Selenskij zeigt sich in Davos verzweifelt – und setzt auf Trump – Politik | ABC-Z
Donald Trump ist nun einen Tag im Amt. Er hat schon annähernd einhundert Dekrete erlassen, den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und aus der Weltgesundheitsorganisation erklärt, sich zu diesem und jenem geäußert. Doch zum wohl größten Problem, das die Weltpolitik im Moment beschäftigt, hat er bislang weitgehend geschwiegen: dem Krieg in der Ukraine. Dabei hatte der 47. Präsident der Vereinigten Staaten angekündigt, diesen Krieg „innerhalb von 24 Stunden zu beenden“. Später hat er diese Frist auf sechs Monate erweitert. Wolodimir Selenskij scheint darüber aber nicht beunruhigt zu sein, als er Dienstag beim Weltwirtschaftsforum auf die Bühne tritt. Er ist frustriert, aber aus einem anderen Grund.
Natürlich spürt Selenskij, dass der Krieg gegen den Aggressor Russland diesmal kein Top-Thema mehr ist in Davos – anders als in den vergangenen beiden Jahren. Sowohl EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als auch der stellvertretende chinesische Ministerpräsident Ding Xuexiang reden ausführlich über die wichtigen Entscheidungen, die nun nach Trumps Amtsantritt von der Weltgemeinschaft zu treffen sind. Doch kommt die Ukraine auch in ihren Reden mit keinem Wort vor.
Bundeskanzler Olaf Scholz konstatiert, Russlands Präsident Wladimir Putin sei es auch in drei Jahren Krieg nicht gelungen, „ein prorussisches Marionettenregime in Kiew zu installieren“ und das Land militärisch zu unterwerfen. Dies liege daran, dass die ukrainische Armee heute viel stärker sei als vor dem Krieg, ausgerüstet mit westlichen Waffen. Scholz bekennt sich dazu, die Ukraine auch weiterhin zu unterstützen, um „hin zu einem echten, gerechten Frieden“ zu kommen. Doch wie diese Unterstützung konkret aussehen soll, sagt er nicht.
„Europa muss sich selbst wieder als Top-Spieler etablieren.“
Selenskij, wie häufig in olivgrüner Hose und schwarzem Pulli gekleidet, scheint von diesem Mangel an Konkretheit mittlerweile genug zu haben. Bei dem Krieg gegen Russland gehe es nicht um die Ukraine, „es geht um die Zukunft Europas“. Er verstehe nicht, warum sich ganz Europa am Tag nach der Amtseinführung Trumps frage, was dieser als Nächstes tue, wie es mit der Handelspolitik der USA weitergehe und ob die Amerikaner die Europäer noch als Verbündete sähen. Andersherum sei es doch richtig: Die USA bräuchten Europa, die Europäer seien für die USA „unverzichtbare Verbündete“. Europa müsse aktiv dafür kämpfen, dies den Amerikanern klarzumachen. „Europa muss sich selbst wieder als Top-Spieler etablieren.“
Auf der Bühne steht ein Präsident, der frustriert und verzweifelt darüber zu sein scheint, in den vergangenen drei Kriegsjahren nicht genug Unterstützung von den Europäern erhalten zu haben. 40 Prozent der Ausrüstung seiner Armee stamme aus der Ukraine selbst, 40 Prozent aus den USA, der Rest von den Europäern, wird er später vorrechnen. Natürlich sei er dankbar für die vielen Milliarden und die Waffenhilfe, insbesondere aus Deutschland. „Von dort haben wir im Moment unserer größten Schwäche die Patriot-Flugabwehrsysteme bekommen.“ Aber insgesamt hätten die Europäer auch in den vergangenen Jahren noch immer ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik vernachlässigt. „Europa investiert nicht ausreichend in die militärische Produktion.“
Um den Ernst der Lage klarzumachen, sagt Selenskij: „Nordkoreanische Soldaten stehen heute näher an Davos als an Pjöngjang“, der Hauptstadt Nordkoreas. Immer wieder versucht er zu erklären, wie bedroht Europa sei, wenn Russland in der Ukraine nicht zurückgeschlagen werde und es keinen gerechten Frieden gebe. Dann werde Putin die Länder der ehemaligen Sowjetunion besetzen, darunter die Nato-Staaten Lettland, Litauen und Estland; er werde der EU ein Ultimatum stellen, dass diese drei baltischen Länder sowie Schweden und Finnland die Nato wieder verlassen müssten.
Die Hoffnung Europa hat sich zerschlagen
Wie kann es also weitergehen? Die Hoffnungen, die Selenskij in die Europäer gesetzt hat, haben sich aus seiner Sicht zerschlagen. Deswegen richtet sich sein Blick jetzt auf Trump. „Trump wird alles daran setzen, diesen Krieg in diesem Jahr zu beenden. Wir sind jetzt Partner. Wir haben gute Beziehungen.“ Zunächst müsse „die heiße Phase“ des Krieges beendet werden, die Kämpfe müssten aufhören. Eine internationale Friedenstruppe mit mindestens 200 000 Soldaten könnte in der Ukraine stationiert werden. Dann könnte es Friedensverhandlungen geben.
Was es dafür benötige? „Starke Sicherheitsgarantien“, sagt Selenskij zunächst. Nur auf intensive Nachfrage wird klar: Konkret spricht er von der Mitgliedschaft in der Nato. „Die Nato ist die beste Sache. Die Nato ist die billigste Sicherheitsgarantie für die Ukraine, für die USA und auch für Russland.“ Mehr als eine Million Soldaten stünden dann bereit, sein Land zu verteidigen. Und an die Europäer richtet er die Botschaft: „Wenn Europa sagt, die Ukraine verteidigt europäische Werte, wäre die Nato-Mitgliedschaft doch nur logisch.“
Und wie könnte der Weg zum Frieden konkret beginnen? „Trump kann totale Sanktionen verhängen gegen Russland, auch im Energiesektor. Dann kann er Putin sagen, wenn dieser den Krieg nicht stoppt, werden die USA der Ukraine alle Waffen liefern.“ Vielleicht werde Putin dann einlenken und die Kriegshandlungen einstellen.
Selenskij weiß, dass er für einen Nato-Beitritt im Moment weder die Zustimmung Deutschlands noch anderer Verbündeter bekommt. Sein Kalkül ist deshalb ein anderes. „Die Nato-Mitgliedschaft hängt an den USA und am Präsidenten der USA. Wenn Trump die Ukraine in der Nato sieht, werden wir Mitglied der Nato sein. Wenn nicht, dann nicht.“ Also setzt er, schon nach Tag eins, alles auf Trump.