Politik

Scholz kritisiert Merz in Generaldebatte im Bundestag | ABC-Z

Am Anfang gibt es eine Überraschung. Nicht wie üblich der Oppositionsführer, also Friedrich Merz als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, eröffnet am Mittwochmorgen die Debatte zum Etat des Kanzleramts, sondern Alexander Dobrindt, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, darf als Erster reden und versuchen, den Ton zu setzen: „Herr Bundeskanzler, sie haben den Wumms verloren.“

Der Bundeskanzler aber geht darüber hinweg, als er im Anschluss an das Rednerpult tritt, und richtet seine Attacken ohne Umschweife auf Merz, der vor ihm in der ersten Reihe sitzt: Scholz empört sich, dass die Union die gemeinsamen Gespräche zur Asylpolitik verlassen hat, wirft Merz vor zu glauben, die Probleme mit Vorschlägen in Sonntagszeitungen lösen zu können, die er zudem gleich wieder vergesse – und er erklärt ihm auch ungefragt, was aus seiner Sicht politische Führung bedeute: „Führung ist nicht, dass man auf eine Barrikade steigt, mit einer wilden Geste Forderungen erhebt“, sagt Scholz.

„Führung ist, dass man sich umdreht und die eigenen Leute zu einem Kompromiss zu bewegen in der Lage ist.“ Und in den Applaus hinein: „Das ist Führung.“ Ob der Kanzler selbst diesem Anspruch genügt, ist eine andere Frage. Bis Merz antworten kann, dauert es noch gut eine Stunde. Es wird eine weitere Überraschung.

Wie weiter in Deutschland?

Die Debatte zum Etat des Kanzleramts ist der Höhepunkt der ersten parlamentarischen Woche nach der Sommerpause, der Höhepunkt der ersten Runde der Haushaltsberatungen, denen schon so viele Krisengespräche im Kanzleramt in den vergangenen Monaten voraus gegangen sind. Da diese Debatte ohnehin stets über die Leistung der Regierung geführt wird, ist es an diesem Mittwochmorgen nach dem Terror von Solingen, den dramatischen Wahlergebnissen in Thüringen und Sachsen, und den erst am Abend zuvor gescheiterten Asyl-Gesprächen zwischen Regierung, Ländern und Union völlig klar, dass es auch um Grundsätzliches geht: wie weiter in Deutschland? So nicht, scheint immerhin ein Punkt zu sein, auf den sich viele Redner einigen können.

Da es bei diesem Höhepunkt der Haushaltsdebatte aber meist um eines nur am Rande geht, nämlich die Zahlen, hier zumindest die wichtigsten: Knapp 490 Milliarden Euro stehen im Haushalt für 2025 bereit, gut 51 Milliarden sind an neuen Schulden vorgesehen. Zu den am meisten diskutierten Etats gehört jener des Bundesverteidigungsministeriums, der zwar um 1,3 Milliarden steigt, aber mit 53,3 Milliarden Euro nicht so hoch ist, wie es sich nicht nur der Bundesverteidigungsminister gewünscht hätte.

Das größte Mysterium sind der Posten Globale Minderausgaben, die mit zwölf Milliarden Euro veranschlagt sind. Es wird also angenommen, dass so viel Geld über alle anderen Posten hinweg am Ende gar nicht abgerufen und ausgegeben wird. Da das allerdings, freundlich formuliert, eine sehr optimistische Annahme ist, sollen noch drei Milliarden Euro gefunden und gekürzt werden. Der Etat des Kanzleramts steigt auch leicht an: auf 3,9 Milliarden Euro.

Der Kanzler will auswählen, wer nach Deutschland kommt

Aber auch der Kanzler erwähnt diese Zahlen gar nicht, er beginnt stattdessen mit anderen, den Ergebnissen der AfD bei den Landtagswahlen: daran werde man sich niemals gewöhnen, die AfD sei schlecht für unser Land. „Wir werden alles dafür tun, dass diese politische Formation wieder an Bedeutung verliert.“

Dann kommt Scholz auch schon zu den Herausforderungen vor denen Deutschland stehe, und die ja auch ihren Anteil haben am Aufstieg der AfD. Sogleich nennt er die Migration, leitet aber mit dem Verweis ein, dass viele Männer und Frauen aus anderen Ländern in Deutschland ihren Anteil am Wirtschaftswachstum geleistet hätten. Dann kommt er zum Kern: Weltoffenheit sei notwendig, sagt der Kanzler. „Aber wir müssen uns aussuchen können, wer nach Deutschland kommt.“

Das Management der irregulären Migration müsse man hinkriegen, diese irreguläre Migration reduzieren und auch mehr zurückführen. Es folgt die Anmerkung, dass seine Regierung damit die Untätigkeit konservativer Innenminister beende. Dann kommen die Vorwürfe gegen Merz und wegen des Aussteiges aus den Asylgesprächen. Der Kanzler sagt aber auch, die Tür stehe offen für die Union, zurück an den Tisch zu kommen. Wir sind immer noch bereit, wir würden das mit ihnen machen. Und was sagt Merz dazu?

Erstmal dürfen andere reden, die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel etwa, die neben allerhand asylbezogenen Vorwürfen („Migrationspolitisches Staatsversagen“) gegen die Regierung, immerhin auch mal den Haushalt erwähnt („so dilettantisch und zusammengeschustert wie ihre ganze Regierungskoalition“), und auch Katharina Dröge, die Ko-Vorsitzende der Grünen. Die fordert auch in der Asyldebatte die Kraft zur Differenzierung, erinnert daran, dass es auch Menschen gibt, die mit Recht Schutz suchen in Deutschland und versucht sonst vor allem, der Union die Schuld an dem Ende der Asylgespräche zuzuschieben – und das Licht von der eigenen Partei abzulenken.

Gut eine Stunde nach dem Kanzler steht dann endlich Merz am Rednerpult, und er beginnt nicht kämpferisch wie ein Oppositionsführer – sondern bedacht wie ein Staatsmann. Er erinnert an die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA, an die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, an die Pflicht, der Ukraine weiter zu helfen. Um dann zu den, „unvergleichbar kleineren“, wie er sagt, Herausforderungen in Deutschland zu kommen. Auch da spricht er betont ruhig und beginnt mit der Feststellung: „Deutschland muss ein offenes und ausländerfreundliches Land bleiben.“

Erst dann geht es zu den Problemen von Integration und Asyl, und Merz sagt sogleich, dass seine Forderung nach mehr direkten Zurückweisungen an den deutschen Grenzen „rechtlich zulässig, praktisch möglich“ und „politisch geboten“ halte. Die Vorschläge der Koalition aus den Asylgesprächen, die vor allem eine Beschleunigung der bisherigen Rückführungsverfahren und ein Vorziehen einzelner Elemente der europäischen Asylreform bedeutet hätten, blieben weit zurück hinter dem Notwendigen.

Merz erinnert aber auch daran, dass die Koalition die Union gar nicht brauche, um die Reformen voranzutreiben. Es gehe schließlich nicht um eine Grundgesetzänderung. Die Behauptung, dass der Abbruch der Gespräche jedoch einem Drehbuch von Merz gefolgt, also von Anfang an geplant gewesen sei, weist Merz als „infam“ zurück. Durch die angeblich offene Tür zu weiteren Asyl-Gesprächen, ist die Union also offensichtlich nicht mehr bereit, zu gehen. Das ist keine Überraschung.

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