Schwarz-rote Koalition: Das große Ommm | ABC-Z

Da sitzen sie, die vier Parteivorsitzenden der schwarz-roten
Koalition und – lächeln. Es wird so offensiv gelächelt bei der Pressekonferenz
nach dem ersten Koalitionsausschuss nach der Sommerpause, dass man fast
vergessen könnte, wie die Koalitionäre bis gerade eben noch übereinander
gesprochen haben. Noch am Wochenende hatte Bundeskanzler Merz (CDU) auf dem
NRW-Landesparteitag – zweifelsfrei auch in Richtung seiner Partner von der SPD
– geschimpft, Deutschland könne sich sein jetziges Sozialsystem nicht mehr
leisten. Ein Befund, den Arbeitsministerin und SPD-Chefin Bärbel Bas ein paar
Stunden später als “Bullshit” bezeichnete. Und so schien es, als sei die
Regierung aus der Sommerpause gerade so herausgekommen, wie sie in dieselbe
gestartet war: übellaunig und zerstritten.
Umso erstaunlicher war die Harmonie, mit der die vier
Parteichefs von CDU, CSU und SPD am Mittwochabend auftraten: Man habe Fehler gemacht und zu
viel übereinander gesprochen, räumte Bärbel Bas ein. Der Kanzler und sein Vize
versprachen, nun den Blick in die Zukunft zu richten und das Land gemeinsam nach vorn zu bringen. CSU-Chef Markus Söder dagegen befand, dieser
Koalitionsausschuss sei nötig gewesen, um “nach der Sommerdepression eine
neue Herbstkraft zu finden”. Gut
so, denn dafür wird es nach dem holprigen Start der
Regierung Merz und angesichts der Herausforderungen, die vor diesem Land
liegen, auch allerhöchste Zeit.
Offenbar hatte ein, nein sogar das erste Treffen unter vier
Augen überhaupt zwischen dem Kanzler und seiner Arbeitsministerin den
Durchbruch gebracht. Am Vorabend des Koalitionsausschusses habe man
zusammengesessen, es sei ein konstruktives Gespräch gewesen und “bei zwei Glas
Bier sogar ein Nettes”, sagte Bas. Und so harmonisch ging es wohl weiter: Nach
dem Koalitionstreffen sei der Kanzler inzwischen mit allen Kollegen von der SPD
per Du, wusste Söder zu berichten. (Er selbst bleibe aber beim Sie, fügte er
hinzu, das gebe ihm “mehr Möglichkeiten”.)
Warum nicht schon viel früher?
Ein besseres Klima innerhalb der selbst ernannten Arbeitskoalition war
überfällig, aber die Wahrheit ist auch: Allein das wird nicht reichen.
Deutschland steckt nach wie vor in der Rezession, der Standort schwächelt, die
demografische Entwicklung belastet die Sozialsysteme. Zwar bekannten sich alle
vier Parteichefs – wie allerdings auch schon bei Abschluss des Koalitionsvertrags – einhellig dazu,
dass von nun an und mehr denn je die Stärkung der Wirtschaft im Vordergrund
stehen müsse. Einen Stahlgipfel will der Kanzler einberufen, Gespräche mit
Autoherstellern und Zulieferern führen, und der Wachstumsbooster soll seine
Wirkung entfalten. Die schwierigen Themen jedoch wie Pflege und Rente, auch
Details zur Reform des Bürgergelds, einer der größeren Konfliktpunkte zwischen
Union und SPD, wurden ausgespart – und in die zweite Gesprächsrunde am späteren
Abend verschoben.
Für den Moment, auch als vertrauensbildende Maßnahme
gegenüber einer verunsicherten Bevölkerung, ist es sicher nachvollziehbar, Konfliktthemen
gegenüber der Öffentlichkeit erst einmal auszusparen – erst recht, wenn sie
derart komplex sind wie Sozialreformen, technisch wie politisch wohl mit das
Anspruchsvollste, das der politische Betrieb zu bieten hat. Und der Koalitionsausschuss
ist auch genau der richtige Ort, um diese Themen in kleiner Runde vorzubereiten.
Nur fragt man sich gleichzeitig, warum es nicht schon viel
früher gelungen ist, die heute demonstrierte Vertrautheit herzustellen. Warum
nach dem Desaster der abgesagten Richterwahl sieben quälend lange Wochen vergehen
mussten, bevor man das Gespräch gesucht hat. Die Intervention von Teilen der
Union gegen die Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf hat offenbar einen so
tiefen Riss hinterlassen, dass weder das Treffen in Würzburg noch der Koalitionsausschuss Klärung
brachten – auch wenn Merz auf Nachfrage versicherte, er gehe von einer baldigen
Einigung aus.
Dieser Riss hat an dem Grundverständnis dieser “Arbeitskoalition”
gerührt: sich auf Absprachen verlassen zu können und politisch motivierte Profilierungsversuche im
Zweifel hinzunehmen, solange dies nicht zulasten der gemeinsamen Arbeit geht. Dorthin aber muss die Regierung zurück. Umso wichtiger ist jetzt, dass sich das große Ommm beim
Koalitionsausschuss als nachhaltig erweist – und dann konkrete Lösungen folgen.