Segula steigt aus: Die Geheimnisse von Opels legendärer Teststrecke | ABC-Z

Alles hat mit einem Missverständnis begonnen. Als der Rüsselsheimer Autobauer Opel Anfang der Sechzigerjahre bekannt gab, eine Teststrecke in der Region um den Stammsitz bauen zu wollen – das Areal in der Nähe des Autowerkes war zu klein geworden –, bewarben sich zahlreiche Gemeinden um das lukrative Projekt. Schließlich standen nicht nur der Erlös aus einem Grundstücksverkauf in Aussicht, sondern auch 200 Arbeitsplätze für die eigene Stadt.
Aber nur eine Handvoll Kommunen soll damals die Kriterien des Unternehmens erfüllt haben, darunter der Ort Dudenhofen in der Nähe von Speyer. Durch ein Versehen der Post aber, so erzählt man heute, landete der Brief von Opel nicht in der Pfalz, sondern in der gleichnamigen Gemeinde in Hessen im Kreis Offenbach. Dort nutzte der damalige Bürgermeister Ludwig Kratz die Gelegenheit und bot dem Autobauer ein Gelände im Wald seines Ortes an. Er erhielt tatsächlich den Zuschlag: 1964 wurde der Kaufvertrag unterschrieben, zwei Jahre später das Prüffeld gar nicht weit entfernt vom Stammsitz in Rüsselsheim eröffnet.
Knapp sechs Jahrzehnte später steht die Zukunft des Testgeländes, auf dem seitdem Hunderte Fahrzeuge Tausende Kilometer gefahren sind, in den Sternen: In dieser Woche gab der Betreiber des Geländes, der Opel-Partner Segula, bekannt, den Betrieb der Motoren- und Fahrzeugstände in Rüsselsheim und auf der Teststrecke in Rodgau-Dudenhofen sofort einzustellen. Die Anlage, die seit 2019 von den Franzosen betrieben wird, ist weiterhin im Besitz von Opel. Der Autobauer ließ diese Woche wissen, er werde das Prüffeld vom 1. November an vorübergehend stilllegen. Es gebe aber Verhandlungen mit potentiellen künftigen Betreibern.

Bei seiner Eröffnung am 1. April 1966 war das Testgelände das modernste seiner Art in Europa. Damals führte Opel nicht nur das gewaltige Gelände vor, sondern auch ein Auto, das in den Jahren darauf große Bekanntheit erlangen sollte: Der legendäre Opel GT, der erst zwei Jahre später auf den Markt kam, drehte zum Einweihungstag auf der Strecke die ersten Runden.
Insgesamt 32 Kilometer Straßen waren auf der 260 Hektar oder 360 Fußballfelder großen Fläche eingebettet. Beim Bau der Anlage, so schrieb es die unternehmenseigene Zeitschrift „Opel-Post“ zum 50. Jahrestag der Eröffnung, sei es eine besonders große Herausforderung gewesen, neue Straßen in bewusst schlechter Qualität zu bauen. Die aber waren nötig, um auf ihnen die Abnutzung von Fahrzeugen potenzieren zu können. „Das Anlegen der Unebenheiten, wie Schlaglöcher, Kuppen, Wannen, Wellen, Beulen usw., nahm sich beim Bau der Asphaltstraßen manchmal aus, als würden wir nicht Straßenbau praktizieren, sondern abstrakte Kunst in Bitumen und Asphalt“, schrieb das Opel-Medium in einer Reportage.

Dass der Wald in der Nähe von Dudenhofen ideal für das Testfeld war und Opel bemüht war, möglichst wenige Bäume dafür zu fällen, hatte nicht nur mit Umweltschutz zu tun. Vor allem ging es wohl darum, die Blicke möglicher Mitbewerber von den Autos fernzuhalten. Der damalige Darmstädter Regierungspräsident Günter Wetzel befand zur Eröffnung, das Gelände sei so in die Landschaft eingepasst worden, dass es vollkommen mit ihr verschmelze. Zunächst sei man erschrocken gewesen, ein riesiges Waldstück für Autotests auszubauen, andererseits, so argumentierte Wetzel, sei es ja auch um die Sicherheit der Fahrzeuge gegangen. Und es seien eben gar nicht so viele Bäume gefällt worden.

Herzstück der Straßen im Wald ist ein fast fünf Kilometer langer, beleuchteter Rundkurs, auf dem die Testfahrer auf vier Spuren auf Tempo 250 beschleunigen können, ohne mit Querkräften zu kämpfen: Es ist möglich, durch die um 40 Grad geneigten Steilkurven rasen, ohne am Lenkrad korrigieren zu müssen.

Die übrigen Teststrecken haben andere Qualitäten: Auf der sogenannten Marterstrecke etwa werden die Autos derart belastet, dass dort in kurzer Zeit ein gesamtes Fahrzeugleben durchlaufen werden kann. Dort, wo Querschienen, Schlaglöcher und Höckerbahnen Fahrzeuge malträtieren, beschleunigen sie den Alterungsprozess: Ein gefahrener Kilometer auf diesen Straßen entspricht 75 Kilometern unter normalen Bedingungen.
Auf der Bergstrecke werden auf Auf- und Abfahrten mit Neigungswinkeln zwischen acht und 30 Prozent vor allem das Getriebe und die Bremsen geprüft, aber auch Anfahrhilfen oder Handbremsen. Und die sogenannte Performance-Fläche kann so geflutet werden, dass etwa Reifen unter verschiedenen Bedingungen getestet werden.
Viele Jahre wurde immer wieder in das Testgelände investiert, 2012 etwa wurden fast 30 Millionen Euro unter anderem für eine neue Messstrecke für Vorbeifahrgeräusche freigegeben. Zwischenzeitlich waren rund 200 Männer und Frauen im Wald von Dudenhofen beschäftigt. Seit dieser Woche ist unklar, wie es mit dem Testzentrum und den verbliebenen 82 Mitarbeitern weitergeht.





















