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Mahnwache in Ebersberg: Josef Wintrich und der „Lebensborn“ – Ebersberg | ABC-Z

Es sind nur 100 Meter von der Ecke neben dem Torbogen im Klosterbauhof, wo Christoph Schwarz seinen Projektor aufgebaut hat, bis zur früheren Wirkungsstätte des Mannes, um den es an diesem Samstagabend geht: Josef Wintrich, von 1933 bis 1945 Vorstand des Ebersberger Amtsgerichts, später Vorsitzender des Bundesverfassungsgerichts. In Ebersberg gilt er seit Jahrzehnten als Vorbild, was sich auch darin widerspiegelt, dass die Realschule in der Kreisstadt und eine Straße nach ihm benannt sind. Doch war Josef Wintrich wirklich jemand, an dessen Handeln sich auch heutige Generationen noch orientieren können und sollen? Geht es nach Christoph Schwarz, fällt die Antwort auf diese Frage sehr eindeutig aus: Wintrich sei zur Zeit des Nationalsozialismus „Schreibtischtäter“ gewesen, allein durch seine Funktion als Vormundschaftsrichter für „Lebensborn“ könne er in einer Demokratie kein Vorbild sein, sagt er. Er fordert deshalb auch die Umbenennung der Ebersberger Realschule.

Nach Ebersberg ist der Freiburger Pädagoge gekommen, um kurz vor dem Holocaust-Gedenktag insbesondere an jene Kinder zu erinnern, die in verschiedenen Ländern ihren Eltern geraubt worden waren und später in „Lebensborn“-Heimen an Adoptiveltern vermittelt wurden. Für mindestens eines dieser geraubten Kinder – Vili Goručan, der später den Namen Haymo Heinrich Heyder trug – war Josef Wintrich als Vormundschaftsrichter tätig. Insgesamt hatte Wintrich bei 750 „Lebensborn“-Kindern die vormundschaftsgerichtliche Aufsicht.

Schwarz, der Vorsitzender des Vereins „Geraubte Kinder – vergessene Opfer“, hat zu seiner Mahnwache im Klosterbauhof auch Dokumente aus der NS-Zeit mitgebracht, die er an die Wand projiziert und die Schlaglichter auf die Arbeit Wintrichs werfen. Von der großen Zufriedenheit der Nationalsozialisten mit Wintrichs Arbeit für den „Lebensborn“ ist darin unter anderem die Rede und davon, dass es aufgrund der besonders engen Zusammenarbeit schwer wäre, dessen Arbeit in andere Hände zu legen. In einer Dokumentation, die Schwarz über Wintrich erstellt hat, ist auch ein Schreiben des Richters selbst zu finden, darin schreibt Wintrich, dass er sich stets für den Verein „Lebensborn“ eingesetzt habe, „in klarer Erkenntnis seiner nationalsozialistischen Zielsetzung aus Überzeugung und unter persönlicher Anteilnahme unter Hinwegsetzung über bürokratische Hindernisse“.

Auch Dokumente zur Arbeit Wintrichs während der Zeit des Nationalsozialismus projiziert Schwarz an die Wand – in diesem hier geht es um die wichtige Rolle des Ebersberger Richters für den „Lebensborn“. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Es ist nur wenige Ebersberger, die an diesem Samstagabend in den Klosterbauhof gekommen sind, um Schwarz zuzuhören und mit Rosemarie Heyder, der früheren Frau von Haymo Heyder, der vor zwei Jahren gestorben ist, zu sprechen. Doch diejenigen, die da sind, lässt das Thema nicht kalt, wie bei den Diskussionen mit Schwarz schnell deutlich wird. Einige Besucher weisen darauf hin, dass ihrer Ansicht nach noch nicht genügend Fakten auf dem Tisch liegen, um eine Diskussion über eine mögliche Umbenennung von Straße und Schule zu führen. So sieht es etwa Marco Mohr, der SPD-Bundestagskandidat, der nach der Veranstaltung noch länger mit Schwarz diskutiert. „Wir sind alle keine Historiker“, sagt Mohr, der auch zwei Jahre Geschäftsführer des Max-Mannheimer-Hauses in Dachau war. Der erinnerungspolitischen Diskussion müsse eine faktenbasierte, objektive Bewertung vorangehen, sagt er und kritisiert die „Schärfe in der Sprache“: Dass Schwarz Wintrich als „Blutrichter“ bezeichne, sei „nicht hilfreich für die Diskussion“, so Mohr, auch wenn er natürlich verstehe, dass Schwarz vor allem das Leid der Opfer im Blick habe.

Ähnlich sieht es Elisabeth Platzer (SPD), die als stellvertretende Landrätin ein Grußwort spricht und dabei auch Schwarz’ Arbeit und Engagement würdigt. „Jeder Beitrag zur Erinnerungskultur ist wichtig“, sagt sie, gerade in Zeiten wie diesen. Was aber die Bewertung Wintrichs betreffe, „maße ich mir keine Entscheidung an“. Sie wünsche sich aber ein größeres Interesse an dem Thema und eine offene und aufrichtige Diskussion.

Das unterstreicht auch der Ebersberger Bürgermeister Ulrich Proske (parteilos), der Schwarz aufmerksam zuhört und unterstreicht, es sei für ihn selbstverständlich gewesen, den Platz im Klosterbauhof zur Verfügung zu stellen: „Solche Diskussionen müssen im öffentlichen Raum stattfinden.“ Was seine persönliche Ansicht zu Wintrich betreffe, sei er mittlerweile „hin- und hergerissen“, bekennt der Bürgermeister. Man werde aber hoffentlich bald auf einer fundierten Faktengrundlage über das Thema diskutieren können.

Mit größtem Interesse werden somit die Ergebnisse eines Forschungsprojekts erwartet, das derzeit am Institut für Zeitgeschichte läuft. Historiker nehmen hier das Bundesverfassungsgericht in der Zeit zwischen 1951 und 1970 unter die Lupe – und somit auch die Biografien der Richter in dieser Zeit. Wenn dieses Projekt abgeschlossen ist – voraussichtlich ist dies Anfang 2026 der Fall – will der Ebersberger Stadtrat nochmals über Wintrich und seine Eignung als Vorbild diskutieren.

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