Schulze übergibt Heizkraftwerke: Deutschland bringt mobile Wärme in eisige Hölle der Ukraine | ABC-Z
Russland schießt die Strom- und Wärmeversorgung der Ukraine kurz und klein. Deutschland liefert dagegen mobile Heizkraftwerke. Nummer 5 von 80 übergibt Entwicklungsministerin Schulze persönlich. Vor Ort zeigt sich: Die Aufgabe ist so wichtig wie Waffenlieferungen – und nicht minder komplex.
Manchmal klappt es noch, das Deutschland-Tempo. Im September – vor drei Monaten also – bewilligte der Bundestag das nötige Geld, sogleich ging die Ausschreibung raus. Dann in Rekordtempo Prüfung der Rückläufe, und nun ist in der weiß verschneiten Ukraine gerade Blockheizkraftwerk Nummer 5 angekommen, per Sattelschlepper aus Deutschland. Das fünfte von 80 mobilen Kleinkraftwerken, die der Ukraine versprochen wurden. Nummer 1 bis 4 sind schon an ihrem Einsatzort eingetroffen, Nummer 6 bis 9 hängen noch beim Zoll.
Die 80 Blockheizkraftwerke, die Deutschland in den kommenden Wochen an die Ukraine liefert, sind Teil des sogenannten “Winterpakets” des Entwicklungsministeriums (BMZ), das unter anderem auch Generatoren und Hubbühnen für schnelle Reparatur umfasst. 90 Millionen Euro stehen für das gesamte Paket zur Verfügung. Entwicklungsministerin Svenja Schulze übergibt eines dieser Kraftwerke persönlich, die Nummer 5.
Geheimhaltung wie bei Waffenlieferungen
Blockheizkraftwerk Nummer 5 ist ein klobiger Kasten von zwei Metern Höhe und Breite sowie fünf Metern Länge. Er wird bald auf einem Sattelschlepper Richtung Mykolajiv weiterfahren. Derzeit steht er irgendwo im Nirgendwo herum. Die Presse ist gehalten, bei der Standortbeschreibung nicht präziser als “im Norden der Ukraine” zu werden. Alles, was hilft, um die Bevölkerung derzeit mit Energie zu versorgen, nehmen die Russen ins Visier.
Nummer 5 kann eine Leistung von 600 Kilowattstunden Strom erzeugen. Es wird etwa 70 Wohnblöcke mit 13.000 Menschen versorgen können, dazu Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Verwaltung. Wenn sich in der Gemeinde im Raum Mykolajiv die Versorgungssituation entspannt, kann das Kraftwerk wieder auf den Sattelschlepper geladen und an einen anderen Ort gebracht werden. Ukrainische Techniker sind darin geschult worden, die Geräte an die Gasversorgung anzuschließen und die Leistung einzuspeisen. Dort, wo dieser Kasten hingestellt wird, wird er einen Unterschied machen.
Entwicklungsministerin Schulze ist darum aus Deutschland in der vorherigen Nacht mit dem Zug angereist. Um zu sehen, wie es läuft vor Ort, und um Nummer 5 an die ukrainischen Partner zu übergeben. “Für 2,6 Millionen Menschen in der Ukraine bedeuten die Blockheizkraftwerke Strom und Wärme”, hat Svenja Schulze am Vorabend im Zug gesagt. Und dass das BMZ schon vor der russischen Vollinvasion den staatlichen Stromanbieter Ukrainenergo unterstützt hat. Damals ging es darum, erneuerbare Energien und Unabhängigkeit zu fördern. In diesem Winter geht es ums Überleben.
Schutz vor Luftangriffen wäre möglich, fehlt aber
Fast täglich meldet es der Liveticker auf ntv.de: Neben dem permanenten Druck auf die Front greift Russland in großem Maß kritische Infrastruktur in der ganzen Ukraine an. “Dahinter steckt die perfide Absicht, die Bevölkerung im Dunkeln frieren zu lassen und sie so zu zermürben und zu vertreiben”, sagt Schulze. Etwa die Hälfte der ukrainischen Energieversorgung haben Angriffe der Russen bereits zerstört oder mindestens beschädigt, warnte Oberst Markus Reisner schon mehrfach auf ntv.de. In den vergangenen Tagen war Kiew einmal vier Stunden ohne Strom, einmal sieben. Weil die Armee nicht genug Fliegerabwehrsysteme hat, kann sie das Land nur punktuell vor russischen Luftangriffen schützen.
Doch der Westen fühlt sich bei sechs Exemplaren des wirkmächtigen Patriot-Systems, von denen Deutschland drei geliefert hat, fast am Limit mit seiner Hilfe. Ein siebtes soll im Januar kommen. Mehr können die Ukrainer erstmal nicht erwarten. Wenn es also nicht genug Schutz gegen die ständigen russischen Luftangriffe gibt, müssen das Land und seiner Unterstützer umso mehr Kraft investieren in raschen Ersatz für beschädigte Leitungen, ausgefallene Produktionsanlagen, zerschossene Umspannwerke.
Die Russen wissen, was sie tun
Insbesondere die Umspannwerke. Auf diese Verteilerstationen, in denen Gleichstrom in Wechselstrom umgewandelt und Hochspannung auf die haushaltsübliche Voltzahl reduziert wird, haben es die Russen besonders abgesehen. Da die ukrainische Infrastruktur noch aus Sowjetzeiten stammt, ist ihnen bestens bekannt, wo was steht und passiert im ukrainischen Versorgungsnetz. Wo sie attackieren müssen, um besonders vielen Zivilisten den Alltag in diesem Winter zur eisigen Hölle zu machen.
“Zerstörungen an den Umspannwerken sind nur sehr schwer zu ersetzen, denn die dort verbauten Transformatoren können nicht auf Vorrat hergestellt werden”, heißt es aus dem BMZ. Dieses Problem hängt mit chemischen Verbindungen zusammen, die ansonsten ihre Stabilität verlieren würden. Dadurch können die Hersteller Ersatzteile nicht auf Halde produzieren, sondern müssen bedarfsbezogen, immer wieder frisch nachlegen und liefern. “Das macht die Beschaffung zu einem sehr komplizierten Prozess.”
Berlin schaut genau hin
So knifflig es ist, Ersatzteile für beschädigte Umspannwerke zu beschaffen – die Unterstützung mit Blockheizkraftwerken ist nicht trivialer. Es geht Schulze und ihrem Haus besonders um kleinere Ortschaften, wo Gemeindezentren, Schulen und Krankenhäuser versorgt werden können. Die sind oft noch zusätzlich belastet, weil sie Binnenflüchtlinge aus den Frontgebieten aufnehmen. Wenn umkämpfte Orte wie Pokrowsk oder Wuhledar evakuiert werden, kommen die Einwohner meist in anderen Landesteilen unter. Gemeinden stellen Unterkünfte in alten Schulen, Verwaltungsgebäuden oder privat zur Verfügung – das braucht noch zusätzliche Energie.
Und es kann nicht nur nach dem dringendsten Bedarf gehen: Wichtig ist auch, dass Fachkräfte vor Ort sind, die die Kraftwerke instandhalten und bedienen können. Ein Faktor, den das BMZ auch einpreist: Korruption. Damit die Geräte dort landen, wo sie hin versprochen waren, wird aus Deutschland engmaschig betreut. Mit vielen ukrainischen Gemeinden arbeiten die Deutschen schon seit Jahren eng zusammen. Die haben auch jetzt gute Chancen auf Hilfe aus Berlin.
Ein Betondeckel gegen rusische Angriffe
Ersatzteile liefern für die Reparatur, Blockheizkraftwerke schicken, um irreparable Anlagen zu ersetzen und Engpässe zu überbrücken – das sind zwei Möglichkeiten, wie Deutschland über den Winter helfen kann, wenn man mit Luftverteidigung am Limit ist. Doch es gibt noch eine Dritte, und die ist aus Beton: Level 2-Schutzmaßnahme heißt es unter den Fachleuten, wenn die Transformatoren, die im Umspannwerk den Strom wandeln, mit einer sogenannten “Betoneinhausung” versehen werden.
Das heißt: Die dröhnenden, spratzenden Großgeräte bekommen vier massive Wände um sich herum und oben einen Deckel drauf, in etwa im Umfang eines Mehrfamilienhauses. Für Kampfdrohnen ist der Trafo so nicht mehr zu treffen, und auch wenn eine Rakete in zehn Meter Entfernung einschlägt, bleibt der Transformator unbeschädigt. “Wenn eine Rakete direkt trifft, dann bietet der Beton keinen Schutz”, erklärt ein Mitarbeiter des Energieversorgers Ukrenergo. Er möchte anonym bleiben und auch Fotos zu schießen, ist hier streng verboten. Die Standortangabe – man ahnt es bereits – “im Norden der Ukraine”.
An der Betoneinhausung hat Ukrenergo zehn Monate gearbeitet und dafür Geld aus Deutschland einsetzen können. Für das gesamte Netz reicht es nicht. Neben dem Level 2-geschützten Trafo steht einer, der nur Level 1-Schutz hat: Eine Umrandung aus mannshohen, gestapelten Sandsäcken. Von oben und mit Präzision darf da nichts kommen.
Zwischen Angst und Notwendigkeit
Der letzte große Treffer liegt zum Glück schon zwei Jahre zurück, im Jahr 2022. Ein damals zerstörter Transformator steht noch immer auf dem Gelände, die Einschläge der Raketensplitter sind im ausgebrannten Gehäuse gut zu sehen. Als die 100 Tonnen Transformatorenöl im Inneren erstmal brannten, konnte sich zwei Tage lang niemand auch nur nähern.
Ukrenergo hat inzwischen alle 85 Stationen mindestens mit Level1-Schutz versehen. 400.000 Tonnen Sand waren dafür nötig, 5000 Bahncontainer voll. Level 3 gibt es auch, aber das ist geheim. Mehrmals die Woche ist Luftalarm auf der Anlage, meistens nachts. Aber auch tagsüber müssen die Mitarbeiter das Gelände verlassen, wenn die Handy-App Gefahr von russischer Seite meldet. Ja, er fühlt sich mit den Schutzmaßnahmen jetzt sicherer, sagt der Ukrenergo-Mitarbeiter, aber ja, er hat auch Angst vor den Angriffen. Die hätten wohl alle. “Aber wir alle hier haben auch Familie zuhause und die brauchen Strom und Wasser.”