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Selbstreflexion als Geschäft: Männer weinen nicht mehr heimlich | ABC-Z

Ein Mann zerlegt Männlichkeitsideale. Ist das ein Grund für Applaus? Na ja. An dieser Stelle wurde gestern dem Rapper Apache 207 attestiert, dass er sich in seinem neuen Song „Man muss“ mit toxischen Männlichkeitsbildern auseinandersetzt. Das ist gut so. Männliche kritische Selbstreflexion hat den Deutschrap erreicht. Das mag neu sein. Nicht neu ist allerdings, dass es Männer gibt, die sowieso am liebsten über sich nachdenken. In der Popkultur aber wimmelt es seit einiger Zeit von diesen Männern, die das Hinterfragen ihrer Männlichkeit als Ausdauersport betreiben – bis zur völligen Erschöpfung aller, die ihnen zuhören oder zusehen müssen.

Sie machen Podcasts, schreiben Kolumnen und machen Musik. Sie sind im Fernsehen, auf Instagram und bei Tiktok. Sie reden allein und mit anderen Männern über Zwänge, Freiheiten, Privilegien und Prägungen – und sind ganz auf sich und die Wahrnehmung anderer konzentriert. So wie der Dad-Influencer Sebastian Tigges, der sich in seinem Podcast „Männer weinen heimlich“ mit selbst ernannten Feministen und anderen Männern trifft, um sich gegenseitig zu beweihräuchern, wie reflektiert man doch sei. Tigges zog ja einigen Spott auf sich, als er das Lackieren seiner Fingernägel als feministische Praxis bezeichnete.

Selbstreflexion ist längst ein großes Geschäft geworden

Nicht zu vergessen auch sein guter Freund, der Paarcoach Christian Roos, der in einer NDR-Doku seinem Freund Tigges erzählte, dass er wegen der Frauenunterdrückung durch das Patriarchat vor seiner Frau auf die Knie gegangen sei und um Verzeihung gebeten habe. Ganz vorne mit dabei ist auch der Kolumnist und Podcaster Sascha Lobo, der für sein Mansplaining schon 2022 von der Zeitschrift „Emma“ zum „Sexist Man Alive“ gekürt wurde. Das ist zwar übertrieben. Doch die männliche Selbstreflexion ist längst ein großes Geschäft geworden. Vielleicht denkt man deswegen beim Song von Apache 207 an das T-Shirt von Dior mit dem Spruch „We should all be feminists“, in dem sich prominente Männer wie der Rapper Asap Rocky nur zu gern als „Frauenfreund“ ablichten ließen.

Heute reicht es für den modernen Mann nicht mehr, Feminist zu sein. Jetzt ist er selbstreflektiert, und das in Vollzeit. Da werden nun einige sagen: Ja, aber das habt ihr Frauen doch gewollt. Dass wir unser Verhalten und unsere Privilegien hinterfragen. Und das soll jetzt auch wieder nicht richtig sein? Die Antwort lautet: Jein. Tut es ruhig, es ist ja wichtig, dass diese Diskussionen geführt werden. Es ist nicht zu leugnen, dass sich Männlichkeit im Wandel befindet und sich gerade junge Männer nach neuen Vorbildern sehnen. Aber erwartet bitte nicht auch noch Applaus dafür. Zumal sich längst eine gewisse Müdigkeit eingestellt hat. Weil Frauen auf bestimmte Veränderungen bei den Männern bis heute immer noch warten. Von der zur Schau gestellten In­trospektion, die folgenlos bleibt, haben sie genug.

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