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Sexuelle Einladung von Fremden: Wie reagieren Menschen? – Wissen | ABC-Z

Die Frau fackelte nicht lange und sprach den jungen Mann an, der gerade über das Uni-Gelände lief. „Du bist mir schon öfter aufgefallen“, sagte sie, „ich finde dich sehr attraktiv.“ Auf dieses schnörkellose Kompliment ließ die Frau eine Frage folgen, der die Aufnahme in die internationale Ruhmeshalle der Romantik verwehrt bleiben wird: „Willst du heute Abend mit mir schlafen?“

Eine derart puristische Anbahnung von Intimität dürfte die meisten Adressaten mindestens irritieren. In diesem Fall handelte es sich allerdings um ein Experiment, hinter dem Psychologen steckten. Sie wollten wissen, wie die Reaktionen auf die Einladung zum Sex durch eine Unbekannte ausfallen würden. 71 Prozent der angesprochenen Männer reagierten mit einem „Ja, ich will“. Dieses Teilergebnis stammt aus einer Studie, die Russell Clark und Elaine Hatfield vor 35 Jahren veröffentlicht haben und die heute zu den meistzitierten Arbeiten der Sozialpsychologie zählt. Auch Männer mussten damals – die Experimente fanden 1978 und 1982 statt – im Namen der Forschung Frauen ansprechen. Sie stießen auf Ablehnung: Keine Frau ließ sich auf das offensive Angebot zum Sex ein. Eine Einladung zu einem Date ohne explizite Avancen nahmen hingegen fast gleich viele Frauen und Männer an, und zwar 50 beziehungsweise 56 Prozent der Angesprochenen.

Gerade haben Sascha Kunz und Tobias Greitemeyer im Journal of Social Psychology eine Replikation der klassischen Studie veröffentlicht. Dazu ließen die Psychologen von der Universität Innsbruck das Experiment wiederholen: Insgesamt sprachen die Lockvögel und -vögelinnen im Dienste der Wissenschaft 240 junge Frauen und Männer an und luden sie unter anderem zum Sex ein. Die Ergebnisse fielen zurückhaltender aus als in der Originalstudie. Nur 31 Prozent der angesprochenen Männer reagierten positiv auf das Angebot zum Geschlechtsverkehr. Unter den Frauen lehnten abermals alle ab.

Die Studien werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten

Ähnliche Resultate hatten zwei Replikationsstudien aus Dänemark und Deutschland ergeben, die 2010 und 2015 veröffentlicht wurden. Laut diesen Arbeiten wollten nur 38 beziehungsweise 32 Prozent der Männer auf das intime Angebot eingehen. Auch auf ein klassisches Date hatten weniger Angesprochene Lust als noch in der Studie aus den USA. „Insgesamt scheint die Bereitschaft, unverbindliche sexuelle Angebote sowohl von Männern als auch von Frauen anzunehmen, im Laufe der Zeit deutlich zurückgegangen zu sein“, schreiben Greitemeyer und Kunz.

Natürlich provoziert das die Frage nach dem Warum. Waren Männer und Frauen früher sexuell aufgeschlossener? Handelt es sich um kulturelle Unterschiede zwischen den USA und Europa? Gilt das Angebot heute im Gegensatz zur Zeit vor mehr als 40 Jahren als sexuelle Belästigung? Und was bedeutet es überhaupt, mit Ja zu antworten – taucht die betreffende Person dann am Abend wirklich auf oder kneift sie? Alles Fragen, so Greitemeyer, auf die es keine klaren Antworten gibt. Eine Aussage aber lässt sich treffen: „Auf diese Art angesprochen zu werden, ist eine sehr befremdliche Situation“, sagt Greitemeyer, „in der gesellschaftliche Normen verletzt werden.“ Es bleibt die Gewissheit: Geht es um Sex, ist es stets kompliziert.

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