Politik

Schwesig äußert Verständnis für die Enttäuschten | ABC-Z

Ihre eigene Familiengeschichte nahm Manuela Schwesig als Beispiel, um zu illustrieren, welche Einschnitte viele Ostdeutsche aufgrund der Wende erfahren haben und wie tief diese Erfahrungen noch sitzen. Ihr Vater sei nach 1989 arbeitslos geworden und sein Betrieb geschlossen worden, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin. „Es war schwer. Deswegen verstehe ich Menschen, die auch enttäuscht und verletzt sind“, so Schwesig. Für viele Familien in Ostdeutschland habe sich nach dem Mauerfall „fast alles verändert“, daher sei nachvollziehbar, dass die Sorge, das Erreichte könne wieder verloren gehen, ausgeprägter sei.

1989 war der äußerste Nordosten Deutschlands nicht Epizentrum, sondern Randlage gewesen. Erst spät kamen hier Demonstrationen auf. Aber auch in Schwerin demonstrierten dann die Menschen mutig gegen die politischen Verhältnisse, ohne zu wissen, wie das Regime reagieren würde. Am Donnerstag wurde auf den gleichen Straßen in der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns der Tag der Deutschen Einheit mit einem großen Bürgerfest gefeiert. Am Morgen besuchten die Spitzen der Politik einen Gottesdienst im Schweriner Dom, wo sie von den Kirchenvertretern aufgerufen wurden, sich auch weiterhin für Menschen in Not einzusetzen. Danach gab es einen Festakt im Mecklenburgischen Staatstheater.

Schwesig versucht frühere Russlandnähe zu korrigieren

Schwesig, die zur Zeit der Wende 15 Jahre alt war, dankte in ihrer Rede den Menschen, die auf die Straße gegangen waren, für ihren „Mut, Mauern zu stürzen“. Auch heute, 34 Jahre nach dem Mauerfall, gebe es noch viel Ungleichheit zwischen Ost- und Westdeutschland. Notwendig sei es nun, „auf Augenhöhe, mit Respekt und nicht belehrend“ miteinander umzugehen. Notwendig sei auch, den Osten in der Bundesrepublik insgesamt stärker wahrzunehmen – nicht nur, wenn es um Probleme gehe.

Schwesigs Bundesratspräsidentschaft geht mit dem Einheitsfest zu Ende. Im vergangenen halben Jahr versuchte sie, das Verhältnis zu Polen zu kitten und zeigte sich wiederholt solidarisch mit der Ukraine im Kampf gegen den russischen Aggressor. Im eigenen Land sehen das nicht alle positiv. Die Nähe zu Russland ist hier traditionell groß. Schwesig stand einst selbst dafür, ihre frühere rot-schwarze Landesregierung trug entscheidend zur Fertigstellung der Nordstream-Pipeline bei mittels Gründung einer Stiftung, die amerikanische Sanktionen gegen den Bau abwehren sollte. Das Verhältnis zu Polen, das den Bau vehement ablehnte, gilt seitdem als zerrüttet.

Umso erstaunlicher war, dass beim Einheitsfest der frühere Bundeskanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder in der ersten Reihe saß. Schröder war einst ein Fürsprecher der Pipeline, Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream 2 AG und Kontrolleur beim russischen Staatskonzern Gazprom. Im Januar dürfte er in Schwerin einen Auftritt zum Thema haben, dann soll er dort im Untersuchungsausschuss zu dem Fall aussagen. Schwesig zumindest bezog auch am Festtag wieder klar Stellung: der russische Angriffskrieg habe die europäische Friedensarchitektur zerstört, sagte sie.

Scholz: Geschichte der deutschen Einheit nicht zu Ende

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ging auf die sehr unterschiedlichen Erfahrungen in Ost und West nach der Wende ein. Für viele Menschen sei der Umbruch in den Jahren nach der Wiedervereinigung ein Zusammenbruch des bisherigen Lebens gewesen, eine „Entwertung“ ihres Wissens und ihrer Lebensleistung. Doch seitdem habe dieses Land „unendlich viel“ gemeinsam erreicht. „Wir wollen niemals vergessen, was im Osten geleistet und aufgebaut wurde seit 1990“, sagte Scholz. Angesichts der Ausgangslage zweier so unterschiedlicher Staaten sei man „weit vorangekommen“, auch wenn die Einheit „natürlich noch nicht vollendet“ sei.

Die deutsche Einheit pries Scholz als Erfolgsgeschichte und verwies darauf, dass in Ostdeutschland Arbeitskräfte händeringend gesucht würden und das Wirtschaftswachstum höher sei als in Westdeutschland. An negativen Punkten hob er hervor, dass in Ostdeutschland immer noch weit weniger vererbt werde, zu wenige Konzernzentralen angesiedelt und zu wenige Ostdeutsche in Führungspositionen seien. Diese Unterschiede abzubauen, daran arbeite die Politik, sagte Scholz. Die Geschichte der deutschen Einheit sei noch nicht zu Ende.

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