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Seelische Unterstützung für Geflüchtete im Landkreis Starnberg: Thomas Sulzer und Soulsupport – Starnberg | ABC-Z

Als Thomas Sulzer zur Unterstützung gerufen wird, findet er einen jungen Mann vor, der völlig stumm und abwesend auf einem Stuhl im Innenhof der Herrschinger Asylbewerberunterkunft sitzt. Er hatte Stimmen gehört. Ansonsten ist der junge Mann unauffällig, wirkt sehr verschlossen und unzugänglich. Sulzer versucht, mit ihm in Kontakt zu kommen, möchte sicherstellen, dass er die reale Stimme seines Gegenübers wahrnimmt. Sulzer betrachtet mit ihm gemeinsam den Himmel und die Wolkenformation. Dann laufen sie einen Weg nahe der Unterkunft entlang. Sie pflückten ein paar Blumen am Rande eines Kornfeldes. Plötzlich beginnt der junge Mann zu reden. Erzählt von seiner kranken Mutter und Schwester. Über die Jahre hat Sulzer den jungen Mann gemeinsam mit einer Ärztin kontinuierlich begleitet. Heute hat er eine feste Arbeitsstelle und ein eigenes kleines Apartment. Er spricht recht gut deutsch.

Sulzer erzählt diese Geschichte, um zu veranschaulichen, wie der Verein Soulsupport arbeitet, den er 2022 gegründet hat. In den 19 Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Starnberg leben derzeit rund 1700 Menschen. Das kleine Team um Sulzer unterstützt Geflüchtete in seelischen Krisen. Sulzers Wirkungskreis erstreckt sich vornehmlich auf den Nordwesten des Landkreises – auf Gemeinschaftsunterkünfte in Andechs, Herrsching, Breitbrunn, Gilching, Krailling und Gauting. Thomas Sulzer ist Diplompsychologe. Zu seinem Kernteam gehören der Starnberger Fachanwalt für Migrationsrecht Florian Haas sowie die Sprach- und Kulturmittlerin Benafsha Khurami. Die Psychiaterin und Psychotherapeutin Sarah Longhi  unterstützt die Arbeit von Soulsupport ebenfalls.

Meist haben Geflüchtete, auch wenn viele von ihnen schwer traumatisiert sind, nur sehr eingeschränkt Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung. In der täglichen Arbeit werden Sulzer und sein Team von Sozialarbeitern oder Helfern in den Gemeinschaftsunterkünften gerufen, wenn sie sehen, dass etwas aus dem Ruder zu laufen droht.

Wie etwa bei der Frau mittleren Alters aus Afghanistan, die mit ihren drei erwachsenen Söhnen in einer Asylbewerberunterkunft im Landkreis Starnberg untergebracht ist.  Ihr Mann war von den Taliban verhaftet worden, die Familie floh. Ob er noch lebt, weiß sie nicht. Jetzt sollen die Söhne in eine andere Unterkunft verlegt werden, weil der Platz gebraucht werde. Die Regierung von Oberbayern wollte eine qualifizierte psychologische Einschätzung des Zustands der Frau in Bezug auf die geplante Verlegung. So kam Sulzer zu dem Fall.

Für das Erstgespräche nimmt er sich als Psychologe stets rund eine Stunde Zeit. Um mit der Frau eine gute Gesprächsbasis zu finden, haben die beiden die quälenden Gedanken und traumatischen Erlebnisse der Vergangenheit erst einmal in einem imaginären Spind untergebracht, zu dem nur die Frau den gefühlten Schlüssel hat. Letztlich kommt Sulzer zu dem Schluss, dass die Umverteilung der jungen Männer kontraproduktiv wäre für den Integrationsprozess der Mutter. Denn man müsse daran arbeiten, ihre psychosozialen Begleiterscheinungen abzubauen. Dafür müsse aber der Alltag einigermaßen stabil sein, damit sich die Frau mit diesen Themen überhaupt befassen könne. „Das ist Akut-Arbeit“, sagt Sulzer. Die Behörden folgten seinem Rat und ließen die Familie gemeinsam in der Unterkunft.

Schaubild gezeichnet von Thomas Sulzer vom Verein Soulsupport. (Foto: Sabine Bader)

Um sich Situationen und Vorgänge besser zu verdeutlichen zu können, zeichnet Sulzer gerne kleine Schaubildchen. Ein Schaubild befasst sich etwa mit dem momentanen und künftigen seelischen Zustand eines Menschen.  Akut ist er ängstlich, unsicher und instabil, um dann nach seinem Weg stabil und integrationsfähig zu werden.

Für seine persönliche Rolle hat Sulzer auch ein Bild parat. „Ich fühle mich als Sherpa“, sagt er, „biete Orientierung im Gelände, Trittsicherheit, trage auch ein wenig Gepäck, aber nicht die Hauptlast.“ Er sei Lotse und Gesprächspartner für die Geflüchteten. An Sherpas hat Sulzer ganz persönliche, gute Erinnerungen, wie er erzählt. Denn er habe einige von ihnen kennengelernt, als ihn eine prägende Etappe seiner beruflichen Biografie für mehrere Jahre nach Kathmandu in Nepal geführt habe.

Zum Angebot gehören auch Kurz-Supervisionen für Ehrenamtliche und Fachkräfte

Doch zurück in den Landkreis Starnberg und zurück zu Sulzers Arbeit. Er will nicht ausschließlich für geflüchtete Menschen Ansprechpartner sein, sondern sorgt sich auch um die Ehrenamtlichen und Fachkräfte, die in den Unterkünften arbeiten.  Sie sind im Zuge ihrer Arbeit einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt. Darum hat er das Projekt „Supervision to go“ entwickelt und an den Start gebracht. Das Ganze besteht aus einer 30-minütigen Kurz-Supervision, die anlassbezogen bei ihm gebucht werden kann. Die Gespräche können kurzfristig terminiert werden und werden natürlich vertraulich behandelt.

Sulzer denkt an einen Fall aus einem Frauenhaus. Dort hatte eine Sozialarbeiterin Probleme mit einer Frau, die ihr suggerierte, sie sei nicht gut genug in ihrer Arbeit. Die Sozialarbeiterin hat das kurze Supervisionsgespräch in Anspruch genommen, um die Vorkommnisse für sich selbst besser einordnen und verarbeiten zu können. Nach einer Probephase ist Sulzers neues Supervisions-Projekt jetzt seit April voll im Programm.

Das Spendenhilfswerk der Süddeutschen Zeitung, SZ Gute Werke, fördert die Projekte „Akut“ und „Supervision to go“ und unterstützt damit die Arbeit von Soulsupport finanziell. Für Thomas Sulzer, der ehrenamtlich arbeitet, ist es ein Motivationsschub, dass seine Arbeit als förderwürdig angesehen wird. „Das bringt uns weiter.“ Und schon kommt er wieder auf seine Arbeit zu sprechen.

Das Supervisions-Modell liegt ihm besonders am Herzen, weil es nach seinem Dafürhalten eine Lücke schließt und die seelische Verfassung der Helfer in den Fokus rückt. „Mit diesem innovativen Modell kann ich jetzt diesen Platz ausfüllen“, sagt er. „Es ist niederschwellig, schnell und unbürokratisch.“ Damit es im Landkreis Starnberg eben nicht mehr heißen muss: Die Helfer fühlen sich alleingelassen.

So können Sie spenden

Per Paypal oder per Lastschriftverfahren unter sz-gutewerke.de/spenden. Mit einer Überweisung an SZ Gute Werke e.V., HypoVereinsbank, IBAN DE 04 7002 0270 0000 0822 28, BIC HYVEDEMMXXX.

Spenden können Sie auch im SZ-Servicepunkt im Kaufhaus Ludwig Beck, Marienplatz 11, Eingang Dienerstraße, 1. Obergeschoss. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr.

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