Selenskyj in London: Eignet sich King Charles als „Trump Card“ der Briten? | ABC-Z

Die Rolle des britischen Monarchen wird gewöhnlich als „symbolisch“ und „zeremoniell“ beschrieben. Ungewöhnlich politisch ist sein Brief an Donald Trump. Damit hat er bereits Geschichte geschrieben.
„I just wanted to write and thank you …“ – „Ich wollte mich nur mal melden und Ihnen danken …“ Es ist ein jovialer, anscheinend freundschaftlicher Ton, den König Charles III. in seinem Brief an Donald Trump angeschlagen hat. Der britische Premierminister Keir Starmer übergab das Schreiben letzte Woche im Weißen Haus. „Sir Keir“ zählt übrigens zu den wenigen modernen Regierungschefs in London, die König und Nation im Ritterstand vertreten. Ein edler Bote.
Dass der König über den Brief nicht ebenso jovial „Hi Donald“, sondern in aristokratischer Krakelschrift „Dear Mr. President“ geschrieben hat, ist ein Hinweis auf die Funktion: Der britische Monarch begegnet dem Staatsoberhaupt der USA mit größtem Respekt – erstens schmeichelt das und zweitens gibt es einen offiziellen Auftrag. Die ruckeligen gegenseitigen Beziehungen sollen wieder auf ein ruhiges und sicheres Gleis gebracht werden.
In der Geschichte ist das häufiger gelungen, wenn die Spannungen noch viel größer waren. Dass George III. 1776 die Unabhängigkeit der USA dulden musste oder britische Soldaten 1814 ausgerechnet das Weiße Haus in Brand steckten – vergessen! Diesmal geht es um mehr als bilaterale Nickeligkeiten, betont Charles, als er von den „vielfältigen Herausforderungen in der Welt“ schreibt. Auch er weiß, dass die Ära der besten Zusammenarbeit vorüber ist – die Ära seiner Mutter. Historiker sprechen bereits vom „zweiten Elisabethanischen Zeitalter“.
Im Juni 2019 war Elizabeth II. noch Trumps Gastgeberin für seinen ersten Staatsbesuch im Vereinigten Königreich. Mit der nun ausgesprochenen Einladung zu einem zweiten erweist Charles dem Präsidenten eine „noch nie dagewesene Ehre“. Starmer betonte es mehrfach. „Unprecedented“ heißt das auf Englisch.
Trump liebt die Royals
Ebenso einmalig wie eigenwillig ist Charles‘ Stil: ein Mix aus britischem Understatement und subtiler Überheblichkeit, die wohl nur dieser eine ein Jahr jüngere Mann dem gesichert narzisstischen Präsidenten entgegenbringen darf. Trump liebe die Royals, heißt es allgemein. Das mag erklären, warum er vor laufender Kamera, wo er gerne kräftig austeilt, ruhig und leise wurde, als er den Brief erhielt – für Trumps Verhältnisse sogar demütig. Den König bezeichnete er als „beautiful“, so wie auch dessen Handschrift und Sir Keirs britischen Akzent. Im Belohnungsschema von Trump waren das drei Punkte. Und für die Briten war es ein gelungener Sprung auf eine Bühne der Diplomatie, die weder Franzosen noch Deutsche oder Ukrainer bespielen können. Nicht mal die Russen beherrschen diese Art des politischen Balletts. Möglicherweise der entscheidende Punkt!
Offenbar möchte König Charles die Eitelkeit des mächtigen US-Herrschers bedienen wie eine unschlagbare „trump card“. Dass sie auf Deutsch „Trumpfkarte“ genannt wird, erinnert uns an die Herkunft der Familie aus dem pfälzischen Kallstadt, wo Trumps Großvater lebte, bevor er 1885 als Friedrich Trumpf in die USA einwanderte. Trotz dieser Geschichte können wir Deutsche von einem derartigen Zugang oder einer Sonderbeziehung nur träumen.
Der König lässt sich dafür einigermaßen herab: So erwähnt er Trumps Golfhotel im schottischen Turnberry, das er mit Sicherheit nicht freiwillig besuchen würde, und degradiert sich zu einem „relatively near neighbour“. Der Grund: In der Nähe liegt der Landsitz Dumfries Park, der seit 2007 im Besitz der königlichen Stiftung ist. Das Anwesen ist durch seine Architektur und eine einmalige, vollständig erhaltene Inneneinrichtung aus dem 18. Jahrhundert kunsthistorisch bedeutsam. Zugleich lässt Charles dort die Ausbildung seltener Handwerksberufe fördern. Doch dem ichbezogenen Präsidenten empfiehlt er es aus einem anderen Grund: „Die jungen Menschen, die wir für das Gastgewerbe ausbilden, enden oft in Ihren Betrieben!“ – „they often end up as staff in your own establishments!“ Das klingt banal, aber suggeriert Augenhöhe und einen Deal. Trump als Nutznießer – und im Geschäft mit dem König.
Sobald man sich für das nächste Treffen über einen Ort und ein Programm geeinigt habe, böte sich die Gelegenheit, zusammenzuarbeiten: „In working together, I know we will further enhance the special relationship between our two countries, of which we are both so proud.“ Mit diesem Schlusssatz verlangt der König ausdrücklich eine Form der Beziehungspflege, die – egal wie abgehoben und buddy-mäßig – zur britischen Außenpolitik beitragen soll.
Der König als Brückenbauer?
Diese Arbeitsebene ist nicht Teil der Job Description des britischen Monarchen. Schaut man auf der Seite der Krone oder des Royal Collections Trust, wo etwa für britische Lehrer ein Vortrag über die Rolle des Königs zur Verfügung steht, ist die Rede von „zeremoniellen“, „symbolischen“, „repräsentativen“ Aufgaben: zum Beispiel als Oberhaupt von 14 Staaten, des Commonwealth von 56 Staaten, der anglikanischen Kirche, der britischen Streitkräfte sowie verschiedener gemeinnütziger Einrichtungen. Der König als außenpolitischer Unterhändler, als sogenannter Brückenbauer – oder gar Brückenabrissverhinderer – ist nicht vorgesehen.
Eine ähnliche Initiative wäre deshalb von Königin Elizabeth II. nicht ausgegangen oder unterstützt worden. Die Queen enthielt sich zeitlebens politischer Diskussionen und sprach lieber über Unverfängliches. Ihr Sohn hingegen hat sich als Prinz über Jahrzehnte hinweg die Freiheit sozialer Engagements und politischer Meinungen herausgenommen. In der strengen Lehre der britischen Verfassung galt er lange Zeit als unverträglich. Entsprechend groß waren die Bedenken vor einem politischen Königtum unter Charles. Der Brief an Trump und die Audienz, die er am Sonntag dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gegeben hat, belegen die Ambitionen. Die Freiheiten seiner Vergangenheit verschaffen dem Monarchen mehr Handlungsfreiheit und könnten ihm in Zukunft sogar einen Bedeutungsgewinn einbringen.
Was Charles über die obligatorische Militärausbildung besitzt, ist eine jahrzehntelange Erfahrung als Investor und Unternehmer, vor allem in den Branchen Agrar, Tourismus und Immobilien. Darüber hinaus gilt er als erfolgreicher Fundraiser, nicht zuletzt gegenüber arabischen und russischen Sponsoren. Alleine die Plaketten der Geldgeber im Park von Dumfries Park dokumentieren das. Was in der britischen Öffentlichkeit schon für Kritik und Skandale gesorgt hat, könnte Donald Trump beeindrucken – und dem Austausch dienen.
Trotz aller Widrigkeiten hat sich „die Regierung Seiner Majestät“, wie sie genannt wird, offenkundig dazu entschlossen, den König in einer neuen Weise als politischen Akteur einzuspannen. Den Job hat kein britischer Monarch seit George III. mehr gemacht.