Seltener Geld bei Verspätungen?: Verbraucherschützer warnen: EU-Reform höhlt Fluggastrechte aus | ABC-Z

Seltener Geld bei Verspätungen?
Verbraucherschützer warnen: EU-Reform höhlt Fluggastrechte aus
24.05.2025, 08:34 Uhr
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Hat das Flugzeug drei Stunden Verspätung, erhalten Passagiere eine Entschädigung. Die EU möchte die Fluggastrechte reformieren. In Zukunft sollen Ansprüche leichter geltend gemacht werden können. Gleichzeitig werden sie jedoch an eine neue Bedingung geknüpft.
Fluggäste haben bei Verspätungen in Zukunft möglicherweise deutlich seltener Anspruch auf Entschädigung. Die EU-Staaten beraten derzeit über eine Reform der Fluggastrechteverordnung. Angesichts der möglichen Neuerungen schlagen Verbraucherschützer Alarm – sie fürchten, dass künftig ein Großteil der betroffenen Fluggäste keinen Anspruch mehr auf Entschädigung haben könnte. Auch aus der Bundesregierung kommt Gegenwind.
Was plant die EU?
Der Ursprung der Reform reicht Jahre zurück: 2013 machte die Europäische Kommission den Vorschlag, die wichtigste Fluggastrechteverordnung aus dem Jahr 2004 zu reformieren. Darin sind Änderungen bezüglich der Entschädigungsansprüche im Falle von verspäteten Flügen enthalten. Ein Jahr später veröffentlichte das Europäische Parlament seinen Bericht dazu. Doch jahrelang kam es zu keiner Einigung. Jetzt gibt es wieder Bewegung bei dem Thema: Das Vorhaben wird derzeit unter den EU-Staaten diskutiert.
Welche Entschädigungen stehen Fluggästen aktuell zu?
Laut geltender Fluggastrechteverordnung besteht für Fluggäste pauschal ab drei Stunden Verspätung Anspruch auf Entschädigung, sofern die Airline diese verschuldet:
- 250 Euro für Flüge bis 1500 Kilometer
- 400 Euro für Flüge bis 3500 Kilometer
- 600 Euro für Langstreckenflüge mit mehr als 3500 Kilometer
Was würde sich ändern?
Der Reformvorschlag der Kommission sieht unter anderem vor, die Entschädigungshöhe an verschiedenen Zeiten und Strecken festzumachen:
- 250 Euro erst ab fünf Stunden Verspätung (bis 3500 km)
- 400 Euro ab neun Stunden Verspätung (mit mehr als 3500 km innerhalb der EU)
- 400 Euro ab neun Stunden Verspätung (mit mehr als 6000 km bei Flügen außerhalb der EU)
- 600 Euro ab zwölf Stunden Verspätung (mit mehr als 6000 km)
Welche Konsequenzen hätte die Reform für Reisende und Airlines?
Erhebungen von Flugdaten-Analysten kommen zu dem Ergebnis: Wird die Reform umgesetzt, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, wird der Großteil der betroffenen Passagiere künftig nicht mehr entschädigt. Verbraucherschützer sprechen von rund 80 Prozent.
Die Entschädigungspflicht sei ein zentraler Anreiz für Fluggesellschaften, planmäßig und pünktlich zu operieren, sagt Tomasz Pawliszyn, CEO des Fluggastrechteportals AirHelp. “Sollte die Änderung angenommen werden, werden deutlich mehr und wesentlich längere Verspätungen zur neuen Normalität im europäischen Luftverkehr werden.”
Diese Anpassung wäre ein gravierender Rückschritt, sagt auch die Co-Leiterin des Europäischen Verbraucherzentrums Deutschland (EVZ), Karolina Wojtal. Ihr zufolge liegen die meisten Verspätungen im Luftverkehr zwischen zwei und vier Stunden, die Fluggesellschaften könnten daher viel Geld sparen: “Airlines könnten dazu verleitet werden, Flüge gezielt zu verspäten, anstatt sie zu annullieren, um Entschädigungen zu umgehen.”
Um die Pünktlichkeit ist es hierzulande ohnehin nicht gut bestellt: Nach Erhebungen von AirHelp war Deutschland im vergangenen Jahr eines der Länder in Europa mit den meisten Beeinträchtigungen im Flugverkehr. Mehr Störungen gab es demnach nur in Portugal und Griechenland.
Wie steht Deutschland zu dem Reformvorschlag?
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig hat sich deutlich gegen die diskutierte Änderung der Entschädigungsvorschriften ausgesprochen. “Stundenlange Flugverspätungen sind ein echtes Ärgernis”, sagte die SPD-Politikerin, die in der Bundesregierung für den Verbraucherschutz verantwortlich ist.
Solche Verspätungen könnten wichtige Pläne durcheinanderbringen oder den Start in den verdienten Urlaub vermiesen. Das koste wertvolle Lebenszeit. Hubig wolle sich deshalb dafür einsetzen, dass Flugreisende auch weiterhin ab einer Verspätung von drei Stunden entschädigt werden.
Wie schätzen Verbraucherschützer die potenzielle Reform ein?
Auch Verbraucherschützer kritisieren die geplante Reform: Zwar könnten Ansprüche künftig leichter geltend gemacht werden – etwa durch digitalere Prozesse, sagt Wojtal. “Doch gehen die wesentlichen geplanten Änderungen zulasten der Verbraucher.” Eine Reform dürfe nicht die aktuellen Ansprüche der Verbraucher beschneiden.
Die Airlines wiederum nützten die Gunst der Stunde und das wirtschaftlich herausfordernde Umfeld, um all ihre Lobby-Anstrengungen dahingehend auszurichten, dass die Reform ihre Pflichten und finanziellen Belastungen möglichst reduziert, führte Wojtal aus.
Was sagen Airline-Vertreter?
Die europäische Lobbyorganisation “Airlines for Europe” (A4E) befürwortet eine Reform mit verlängerten Zeitschwellen. “Wenn etwas schiefgeht, braucht es Zeit, um ein Ersatzflugzeug oder eine Ersatzcrew zu finden”, schreibt A4E auf der eigenen Website. Durch die Verlängerung der Schwellenwerte hätten die Airlines gute Chancen, eine Lösung zu finden, die den Flugplan wiederherstelle und Passagiere ans Ziel bringe. Es käme zu weniger Flugausfällen.
Wie geht es weiter?
Die Reform ist bisher nicht beschlossen. Noch steht nicht fest, ob es unter den EU-Staaten eine Mehrheit für die Änderungen gibt. Das Thema steht vermutlich bei einem Treffen der EU-Verkehrsminister in zwei Wochen auf der Tagesordnung. Zudem muss auch das EU-Parlament zustimmen.