Markus Lanz zeigt NS-Rede von Göring – und muss sich rechtfertigen | ABC-Z

Zum Jahrestag des Beginns der Nürnberger Prozesse versprach Markus Lanz eine „packende Geschichtsstunde“ und hielt Wort. Mit Niklas Frank war der Sohn des damals Angeklagten Hans Michael Frank in der Sendung zu Gast. Er erweckte die Prozesse mit seinen Erzählungen zum Leben. So erzählt Frank wie er als damals Sechsjähriger den Prozess erlebte: „Wir waren stolz, dass er in der ersten Reihe sitzt“, sagt der heute 86-Jährige über die Gefühlslage in seiner Familie während des Prozesses.
Allerdings spürte er schon damals eine emotionale Distanz zu seinem Vater. Er schildert seinen letzten Besuch in der Zelle des Vaters. Dieser habe ihm etwas vorgespielt und keinerlei Verantwortung übernommen: „Als Kind hat man ein feines Gespür dafür was echt ist.“
Der Vater habe in einem seiner letzten Briefe an die Familie darum gebeten, dass man die Wahrheit über ihn erzählen solle. „Das habe ich gemacht – aber anders als er gedacht hat“, sagt Frank, der sich schon sein ganzes Leben mit den Verbrechen seines Vaters auseinandersetzt. Heute sagt er: „Ich bin grundsätzlich gegen die Todesstrafe, aber meinem Vater gönne ich sie rundherum.“
Warum die Nürnberger Prozesse bei Weitem nicht perfekt waren
Hans Michael Frank war einer von 24 Angeklagten bei den Hauptprozessen. Der Völkerrechtsexperte Steinke erklärt, warum nur 24 Personen angeklagt waren, wo doch das System der Vernichtung so viel mehr Mittäter hatte. Er beschreibt, dass die Gruppe von den Anklägern gezielt klein gehalten worden sei, „weil man davon eine bessere Geschichte erzählen konnte.“
Steinke und der Völkerrechtler Kai Ambos entzaubern die Nürnberger Prozesse und brechen klar herunter, was sie leisten konnten – aber auch was nicht. So kritisiert Ambos dass nur Verbrechen seit 1939 untersucht worden seien. Gerade Verbrechen wie die Verfolgung von Oppositionellen in den Jahren davor seien ausgeklammert worden.
Auch sei der Prozess insofern „Siegerjustiz“ gewesen, als dass Verbrechen der Siegermächte wie zum Beispiel das Massaker von Katyn durch die Sowjetunion nicht thematisiert wurden.
Erzählung der Siegerjustiz in Deutschland lange verbreitet
Die Erzählung der Siegerjustiz prägte auch das Bild der Nürnberger Prozesse in der deutschen Öffentlichkeit bis in die 90er Jahre hinein. Erst dann begann man auch den Fortschritt wertzuschätzen, den die Prozesse darstellten.
„Früher wurden die Kriegsverbrecher und Verlierer einfach ohne Prozess exekutiert“, stellt Ambos fest. Bei den Nürnberger Prozessen hingegen hatten die Angeklagten das Recht auf einen eigenen Anwalt und viel Redezeit, um sich zu erklären. Mit dem Nachteil, dass Hermann Göring diese Bühne für einen letzten Propagandaauftritt nutzte.
Als Lanz einen Ausschnitt aus Görings Verteidigungsrede zeigt, erntet er deshalb prompt Kritik von Ambos: „Das würde ich gar nicht zeigen, Herr Lanz. Das stellt Göring viel zu positiv dar.“ Lanz wehrt sich: „Das ist ein historisches Dokument.“ Die Historikerin Henrike Claussen merkt daraufhin an, dass Göring über mehrere Tage befragt worden sei. Gerade gegen Ende sei er nicht mehr so souverän gewesen, wie in dem gezeigten Ausschnitt.
Das Völkerstrafrecht steht über dem nationalen Recht
Neben diesen historischen Details geht es in der Sendung aber auch um die Frage: Kann man jemanden verurteilen, der sich immer an alle Gesetze gehalten hat? Denn laut Steinke hätten die Nationalsozialisten ja „nach ihren Nazi-Gesetzen legal gehandelt.“
Für diesen Fall hätten die Nürnberger Prozesse aber einen neuen Grundsatz geschaffen. Offensichtliche Verbrechen, wie das massenhafte Töten von Kindern, können immer bestraft werden. Das Völkerstrafrecht schwebt seitdem quasi über dem Gesetz auch jedes diktatorischen Staats.
So ist zumindest die Idealvorstellung des Völkerstrafrechts. Steinke nennt mit Radovan Karadžić und Ratko Mladić zwei Fälle, in denen dieser Grundsatz nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse erfolgreich wieder zum Einsatz kam. Allerdings liegen diese Verbrechen nun auch schon ca. 30 Jahre zurück.
Heutiger Missstand kommt in der Sendung zu kurz
Zum Schluss der Sendung übt Steinke dann noch scharfe Kritik an der aktuellen Umsetzung des Völkerstrafrechts und an Kanzler Friedrich Merz. Der Kanzler hatte nämlich dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu zugesichert, dass er bei einem Besuch in Deutschland nicht festgenommen würde, obwohl Netanyahu wegen Kriegsverbrechen vor dem internationalen Strafgerichtshof angeklagt ist.
Steinke sieht in dieser Praxis eine „Erosion des Respekts vor dem Völkerrecht, die den Deutschen am allerschlechtesten zu Gesicht steht.“ Ambos pflichtet ihm bei: „Das Erbe von Nürnberg ist: Wir müssen für solche schweren Verbrechen – egal wer sie begeht, ob Freund oder Feind, Rechenschaft einfordern.“
Lanz dankt Ambos für das „gute Schlusswort“. Sich selbst muss er aber vorwerfen, nicht viel früher nach diesem Punkt gefragt zu haben. So bleibt die Diskussion über den aktuellen Zustand des Völkerstrafrechts und seine mangelhafte Anwendung sehr verkürzt – eine verpasste Chance.
















