Therapeut warnt Patienten – Untreue nicht das größte Problem | ABC-Z

- Ein Paar ist in der Paartherapie, weil der Mann per Dating-App fremdgeht.
- In den Sitzungen zeigt sich, dass es beim Sex schon länger kriselt.
- Unser Kolumnist warnt: Die Folgen der Untreue schaden nicht nur der Beziehung.
Kürzlich kam ein Paar zu uns, bei dem die Frau ihren Mann beim Nutzen einer Dating-App ertappt hatte: Er hatte dort Frauen kennengelernt und später im realen Leben getroffen. In der Paartherapie wirkte der Mann zerknirscht und getroffen. Die folgenden Sitzungen zeigten, dass er ursprünglich nur aus Frust und Neugier schauen wollte. Dabei war er in einen Sog geraten, aus dem er nicht mehr herausfand.
Der Mann dürfte nicht der Einzige sein, dem es so geht. Dating-Apps können ein suchtähnliches Verhalten auslösen, ähnlich wie Glücksspiele oder Soziale Medien. Sie arbeiten mit psychologischen und neurobiologischen Mechanismen, wie variabler Belohnung, endloser Wiederholbarkeit, Dopaminschüben und sozialer Bestätigung.
Flucht durch Fremdgehen: Sex seit Jahren ein Problem in der Beziehung
Besonders gefährdet sind Menschen, die emotional verletzlich sind oder ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung haben. Bei unseren Klienten fand Sexualität in der Beziehung seit Jahren kaum noch statt. Wenn es zum Sex kam, erlebte die Frau ihn als freudlos und langweilig. Dies führte zu Streit, Vorwürfen und Beleidigungen: So beschimpfte sie ihren Mann wiederholt als Versager.
Aus dieser Negativspirale heraus suchte sich der Mann die Bestätigung auf Dating-Apps. Dabei geriet er in einen Kreislauf, dessen vier Schritte sich immer wiederholen:
- Auslöser: Einsamkeit, Stress oder Frust erzeugen das Bedürfnis nach Ablenkung und Bestätigung.
- App öffnen: Durch Swipen und erste Matches entsteht sofort das Gefühl von Aufmerksamkeit. Hinzu kommt die Illusion, selbst die Kontrolle zu haben. In Wirklichkeit geben die Algorithmen den Ton an.
- Belohnung: Dopamin sorgt bei einem Match für ein kurzes Hochgefühl und erleichtert negative Emotionen.
- Verstärkung: Das Verhalten wiederholt sich. Ein negatives Gefühl führt zum App-Öffnen und endet in kurzer Erleichterung.
Einsamkeit als Geschäft: Dating-App nutzen gefährliche Mechanismen
Dieser Kreislauf ist im Kern das Geschäftsmodell der Anbieter und kann sich im Laufe der Zeit weiter verstärken. Algorithmen suggerieren eine Welt, die so nicht existiert: „Du bist wertvoll, attraktiv und kannst jede oder jeden haben.“ Die Einsamkeit der Menschen erzielt enorme Umsätze: Viele idealisieren die Profile, der nächste Kontakt scheint nur einen Swipe entfernt.
Dieses Paar hat Sex mit andern: Bei der offenen Beziehung gibt es eine „goldene Regel“
Die Therapeuten Gisbert Straden und Andrea Katz erleben in ihrem Arbeitsalltag immer wieder, wie Vertrauen in Beziehungen durch Dating-Apps zerstört wird.
© FUNKE Foto Services | Sergej Glanze
Die zentralen Mechanismen dahinter:
- Dopamin-Belohnung: Jedes Match wirkt wie eine kleine Bestätigung.
- Variable Belohnung: Niemand weiß, wann die nächste Nachricht kommt. Das hält das Gehirn ständig in Alarmbereitschaft.
- Gamification: Der Swipe-Mechanismus hat Spielcharakter. Wiederholte Handlungen laufen unbewusst ab und erzeugen ein Belohnungserleben.
- Soziale Anerkennung: Matches und Nachrichten geben den Nutzern ein Gefühl von Wert. Bleiben sie aus, entstehen Frust und Selbstzweifel. So folgen immer wieder neue Versuche.
- Endlose Verfügbarkeit: Der Gedanke, immer noch jemand Besseres finden zu können, verhindert Zufriedenheit und verstärkt die Abhängigkeit.
- Konditionierung: Das Verhalten verfestigt sich nach einem Schema. Unangenehme Gefühle führen zum Öffnen der App, dabei stellt sich wiederum Erleichterung ein.
Verzeihen nach Fremdgehen? Mann löscht Apps – das braucht die Beziehung
Indem wir mit dem Paar die Mechanismen offenlegten und über die wahren Auslöser für das Fremdgehen sprachen, konnten wir im Rahmen der Paar- und Sexualtherapie wichtige Ursachen bearbeiten. Noch ist nicht alles gelöst, aber das Paar ist auf einem guten Weg: Der Mann hat seine Dating-Accounts gelöscht. Die Sexualität des Ehepaares entwickelt sich durch gezielte Übungen neu, und Freude und Lust kehren zurück.
Ihre Beziehungsfrage, Ihre Geschichte – schreiben Sie uns!
Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht und wollen uns Ihre Geschichte erzählen? Oder haben Sie Fragen zu einem Partnerschaftskonflikt oder sonstigen Beziehungsthemen? Schreiben Sie uns einfach unter beziehung@funkemedien.de – auf Wunsch auch anonym. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.
Gerne leiten wir Ihre Fragen auch an unsere Beziehungsexperten, Paar- und Sexualtherapeut Gisbert Straden und seine Frau, weiter. Sie geben dann Antwort auf die wichtigsten Fragen.
Während unser Paar neue Wege gefunden hat, verdienen die Betreiber der Dating-Apps weiterhin an der Einsamkeit der Menschen. Lösen können sie diese nicht: Zwar können Algorithmen grobe Interessen abgleichen, doch sie beantworten nicht die entscheidenden Fragen: Wie gehen wir mit Konflikten um? Wie verhalten wir uns in schwierigen Lebenssituationen?
Ein FUNKE Liebe
Alle zwei Wochen sonntags: Antworten auf Beziehungsfragen – ehrlich, nah und alltagstauglich.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Eine Beziehung bedeutet immer, miteinander und aneinander zu arbeiten. Das Swipen allein kann all das nicht ersetzen, auch wenn die Apps und ihre Profile oft Perfektion suggerieren. Die Wahrheit ist: Das Leben ist nicht perfekt, und auch der Mensch ist es nicht.
Ihr Kolumnist – gemeinsam mit seiner geliebten Frau und Kollegin















