Scholz verliert Vertrauensfrage – Weg für Neuwahl frei – Politik | ABC-Z
Der Bundestag hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) das Vertrauen entzogen und damit den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen am 23. Februar geebnet. Die Abgeordneten folgten am Montag mehrheitlich dem Wunsch des Kanzlers, die Wahlperiode nach dem Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition vorzeitig zu beenden. Scholz, der seit dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP) über keine parlamentarische Mehrheit mehr verfügt, bat noch am Abend Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier persönlich darum, den Bundestag aufzulösen. Steinmeier hatte im Vorfeld signalisiert, dass er der Bitte nachkommen dürfte, will aber noch Gespräche mit den Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen darüber führen.
Scholz war nach Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) der vierte Bundeskanzler, der die Vertrauensfrage mit dem Ziel stellte, sie bewusst zu verlieren und damit Neuwahlen herbeizuführen. Sie alle entschieden sich für dieses umständliche Verfahren, weil die Verfassung hohe Hürden für eine vorzeitige Auflösung des Bundestags setzt. Damit wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Lehren aus dem Chaos der Weimarer Republik ziehen, die auch an handlungsunfähigen Regierungen und dauernden Wahlen zerbrochen war.
Bei der Abstimmung am Montag sprachen von 717 Abgeordneten lediglich 207 Scholz das Vertrauen aus, darunter alle anwesenden Mitglieder der SPD-Fraktion sowie der aus der FDP ausgetretene Bundesverkehrsminister Volker Wissing. 394 Parlamentarier votierten mit Nein, 116 enthielten sich, darunter alle 115 Grünen-Abgeordneten, die an der Abstimmung teilnahmen. Sie hatten ihre Entscheidung im Vorfeld angekündigt, um ein unerwünschtes Ergebnis zu verhindern. So war spekuliert worden, die Abgeordneten der AfD könnten mit Ja stimmen, um Scholz zu einer Mehrheit zu verhelfen und die anderen Parteien einmal mehr öffentlich vorzuführen. In einem solchen Fall wäre ungewiss gewesen, wie es mit der rot-grünen Minderheitsregierung hätte weitergehen sollen.
:Ehrlich gesagt
Im Bundestag werfen sich die Ex-Koalitionäre mangelnde sittliche Reife fürs Regieren vor, der Oppositionsführer wiederum tadelt den Kanzler als unverschämt. Die Aussprache zur Vertrauensfrage gerät – nicht ganz unerwartet – zur wechselseitigen Generalabrechnung.
Die Debatte über die Vertrauensfrage stand bereits voll im Zeichen des Wahlkampfs und war geprägt von massiver gegenseitiger Kritik – auch unter den bisherigen Koalitionspartnern. Scholz sagte, er habe nach der „wochenlangen Sabotage“ der Regierungsarbeit durch die FDP keine andere Wahl gehabt, als Lindner rauszuwerfen. Politik sei kein Spiel, vielmehr „braucht es eine sittliche Reife“. Er stelle deshalb die Vertrauensfrage, aber nicht in erster Linie an die Abgeordneten des Bundestags, sondern an die Bürgerinnen und Bürger. Sie könnten wählen, ob Deutschland weiter in Wohlstand, sozialen Zusammenhalt und stabile Renten investieren wolle oder „kleinkrämerisch und verzagt“ vorgehe, wie dies Union und FDP mit dem Festhalten an der Schuldenbremse proklamierten. „Diese Entscheidung ist so grundlegend, dass sie vom Souverän selbst beantwortet werden muss: von den Wählerinnen und Wählern“, sagte Scholz.
Oppositionsführer Friedrich Merz nutzte seine Antwort auf die Rede des Kanzlers, um schonungslos mit drei Jahren Ampel-Politik abzurechnen. „Sie haben Ihre Chance gehabt, Sie haben sie nicht genutzt“, sagte der Unionskanzlerkandidat an Scholz gerichtet. Die SPD habe in den letzten 26 Jahren 22 Jahre mitregiert. Sie habe also genug Zeit gehabt, alles, was Scholz jetzt fordere, umzusetzen. Stattdessen ignoriere der Kanzler die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und blamiere Deutschland zudem auf europäischer Ebene. Mit welchem Bündnis der CDU-Chef liebäugelt, machte er deutlich, indem er Lindner gegen die Kritik des Kanzlers in Schutz nahm. Scholz’ respektlose Aussagen über seinen ehemaligen Minister seien „eine blanke Unverschämtheit“, sagte Merz, der Umfragen zufolge gute Chancen hat, den Sozialdemokraten im kommenden Frühjahr als Regierungschef abzulösen.
“Deshalb hat er kein Vertrauen mehr verdient”, sagt FDP-Chef Lindner
Lindner selbst sagte, Scholz habe die tiefe Strukturkrise, in der die deutsche Wirtschaft stecke, lange geleugnet. Jetzt fehle ihm die Kraft für die notwendigen Reformen. „Deshalb hat er kein Vertrauen mehr verdient“, so der FDP-Chef. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck räumte ein, dass die Ampel zu Recht einen schlechten Ruf gehabt habe. Die Regierung habe aber auch viel zustande gebracht, etwa in der Sicherheits- und der Energiepolitik sowie bei der Reform der Fachkräftezuwanderung. Die Opposition hingegen betreibe Arbeitsverweigerung.
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel arbeitete sich wie gewohnt an allen anderen Parteien ab. Scholz habe in nur drei Jahren Schäden angerichtet, die die Deutschen noch lange ausbaden müssten. Habeck habe das Land wirtschaftlich ruiniert, wer Merz wähle, „der wählt den Krieg“, sagte sie mit Blick auf die Haltung des CDU-Vorsitzenden zum Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bescheinigte Weidel daraufhin „absolut unterstes Niveau“.