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Schwarzer zu Trump-Sieg: “Es gibt für uns kein Wegducken mehr” | ABC-Z

Die Entscheidung für Donald Trump wird Folgen haben auch jenseits der US-Grenzen. Von Joe Biden, der Europa immer im Blick hatte, wechselt der mächtigste Posten der Welt zu einem, der kaum berechenbar ist. Wie Deutschland und seine EU-Partner spätestens jetzt reagieren müssen, erklärt Daniela Schwarzer, Expertin für internationale Politik und Vorständin der Bertelsmann Stiftung im Gespräch mit ntv.de.

ntv.de: Frau Schwarzer, werden die USA unter einem Präsidenten Donald Trump für Europa zum Sicherheitsrisiko?

Daniela Schwarzer: Trump ist unberechenbar und daraus entstehen Risiken. Die USA sind aber in seiner ersten Amtszeit entgegen seiner Aussagen nicht aus der NATO ausgetreten und er hat die amerikanischen Truppen nicht aus Deutschland abgezogen. Dahinter steckt die Einschätzung in Washington, dass die Stabilität des europäischen Kontinents für die USA strategisch relevant ist. Das bedeutet aber nicht, dass die USA weiter motiviert sind, viel in diese Stabilität zu investieren. Sie sollte gesichert sein, auch im amerikanischen Interesse, das ist Trump auch in einer zweiten Amtszeit vermittelbar. Nur: Um diese Stabilität müssen wir uns selbst kümmern. Riskant wird es, wenn er seine Pläne zur Ukraine umsetzt.

Die Ankündigung, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden?

Ja, diese Idee, in einer frühen Amtshandlung direkt im Januar einen Friedensschluss herbeizuführen. Trump soll mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin mehrmals gesprochen haben, auch in jüngster Zeit, wird berichtet. Möglicherweise hat er also schon bilateral begonnen, das Ende des Krieges vorzubereiten mit einem Deal, den er innenpolitisch gut verkaufen kann. Das Argument, das in den USA funktioniert, lautet: Wir müssen nichts mehr zahlen. Putin stellt die Kampfhandlungen ein, und die USA können im Gegenzug die militärische Unterstützung zurückfahren. Die Gefahr dabei: Trump könnte bereit sein, diesen Deal über den Kopf der Ukraine hinweg zu schließen. Es könnte bedeuten, dass Kiew Gebiete abtreten muss, etwa die besetzten Territorien im Osten plus die Krim, und die Sicherheitslage würde fragil und unberechenbar bleiben.

Daniela Schwarzer ist Vorständin der Bertelsmann Stiftung und eine der führenden deutschen Expertinnen für internationale Politik. Besonderen Fokus legt sie auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

(Foto: Marlena Waldhausen)

Viele Menschen in Deutschland würden es tolerieren, dass die Ukraine für ein möglichst schnelles Kriegsende Territorium abgeben muss. Das sei bedauerlich, aber eben der Preis, den man für Frieden zahlt. Ist da etwas dran?

Dieses Szenario würde Putins Vorgehen legitimieren: Eine Atommacht kann ein Nachbarland konventionell angreifen. Niemand setzt dem genug entgegen, um diesen Krieg militärisch zu beenden oder zurückzudrängen. Das wäre das Signal, das von diesem Szenario ausgehen würde. Genau das wird von anderen Nuklearmächten weltweit beobachtet, weil Putin durch seine nuklearen Drohungen bewirkt hat, dass die Unterstützer der Ukraine vorsichtig geworden sind. Man wollte eine atomare Eskalation vermeiden und hat deshalb das nukleare Potential Russlands in die Erwägungen immer mit einbezogen. Putin könnte sich ermutigt sehen, diese Strategie weiter anzuwenden.

Gegen andere Staaten, die er bereits im Blick hat?

Putin hat klar dargelegt, wie er sich Russland vorstellt: in den Grenzen der früheren Sowjetunion als eine Art großrussisches Reich. Das würde die Republik Moldau, Georgien, Belarus, aber auch NATO-Mitglieder wie die baltischen Staaten betreffen, die er immer wieder verbal bedroht. Für die Ukraine birgt ein solcher Deal aber ein weiteres Risiko: Was macht Putin in der Zwischenzeit, also zwischen Trumps Wahlsieg und der Amtsübergabe Anfang Januar? Er bekommt nun Unterstützung von Nordkorea und könnte versuchen, noch mehr Gebiete am Schwarzen Meer einzunehmen. Das würde die Ukraine weiter schwächen. Welche Chance hätte sie überhaupt, auf dem Restgebiet als demokratischer Staat erhalten zu bleiben?

Wenn man Ukrainer fragt, wofür sie ihren harten Kampf auf sich nehmen, lautet die Antwort oftmals: “Für unsere Kinder. Sie sollen in Sicherheit, ohne russische Bedrohung aufwachsen können.” Wäre das mit einem Trump-Deal erreichbar?

Bis zum Jahr 2014 gab es diese Sicherheit. Die Ukraine war ein souveräner Staat, hatte ihre Nuklearwaffen abgeschafft, hatte akzeptiert, noch kein NATO-Mitglied zu werden, sich aber zugleich Richtung EU orientiert. Dieses Modell als Teil der europäischen Sicherheitsordnung hatte über Jahre Bestand, bis Russland es durch die Annexion der Krim und den Krieg im Donbass zerstört hat. Nun setzt die Ukraine alles daran, diesen Status zurückzugewinnen. Doch genau die Sicherheitsgarantien, die dem ukrainischen Staat in Zukunft Schutz gewähren können, würden bei einem Trump-Deal vermutlich fehlen. Es bliebe unklar, wie viel Einfluss Russland nach der Einigung auf die Geschicke der Ukraine nehmen würde, wie Putin die Demokratie und auch die Westbindung des Landes untergraben würde.

Sie sprachen gerade die NATO an. Als NATO-Mitglied könnte sich die Ukraine in Zukunft deutlich sicherer fühlen. Und wenn das nicht möglich ist, würden Schutzgarantien westlicher Staaten helfen. Joe Biden hat beides strikt abgelehnt. Wie sehen Sie Trumps Haltung? Ist bei ihm – womöglich aus ganz anderen strategischen Motiven heraus – vielleicht sogar mehr drin?

Donald Trump hat ein skeptisches Verhältnis zur NATO. Immer wieder hat er hinterfragt, was das Bündnis Amerika bringt. Da stellt sich jetzt erstmal die große Frage: Kann man Trump überzeugen, dass Amerika von der NATO profitiert und dass alle einen fairen Beitrag leisten? Erst wenn diese Fragen geklärt sind, können wir überhaupt über Erweiterung nachdenken.

Wenn Sie einen “fairen Beitrag” aller Mitglieder erwähnen: Bislang kommen 50 Prozent der Verteidigungskraft der NATO aus den USA. Ein Mitgliedstaat zahlt also die eine Hälfte der Zeche, die übrigen 31 teilen sich die andere Hälfte. Wenn Trump sagt: “Da muss sich was ändern”, hätte er einen Punkt, oder?

Ja, und auch wenn Deutschland derzeit vor großen Herausforderungen steht, sind wir noch immer die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und ein wirklich starker Spieler. Wir müssen uns klarmachen: Wenn wir mehr in Verteidigung und Sicherheit investieren, dann nicht wegen Trump! Sondern, weil die Sicherheitslage eine ganz andere ist als noch vor einigen Jahren. Wir haben auf unserem Kontinent einen territorialen Krieg, in einem Land zwei Flugstunden von uns entfernt. Das ist auch für uns bedrohlich. Die Amerikaner werden ihren Fokus weiter in den asiatischen Raum verlagern. Deshalb können sie weniger in Europas Sicherheit investieren, was wir übernehmen müssen. Gleichzeitig sind wir als Wirtschaftskraft sehr abhängig von der Lage in Asien. Sowohl mit Blick auf die Handelswege als auch was Zulieferbeziehungen betrifft. In Deutschland müssen wir uns viel klarer machen, dass es eine ganz neue Bedrohungslage gibt. Um der auch nur annähernd gerecht zu werden, müssen wir mehr in unser Militär und in unsere Sicherheit im breiten Sinne investieren.

Da haben wir mit dem Sondervermögen 2022 einen kraftvollen Schritt gemacht, der Verteidigungshaushalt stagniert aber fast.

Wir werden da nachlegen müssen. Aber auch bei Faktoren wie unserer strategischen Versorgung mit vielen Produkten, die wir vielleicht nicht mehr dauerhaft von den bisherigen Akteuren beziehen können. Also müssen wir diversifizieren, auch das kostet Geld. Ein weiterer wichtiger Punkt ist unsere innere Sicherheit. Mittlerweile sind die Angriffe, also Cyberattacken, Desinformationsangriffe, so präsent in unserer Gesellschaft, dass sie destabilisierend wirken. Resilienz herstellen heißt Investitionen in Bildung, in die Gesellschaft, dort, wo Ungleichheiten bestehen. Das heißt aber auch Investitionen in kritische Infrastruktur. Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir in vielen Dimensionen investieren und uns verteidigungsfähig machen müssen. Es gibt für uns kein Wegducken mehr. Wir sollten mit den Amerikanern weiter zusammenarbeiten, aber durch Trump werden die USA als Partner deutlich unberechenbarer.

Verändert sich dieses Verhältnis zu den USA auf lange Sicht? Oder könnte das auf vier Jahre Trump beschränkt bleiben?

Wir hatten mit Joe Biden wahrscheinlich den letzten wirklich transatlantisch orientierten Präsidenten im Amt, der den Kalten Krieg erfahren hat, der ein klares Koordinatensystem hat und amerikanische Interessen sehr mit und durch Europa definiert. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Nachfolger von Trump in vier Jahren in diese Richtung denkt. Dafür gibt es auch demographische Gründe in den USA. Bislang wurde die strategische Orientierung sehr klar von der Ostküste getragen – von weißen Eliten mit Migrationsvergangenheit aus Europa oder auch von sehr vielen GIs, die im Kalten Krieg in Europa stationiert waren. Das verändert sich. Der Fokus der USA geht nach Asien, das Interesse daran, sich in militärischen Missionen in Konfliktherden zu engagieren, sinkt. Das zusammengenommen heißt: Die Europäer müssen mehr tun für die Entwicklung und die Modernisierung ihres jeweils eigenen nationalen Militärs und besser zusammenarbeiten.

Kann ein solcher Weckruf wie die Aussicht auf vier Jahre Trump da auch Positives bewirken? Etwa, dass uns klarer wird, worum es in den nächsten Jahren gehen muss? Anstatt bei einem Wahlsieg von Harris zu denken: Ist ja nochmal gutgegangen….

Diese Gefahr hätte bestanden, ja. Obwohl die Analyse auch in dem Fall ergeben hätte, dass die USA ihre Interessen verschieben, dass der Kongress mit Blick auf Hilfe für die Ukraine vielleicht nicht mehr zustimmen würde. Aber es hätte das Risiko gegeben, dass wir sagen: eine Demokratin im Weißen Haus – ist doch prima. Nun bekommen wir einen US-Präsidenten, der knallhart US-Interessen vertreten wird, der in vielerlei Hinsicht weiter mit Konventionen brechen wird – mit diplomatischen Gepflogenheiten, Abstimmungsmechanismen. Das fordert Europa heraus und verlangt, dass wir uns sehr ernsthaft fragen, wie wir handlungsfähiger werden. Mit dysfunktionalen oder zu langsamen Methoden weiterzuarbeiten, können wir uns nicht mehr leisten.

Mit Daniela Schwarzer sprachen Jan Gänger und Frauke Niemeyer

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