit selbst gemachten kleinen Speisen, Kaffee und Säften zum Mitnehmen anlocken. An warmen Tagen werden Gäste auch an zwei oder drei Tischen vor dem Laden verweilen können.
Zu den Speisen werden „richtige belegte Stullen“ gehören. Die Butterbrote wird sie nach ihren Worten einerseits zeitgemäß belegen und bestreichen, etwa mit getrockneten Tomaten, Scheiben von Avocados und Hummus. Andererseits werde es aber auch Brote mit Wurst vom Metzger und mit Käse geben. Das Brot erwerbe sie beim heimischen Rockenbäcker und Butter-Croissants vom Hinnerbäcker. Dazu plane sie etwa mit Energy Balls von eigener Hand. Unter den Kaffees wird ein frisch gemahlener ohne Koffein sein. Auch damit sieht sich Hirst in der Kurstadt allein auf weiter Flur.
An mehreren Tagen im Monat wird es ein drittes Angebot im hinteren Teil vom „Aufgemacht“ geben. Dann können Gäste selbst Torten verzieren.