Scholz’ Abwehrkampf gegen Merz und die Union | ABC-Z
Die SPD wollte kein Risiko eingehen. Deswegen hatte man sich entschieden, per Handzeichen auf dem Parteitag über die abermalige Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz abstimmen zu lassen. Sicher ist sicher. Für eine Panne, also ein mögliches schlechtes Ergebnis in geheimer Abstimmung, sind die Wahlumfragen für die Bundestagswahl am 23. Februar einfach zu miserabel.
Und so schießen am frühen Nachmittag in der Messehalle CityCube in Berlin viele hundert Arme mit Abstimmungskarten in die Höhe. Nur fünf Delegierte trauen sich, öffentlich zu bekunden: Nein, Scholz soll es nicht nochmal sein. Aber diese Stimmen fallen nicht ins Gewicht, und hundertprozentige Zustimmung bringt eh kein Glück. So kann Scholz nach der Abstimmung auf der tiefroten Bühne mit Freude im Gesicht den Blumenstrauß in die Höhe recken und sich für das „sehr überwältigende Votum“ bedanken. „Wir werden gewinnen. Schönen Dank.“
Die Stimmung der Delegierten gegenüber Scholz ist freundlich – das hat man bei der SPD bei früheren Kanzlerkandidaten ja auch schon anders erlebt. Und selbstverständlich ist es bei Scholz ja auch nicht. Die Partei tat sich zunächst ziemlich schwer, sich noch einmal für Scholz zu entscheiden. Die Kanzlerpartei hatte noch vor einigen Wochen heftig darüber diskutiert, ob der Kanzler überhaupt der richtige für den Wahlkampf ist – oder nicht doch Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Pistorius rein mit sich und seiner Rolle
Scholz‘ Kandidatur, von ihm selbst und den Gremien durchgedrückt, wird auf dem Parteitag nicht mehr in Frage gestellt. An den glänzenden Werten des Kandidaten kann es nicht liegen. Vielleicht ist es ein sich Einfügen ins Schicksal. Pistorius jedenfalls bekommt am Samstag eine Redezeit in der undankbaren Mittagszeit. Für Euphorie ihm gegenüber fehlen die Leute im Saal. Pistorius vermittelt aber den Eindruck, ehrlich rein mit sich und seiner Rolle zu sein.
Die SPD, mit Scholz an der Spitze, hat es geschafft, so etwas wie Einigkeit wieder herzustellen. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Generalsekretärs Matthias Miersch war es, jene Genossen anzurufen, die zuvor medienwirksam verkündet hatten, für Scholz kein einziges Plakat aufhängen zu wollen. Angeblich mit Erfolg.
Zwei Mal dankt Scholz in seiner Rede auf dem Parteitag den SPD-Mitgliedern für ihren Einsatz in diesem bitterkalten Wahlkampf. Er beginnt mit einem Thema, dass die Genossen bewegt: die Zusammenarbeit der ÖVP mit der FPÖ in Österreich. Er wechselt dann zum Krieg, der mitten in Europa von Russland geführt werde, man außerdem nicht wisse, wie sich das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten entwickeln werde. Scholz kommt zu dem Schluss, dass es überall Kräfte gebe, die die demokratischen Institutionen angriffen. Da dürfe man sich aber auch nicht verrückt machen lassen, findet er. Und nicht so tun, als gäbe es einen Zauberspruch, mit dem alle Probleme gelöst würden.
Der Name von Merz fällt in Scholz’ Rede nicht
Man kann vermuten, dass er damit vielleicht Friedrich Merz meint, und vielleicht auch die Migrationspolitik. Vermuten kann man es nur, weil Scholz es nicht ausführt. Der Name von Merz fällt in seiner Rede nicht. Obwohl seine Ausführungen minutenlange Abwehrreden sind: „Jetzt ist nicht die Zeit für CDU/CSU!“ SPD-Chef Lars Klingbeil hielt auf dem Höhepunkt seiner Rede dem Unionskanzlerkandidaten sein Buch aus dem Jahr 2008 vor, wonach er laut Titel mehr Kapitalismus wagen wolle.
Scholz hat im Bundestag und auch im Willy-Brandt-Haus schon stärker ausgeteilt gegen seinen Konkurrenten. Am Samstag entscheidet er sich für eine anekdotenfreie, unpersönliche, dafür sehr sozialdemokratisch gefärbte Rede. Den größten Applaus der 600 Delegierten gibt es bei der Forderung nach 15 Euro Mindestlohn. Obwohl Scholz mehrfach von einer Richtungsentscheidung spricht, will sich bei einigen Genossen kein Aufbruchsgefühl einstellen. Das passende Hintergrundrauschen gibt ein Spitzen-Sozialdemokrat, indem er im vertraulichen Gespräch daran erinnert, dass die großen Koalitionen doch besser waren als ihr Ruf.
Die SPD steckt in einer strategischen Zwickmühle: Offensichtlich läuft es nicht gut in Deutschland, offensichtlich sind viele Bürger unzufrieden. Auch in der Koalition lief es schlicht, sonst gäbe es diesen Wahlkampf jetzt ja gar nicht. Und trotzdem will Scholz weitermachen. Offenkundig wird dieses Problem für die SPD am Samstag beim Thema Wohnen: 2021 hatte die Partei noch versprochen, jedes Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen. Einlösen konnte sie das nicht. Jetzt verspricht Scholz nur noch, die Mietpreisbremse entfristen zu wollen. Mehr ist nicht mehr drin.
So lässt sich auch erklären, dass sich die sonst rauflustigen Jusos dieses Mal nicht etwa auf den Wehretat werfen oder auf die Migrationspolitik. Stattdessen fordern sie für das Wahlprogramm, dass niemand mehr als 400 Euro für ein WG-Zimmer zahlen soll. Und Scholz, aus Juso-Sicht fast erschütternd, bezeichnet das in seiner Rede auch noch als klugen Vorschlag.
Die Rede des Kanzlers endet dann einfach, es fällt nur auf, weil er neben das Rednerpult tritt. Rasch springen die Delegierten auf, es gibt langen Applaus. Prominente Sozialdemokraten sind danach zufrieden. Olaf sei eben Olaf, da dürfe man keine überraschende Eruption erwarten.