Serie „Schwarze Früchte“ von Lamin Leroy Gibba in der ARD | ABC-Z
Für Lalo (Lamin Leroy Gibba) wird der Abend bei den Eltern seines Freundes Tobias (Nick Romeo Reimann) zur Inquisition. „Black Lives Matter“ war der „supertoleranten“ Mutter (Judith Engel) schon ein Anliegen, als es die Bewegung noch gar nicht gab, sagt sie. Sicher sei Lalos Leben in Hamburg megaschwierig, als Schwarzer und Queerer. Von Rassismuserfahrungen möchte sie alles hören, und was das mit ihm gemacht habe. Aber erst mal Schuhe aus, oder sei er das von zu Hause nicht gewohnt?
Irritiert, wird Lalo persönlich. Nicht in eigener Sache, in fremder. Er habe gehört, dass es in der Ehe eine Affäre gegeben habe, wer war’s, Vater oder Mutter? Erzähl doch mal. Noch am Abend macht Tobias Schluss. Lalo geht es mies, auch weil sein Vater erst vor sechs Wochen gestorben ist und Mutter Marion (Christine Rollar) schon dessen Sachen aussortiert.
Lalo ist so mit dem Studium seines Denkens beschäftigt, dass ihm fast alles andere entgeht. Viel Gelaber, tragikomische Missverständnisse. Seine neueste Idee: das große Ganze seines Lebens in einer Installation in der Nachwuchsausstellung „Fremd & Familiär“ verarbeiten. Vielleicht durch Verfremdung intimer Sprachnachrichten und Videos? Der weißen Kuratorin reicht das nicht, sie fordert Auseinandersetzung mit afrikanischem Erbe, mit Kolonialismus. Wie immer, wenn Lalo irritiert ist, beginnt er zu schwafeln. Von „Energy“, die „intense“ sei, von tollen Ideen, jaja, der Kolonialismus, er mache das.
„Schwarze Früchte“, eine achtteilige Serie von und mit Lamin Leroy Gibba (Autor, Hauptdarsteller und Koproduzent) von Jünglinge Film, Studio Zentral und Network Movie für die ARD-Produktionsfirma Degeto, ist außergewöhnlich. Solcherart ironische Dialoge, solche vielsagenden Figuren, die man nicht unbedingt mag, für die man aber großes Verständnis entwickelt, sieht man in deutschen Serien, die das Urteilsvermögen der Zuschauer meist notorisch unterschätzen, selten. Deshalb wurde Ironie zur marginalisierten rhetorischen Figur des Bewegtbilds. Ausgehend von der absurden Maxime, beim fiktionalen Fernsehen müsse jeder immer alles verstehen können.
„Schwarze Früchte“ dagegen fordert heraus, schreitet keine Problemfelder ab, sondern scheut sich nicht, in Wunden zu bohren. Dass die Serie im Sommer Premiere beim New Yorker Tribeca Film Festival feierte, setzt ihre Bedeutung ins angemessene Licht. „Schwarze Früchte“ zeigt Perspektiven marginalisierter Menschen in Deutschland, erzählt nicht über sie, sondern von und mit ihnen (Drehbücher von Lamin Leroy Gibba mit Sophia Ayissi Nsegue, Naomi Kelechi Odhiambo, Lisa Tracey Michalik, Sarah Claire Wray). Zwar geht es um die Lebensrealitäten schwarzer und queerer Figuren in dieser Coming-of-Age-Serie, erzählt aber wird universell. Den eigenen Weg finden, sich nicht definieren lassen, auch nicht durch kränkende positive Vorurteile, darum geht es. Verlust, Neuanfänge, Identität als Alchemie von Selbstbild und Freundschaften, darum geht es auch.
Lalo stößt seine Leute mit seiner Egozentrik bald nur noch vor den Kopf. Vor allem seine beste Freundin Karla (Melodie Simina), die die Geschichten von homophober Misshandlung in der Schule nicht mehr hören kann: „Du wurdest hauptsächlich zusammengeschlagen, weil du schon immer übertrieben nervig warst.“ Oder Yvonne (Paula Kober), mit der nach bösem Verrat zehn Jahre Funkstille herrschte. Oder Bijan (Benjamin Radjaipur) und David (Simon Kluth). Vielleicht auch Künstler Joshua (Daniel Hernandez), dessen freigeistiges Liebeskonzept Lalo bewundert, bevor er merkt, dass es zu ihm nicht passt. Vor allem Karla, die schon eine steile Karriere in der Finanzwelt gemacht hat, und ihre Schwester Lotta (Vanessa Yeboah) bringen herben Realismus in die Serie. Karla, top im Beruf, wird mit Rassismus und Sexismus am Arbeitsplatz konfrontiert, kommt als „Kümmerin“ an ihre Grenzen.
Elisha Smith-Leverock und David Uzochukwu (Regie) kreieren mit Malcolm Saidou und Claudia Schröder (Kamera) die Tonalität der Serie im Spannungsbereich von Schlagfertigkeit und Sprachlosigkeit. Das Ende braucht keine Worte. Da schmiegen sich drei Lalos aneinander: Das wilde Kind, das er war, der suchende Teenager und der Lalo, der vielleicht beginnt, Verantwortung zu übernehmen. Warum versteckt die ARD einen solchen Programmschatz nachts im Spartensender One und setzt bloß auf die Mediathek? Das gehört ins Hauptprogramm.
Schwarze Früchte ist in der ARD-Mediathek abrufbar. Linear laufen alle Folgen der Serie Freitag ab 23 Uhr bei One.