„Sehr begehrt“, sagt Björn Höcke über ein „Europa bis Moskau“ | ABC-Z
Der AfD-Landeschef Björn Höcke will den Russland-Ukraine-Krieg zu einem Schwerpunkt im Bundestagswahlkampf machen. Auf dem Thüringer Landesparteitag fordert er die „Emanzipation“ von den USA und ein Europa, „dessen Wirbelsäule von Paris über Berlin nach Moskau verläuft“.
Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke steht am Samstagmorgen auf einer Bühne der Stadthalle Arnstadt und lässt sich feiern. Der 52-Jährige reißt seine Arme nach oben, über 300 Mitglieder erheben sich von ihren Plätzen. Die Thüringer AfD ist zu ihrem Landesparteitag zusammengekommen, Höcke hält zu Beginn der Veranstaltung eine 45-minütige Grundsatzrede.
Die Halle, in der sich die Rechtsaußenpartei an diesem Wochenende trifft, spielt in ihrer Geschichte eine wichtige Rolle. Vor knapp zehn Jahren, im März 2015, hatte der Thüringer Landesverband hier die „Erfurter Resolution“ beschlossen, das Gründungsdokument der völkisch-nationalistischen Parteiströmung, genannt „Der Flügel“.
Dieser wurde innerhalb der AfD zu einem zentralen Machtfaktor, bevor er im Jahr 2020 zunächst vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ eingestuft und dann formal aufgelöst wurde.
An diesem Samstag ist der Rückblick auf den Parteitag von 2015 zwar Thema in informellen Gesprächsrunden, nicht aber auf der Bühne. Da spricht Höcke über den anstehenden Bundestagswahlkampf. Und er kündigt an, die Positionierung zu Russlands Krieg in der Ukraine neben der „Deindustrialisierung“ und der „Gefährdung des Rechtsstaats“ zu einem der Schwerpunkte seiner Partei machen zu wollen. Wenn CDU-Chef Friedrich Merz Bundeskanzler werde, würden „deutsche Soldaten im schlimmsten Falle Raketen nach Moskau schicken, wo russische Soldaten und russische Zivilisten getötet werden“, behauptet Höcke. „Wer Merz wählt, wählt den Krieg.“
Der Rechtsextremist bezieht sich damit auf die Ankündigung von Merz, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern zu wollen. Merz verbindet einen solchen Schritt allerdings mit einer vorherigen Ausbildung ukrainischer Soldaten. Die Bundeswehr müsste die Raketen also nicht bedienen. Auch Höckes Behauptung, dass die Waffe, die von Kampfflugzeugen abgeworfen wird und ihr Ziel selbstständig ansteuert, Moskau erreichen könne, ist höchst fragwürdig.
Zwar beträgt die geschätzte Reichweite der Marschflugkörper 500 Kilometer – und ungefähr so lang ist tatsächlich die Luftlinie von der nördlichen Landesgrenze der Ukraine bis ins Moskauer Zentrum. Die Ukraine könnte den Taurus aber nicht direkt an der Grenze abschießen, da ihre Kampfjets in dieser Region direkt von der russischen Flugabwehr abgeschossen werden könnten.
Höcke sagt darüber nichts. „Das ist die Situation, vor der wir stehen“, sagt er. „Ohne, dass Russland Deutschland auch nur ansatzweise den Krieg erklärt hätte.“ Innenpolitik entscheide darüber, wie wir leben. „Und Außenpolitik entscheidet darüber, ob wir leben.“ Die AfD sei die „einzige authentische Friedenspartei“, sagt er dann. „Wir wollen keinen Krieg mit Russland.“
Höcke wirft in seiner Rede einen Blick auf die Geschichte seit dem Kalten Krieg. Damals sei die Weltlage bipolar gewesen – auf der einen Seite die Sowjetunion, auf der anderen die USA. Nach dem Fall der Mauer sei es in die Zeit der Unipolarität gegangen, mit den USA als einziger Supermacht. Diese habe Russland als „ewigen Feind“ markiert. „Das war ein großer Fehler“, sagt Höcke. Die Amerikaner hätten sich „als neue Kolonialmacht aufgespielt“ – und sich damit „sehr viele Feinde gemacht“.
Nun gehe es in die Phase der Multipolarität. Europa müsse ein eigenständiger, autonomer Pol in einer neuen, multipolaren Weltordnung werden, sagt Höcke. „Wir müssen uns von den Vereinigten Staaten von Amerika emanzipieren. Wenn wir das nicht tun, dann sind wir der knallharten Interessenpolitik der Amerikaner ausgeliefert und das beste Beispiel für knallharte Interessenpolitik war sicherlich die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines.“ Die Täter des Anschlags sind bislang nicht abschließend ermittelt.
Wenn sich Deutschland nicht von den USA emanzipiere, würden die Amerikaner immer mehr Industrie aus Europa abziehen und Deutschland „den Handel mit China untersagen“, behauptet der Landtags-Fraktionschef. „Sie werden uns immer weiter kulturell transformieren, bis von europäischen Traditionen nichts mehr übrig ist“, sagt Höcke. „Und im schlimmsten Fall machen sie Europa zum Kriegsschauplatz.“ Dass Amerika die europäische Kultur zerstöre, ist eine klassische Trope des Antiamerikanismus.
„Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok“
Zum Abschluss seiner Rede bezieht sich Höcke auf den früheren französischen Präsidenten Charles de Gaulle. „Der hatte einen Traum“, sagt Höcke. „Das war eine eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, die von Lissabon bis Wladiwostok reicht.“ Russische Nationalisten verstehen unter dem Begriff „Eurasien“ heute dagegen einen gemeinsamen kulturellen Raum in Europa unter russischer Führung.
De Gaulle hatte im Jahr 1959 von einem „Bündnis vom Atlantik bis zum Ural“ gesprochen. Helmut Kohl und Michail Gorbatschow nannten dies 1989 ein „gemeinsames Haus Europa“. Wladimir Putin forderte dann 2010 die „Gestaltung einer harmonischen Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok“. Dies griffen später wortgleich auch Angela Merkel und Emmanuel Macron auf.
De Gaulle habe auch von einem „souveränen Europa ohne fremdhegemonialen Einfluss von außen“ geträumt, sagt Höcke weiter. „Und er träumte von einem Europa, dessen Wirbelsäule von Paris über Berlin nach Moskau verläuft. Ich finde diesen Traum sehr attraktiv.“
Dann wird hinter Höcke ein russischsprachiger Text eingeblendet. Es ist eine „Resolution für Frieden und Souveränität“, die der Parteitag anschließend per Akklamation beschließt und die AfD auf Russisch und Englisch hatte übersetzen lassen. „Russland versteht sich als Gegenentwurf zur universalistischen Hegemonie der nichteuropäischen Weltmacht USA“, heißt es darin.
„Dieser Gegenentwurf lehnt die Auflösung aller historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bindungen und Traditionen ab. Russland beschreibt aus leidvoller eigener Erfahrung aus dem Jahrzehnt nach der Wende Amerika als Kolonialmacht, nicht mehr als Partner und Vorbild.“
Höcke liest den gesamten Text der Resolution vor. Diese bedient Narrative von „Reichsbürgern“, die die Souveränität Deutschlands bezweifeln. „Unsere Nation ist außenpolitisch nicht souverän“, heißt es in der Resolution. „Unsere Partei setzt sich für eine Rückgewinnung der Souveränität Deutschlands ein.“
Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 hatten die Bundesrepublik und die DDR zusammen mit den USA, der Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien beschlossen, die vollständige innere und äußere Souveränität Deutschlands wiederherzustellen.
Auch der erste Satz der AfD-Resolution ist bemerkenswert. „Seit fast drei Jahren führen die Ukraine und Russland Krieg gegeneinander“, lautet dieser. Davon, dass Russland die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen hat, ist im Text nichts zu lesen.
Bei der Bundestagswahl wird Höcke nicht selbst kandidieren. Er hatte zuletzt erneut mit einer Kandidatur geliebäugelt, sich dann aber wie bislang dagegen entschieden. Es kandidieren allerdings mehrere Vertraute von Höcke. Im September war Höcke als Spitzenkandidat mit der Thüringer AfD stärkste Kraft im Landesparlament geworden. Zum Ministerpräsidenten wurde am Donnerstag aber Mario Voigt (CDU) gewählt.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.